Der ewige Rekordhalter muss seinen Thron nun teilen: Beim 67. Eurovision Song Contest gab es im britischen Liverpool den siebten Sieg für Schweden. Damit teilt sich Irland, die bisher als einzige Nation diese Anzahl an Siegen für sich beanspruchen konnten, fortan den ersten Platz. Obwohl zuletzt die Ukraine den Wettbewerb gewinnen konnte, war es wegen des immer noch anhaltenden Krieges nicht möglich, Gastgeber zu werden.
Doch damit nicht genug: Auch ein weiterer Rekord konnte gebrochen werden. Johnny Logan, der in den 80ern zweimal für Irland den Pokal holen konnte, ist nicht mehr der einzige Teilnehmende, der zweimal gewann. Die schwedische Sängerin Loreen, die 2012 mit “Euphoria” – einem der kommerziell erfolgreichsten ESC-Songs aller Zeiten – im aserbaidschanischen Baku den 1. Platz erklomm, hat mit “Tattoo” die meisten Punkte ergattert. Sie ist damit die erste weibliche Person, die es zweimal geschafft hat. Bei Johnny Logan dauerte der Abstand zwischen beiden Siegen nur sieben Jahre, bei Loreen elf, allerdings hatte sie wesentlich mehr Konkurrent*innen. Musste Johnny Logan einmal gegen 18 und einmal gegen 21 andere Acts antreten, hatte Loreen im vergangenen Jahrzehnt 41 Gegner*innen und nun 36. Sie galt bereits seit Wochen bei den Buchmacher*innen als Favoritin.
Deutschland hingegen hat trotz großer Bemühungen erneut den letzten Platz gemacht. Die Hamburger Band Lord of the Lost, die Anfang März im deutschen Vorentscheid ausgewählt wurde, erreichte zwar mit 18 Punkten gleich zwölf mehr als Malik Harris in 2022, aber auch das reichte abermals nur fürs Schlusslicht. Nach dem Sieg von Lena 2010, bedeutet das nun zum vierten Mal das Tabellenende. Seit 2015 gab es bei acht Teilnahmen vier letzte sowie drei vorletzte Plätze.
Damit zieht der größte Musikwettbewerb der Welt in diesem Jahrhundert bereits das vierte Mal nach Schweden. 2000 und 2016 fand er in Stockholm statt, 2013 in Malmö. Welche Stadt 2023 hosten wird und wann der 68. Eurovision Song Contest im Jahr 2024 seine Bühne findet, entscheidet sich voraussichtlich im Herbst.
Alle Platzierungen und Punktzahlen im Überblick:
1. Schweden: “Tattoo”, Loreen (340 Jury-Punkte, 243 Zuschauer*innen-Punkte, 583 gesamt)
2. Finnland: “Cha Cha Cha”, Käärijä (150 Jury, 376 Zuschauer*innen, 526 gesamt)
3. Israel: “Unicorn”, Noa Kirel (177 Jury, 185 Zuschauer*innen, 362 gesamt)
4. Italien: “Due vite”, Marco Mengoni (176 Jury, 174 Zuschauer*innen, 350 gesamt)
5. Norwegen: “Queen of Kings”, Alessandra (52 Jury, 216 Zuschauer*innen, 268 gesamt)
6. Ukraine: “Heart of Steel”, TVORCHI (54 Jury, 189 Zuschauer*innen, 243 gesamt)
7. Belgien: “Because of You”, Gustaph (127 Jury, 55 Zuschauer*innen, 182 gesamt)
8. Estland: “Bridges”, Alika (146 Jury, 22 Zuschauer*innen, 168 gesamt)
9. Australien: “Promise”, Voyager (130 Jury, 21 Zuschauer*innen, 151 gesamt)
10. Tschechien: “My Sister’s Crown”, Vesna (94 Jury, 35 Zuschauer*innen, 129 gesamt)
11. Litauen: “Stay”, Monika Linkytė (81 Jury, 46 Zuschauer*innen, 127 gesamt)
12. Zypern: “Break a Broken Heart”, Andrew Lambrou (68 Jury, 58 Zuschauer*innen, 126 gesamt)
13. Kroatien: “Mama ŠČ!”, Let 3 (11 Jury, 112 Zuschauer*innen, 123 gesamt)
14. Armenien: “Future Lover”, Brunette (69 Jury, 53 Zuschauer*innen, 122 gesamt)
15. Österreich: “Who the Hell is Edgar?”, Teya & Salena (104 Jury, 16 Zuschauer*innen, 120 gesamt)
16. Frankreich: “Évidemment”, La Zarra (54 Jury, 50 Zuschauer*innen, 104 gesamt)
17. Spanien: “Eaea”, Blanca Paloma (95 Jury, 5 Zuschauer*innen, 100 gesamt)
18. Moldau: “Soarele și luna”, Pasha Parfeni (20 Jury, 76 Zuschauer*innen, 96 gesamt)
19. Polen: “Solo”, Blanka (12 Jury, 81 Zuschauer*innen, 93 gesamt)
20. Schweiz: “Watergun”, Remo Forrer (61 Jury, 31 Zuschauer*innen, 92 gesamt)
21. Slowenien: “Carpe diem”, Joker Out (33 Jury, 45 Zuschauer*innen, 78 gesamt)
22. Albanien: “Duje”, Albina & Familja Kelmendi (17 Jury, 59 Zuschauer*innen, 76 gesamt)
23. Portugal: “Ai coração”, Mimicat (43 Jury, 16 Zuschauer*innen, 59 gesamt)
24. Serbien: “Samo mi se spava”, Luke Black (14 Jury, 16 Zuschauer*innen, 30 gesamt)
25. Vereinigtes Königreich: “I Wrote a Song”, Mae Muller (15 Jury, 9 Zuschauer*innen, 24 gesamt)
26. Deutschland: “Blood & Glitter”, Lord of the Lost (3 Jury, 15 Zuschauer*innen, 18 gesamt)
NACHLESE ZUR SHOW:
Das diesjährige Motto des Eurovision Song Contest lautet United By Music. Ein Motto, das unterstreichen soll, dass man einem vieles nehmen kann, aber nicht die Musik und nicht das Gemeinschaftsgefühl. Ganz hervorragend gewählt, so ist eben das Vereinigte Königreich stellvertretender Gastgeber für die Ukraine, die im letzten Jahr mit einer Rekordpunktzahl seitens des Televotings auffahren konnte. Gleich 28 Länder vergaben die bestmöglichen zwölf Punkte. Doch der immer noch andauernde Krieg verbarrikadiert dem Land, das seit seines Mitwirkens beim Wettbewerb extrem gut abschneidet und in 20 Jahren schon drei Gewinne einfahren konnte, die Möglichkeit, Europa bei sich zu begrüßen.
Weil dann der Zweitplatzierte als erstes die Möglichkeit bekommt, auszuführen, ist also der Wettbewerb 2023 in UK, nämlich erstmalig in Liverpool. Eine Stadt, die dank der Herkunft der Beatles im Bezug auf Musik also doch schon mal ganz gute Arbeit geleistet hat. Die Liverpool Arena beweist in den drei Shows – am Dienstag im ersten Semifinale, am Donnerstag im zweiten Semifinale, sowie Samstag, den 13.5. im großen Finale – dass man mit passender Technik, angenehmen Hosts und ursprünglich 37, im Finale aber dann 26 abwechslungsreichen Performances sehr mitreißen kann. Der Aspekt der Vereinigung ist bereits in den ersten Minuten spürbar, sodass gleich mehrere bekannte ehemalige Teilnehmende der Ukraine im Opening zu sehen sind.
Alles andere als friedvolle Vereinigung
Doch der Schein trügt. Oberflächlich betrachtet ist man big in love, aber darunter brodelt es gewaltig. So gibt es bereits einen Aufschrei, dass das ukrainische Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj keine Grußbotschaft in die Show schicken darf. Das sei nämlich zu politisch. Dass aber der Wettbewerb ursprünglich in seiner Gründung dafür da war, Europa näher zusammenzurücken, ist natürlich keine politische Motivation. Dass die Ukraine letztes Jahr gewann, lag – nicht ausschließlich, auch der Song war wirklich gut – hauptsächlich an der aktuellen politischen Situation. Auch Dragqueens im zweiten Semi auftreten zu lassen mit der Einleitung, dass hier jede*r sein darf, wie er*sie mag, ist natürlich auch frei von politischem Statement. Also what the hell?
Und schaut man dann, was am Ende auf der finalen Punktetabelle erscheint, schaut man doch in vielerlei betrübte Gesichter. In den sozialen Medien sowie auf YouTube gibt es gar einen richtigen Hagel an enttäuschten Kommentaren. Ok, gut, ist jetzt auch nichts Neues – aber dass gefühlt niemand mit dem Ergebnis zufrieden ist, ist doch eher untypisch. Besonders, wenn doch die Hälfte der Punkte seit dieser Ausgabe aus der ganzen Welt zusammenkommen. Erstmalig können nämlich auch Nationen abstimmen, die nicht teilnehmen und ergeben gemeinsam eine weitere Stimme.
Aber gerade reiht sich Shitstorm an Shitstorm. Ein Großteil der Fanbubble ist mit dem Sieg von Loreen so gar nicht einverstanden. Wir übrigens auch nicht. Einstimmig. Die Schwedin, die 2012 mit “Euphoria” einen sehr eingängigen und vor allen Dingen extrem chartfähigen Song parat hatte, wurde schnell zu einer der ESC-Ikonen. Seitdem tummelt sie sich fast dauerhaft auf sämtlichen Eurovision-Konzerten des Kontinents, und davon gibt es ja so einige. Außerhalb des Wettbewerbs ein One-Hit-Wonder, innerhalb jedoch ein beliebter Star. Wie schon einige zuvor probiert sie es 2023 ein zweites Mal – und gewinnt tatsächlich erneut. Sie ist damit nach Johnny Logan aus Irland die zweite Person der Geschichte, die das schafft. Dabei sagt quasi jede*r, ihr “Tattoo” sei eine “Euphoria”-Kopie, und Kopien sind selbstredend immer schlechter als das Original.
Die immer wieder gleichen Argumente: Geht es hier um Sympathien für ein Land?
Wie hat sie das also gemacht? Zugegeben: Gesanglich war das nicht out of the universe, aber zumindest ganz ordentlich. Ist eine gute Sängerin, einverstanden. Aber für gewöhnlich gewinnt nie einfach der*die beste Sänger*in. Eurovision ist ein Zusammenspiel aus sehr vielen Komponenten. Auch Gesang, sicherlich, aber doch noch mehr Komposition. Und Performance. Und Landesbackground. Das kann man nie getrennt voneinander betrachten. Zusätzlich geht es um aktuelle Musiktrends, um Retrotrends, die gerade wieder aufkommen, aber auch um das, was im Vorjahr gewonnen hat. Der ESC ist eine Unterhaltungssendung, man möchte zu keiner Sekunde der fast viereinhalbstündigen Sendung gelangweilt werden. Es braucht Überraschungen. Innerhalb der Fanbubble sind die teilnehmenden Titel natürlich bereits Wochen, teils Monate bekannt. Aber der Großteil der Zuschauenden, also diejenigen, die nur die Samstagabendshow verfolgen und oft maximal den Beitrag des eigenen Landes kennen, möchte schlichtweg kurzweiliges Entertainment, bewerten, lästern, lachen, berührt und emotional aktiviert werden. Das möglichst 26 Mal in je drei Minuten und noch einmal über eine Stunde lang im Voting.
Schweden gehört nun also sieben Siege. So wie Irland bereits seit 1996. Die haben allerdings in den 27 Jahren danach nur noch fünfmal die Top 10 gesehen, sind sogar elf Mal im Semifinale ausgeschieden. Auch die letzten vier Jahre inklusive 2023 in Folge. Heißt das, man hat 1997 einfach plötzlich beschlossen: “OK, genug Irland. Reicht jetzt auch mal. Finden wir jetzt doof, jetzt was anderes.”? Nein, so einfach ist es nicht. Natürlich hat es Irland wesentlich schwerer, seitdem 1998 alle Länder auf der Sprache singen können, auf der sie mögen und somit Irland nicht mehr zu den wenigen englischsprachigen Beiträgen gehört, die jede*r versteht. Stattdessen stimmte sehr oft die eben beschriebene Mischung aus Komposition, Gesang und Performance nicht. Aber Irland unsympathisch finden? Tut das überhaupt jemand?
UK und Spanien
Ein anderes sehr gutes Beispiel ist das austragende Land UK. Fünf Gewinne in der Geschichte, zuletzt 1997. Seitdem unzählige Pannen mit teils erbärmlichen Auftritten, vielen Flop 3-Plätzen über Jahre. Man überlegte sogar beim Wettbewerb auszusteigen. Das Land, das die erfolgreichsten und kreativsten Musikacts der Welt hervorbringt. Doch im letzten Jahr schaffte Gesangstalent Sam Ryder wie aus dem Nichts einen Sprung auf Platz 2. Mit Talent. Darauf schickt man jedoch wieder gesanglich überhaupt nicht erwähnenswerten und musikalisch langweiligen Dance-Pop, der somit zurecht Platz 25 von 26 bildet. Thema Sympathie: UK hat es wegen des Brexits womöglich am schwersten. Trotzdem gab es letztes Jahr mit Qualität Platz 2, nun mit keiner eben Platz 25. That’s the deal.
Spanien das gleiche Game. Viel Mittelfeld, viele zweistellige Platzierungen mit einer Zwei vorne. Und dann 2022 die Überraschung mit Chanel. Bronze. Sehr löblich: Man probierte nicht, genau diesen Stil zu kopieren und damit die Spitze erneut zu erklimmen, sondern entschied sich für verschachtelten Flamenco-Arty-Pop, der zwar ganz hervorragend vorgetragen, aber besonders von zuhause nicht verstanden wird. Fünf Punkte im Televote, 95 von den Jurys, insgesamt ein 17. Platz. Spanien, eines der beliebtesten Ferienländer. Menschen, die man mit viel Temperament und Ausdruck verbindet. Mag man das Land also nicht?
Weiteres Gegenargument bezüglich „Sympathie“: Auch wenn man die Ukraine weiterhin unterstützt und eine helfende Hand bietet, belegt das letzte Gewinnerland nun nur noch einen sechsten Platz und keinen erneuten ersten. Hier wurde unverkennbar nach dem Beitrag und nicht nach der Nation geurteilt.
Deutschland – was ist hier genau das Problem?
Viel Argumentation drumherum, die aber absolut vonnöten ist. Denn die alles entscheidende Frage ist: Warum ist Deutschland schon wieder auf dem letzten Platz gelandet? Und das zum vierten Mal innerhalb von acht Teilnahmen. Drei von den vier restlichen Malen gab es den vorletzten Platz, einmal aber auch einen vierten. Ist der vierte einfach eine Ausnahme? Ein wenig Glück? Oder doch eben das, was man beim Eurovision Song Contest hören will? Es mag enttäuschen, denn wir Menschen können ja bekanntlich damit gar nicht umgehen, Dinge nicht zu greifen, Dinge nicht zu wissen, aber: Wir werden darauf keine finale Antwort finden. Einig sind wir uns wohl alle, dass Lord of the Lost mit ihrem Dark-Rock-Pop “Blood & Glitter” und ganz besonders mit ihrer sehr starken Performance in keiner Art und Weise den letzten Platz verdient haben. Diese Qualität gab es bei einem deutschen Beitrag – nehmen wir Michael Schulte und seinen 4. Platz mal raus – schon wirklich sehr lange nicht mehr. Wahrscheinlich zuletzt 2011 bei Lena und ihrem “Taken by a Stranger”. Und trotzdem wurde es jetzt nicht mit einem besseren Platz belohnt.
War Lord of the Lost aber wirklich so gut oder einfach nur im Vergleich zur vorigen Deutschland-Pannenshow besser? Schaut man nochmal genauer hin, fällt besonders die viel besser abgeschnittene Darbietung aus Australien auf, die musikalisch ähnlich funktionierte. Dafür gab es final Platz 9. Warum wird das eine gepusht, das andere nicht? Weil man Australien so mag? Das Land, das eigentlich nicht zu Europa zählt, somit ständig die Frage “Warum darf das überhaupt mitmachen?” lesen muss und zu dem kaum ein*e Europäer*in Bezug hat? Auch hier geht es doch nicht um Sympathie bzw. Antipathie gegenüber Deutschland. Es ist einfach eben diese gewisse Mischung, dieses Quäntchen Glück. Kurze Randnotiz: Australien ist womöglich das letzte Mal dabei gewesen. Der Gastvertrag läuft nun aus, ob es 2024 weitergeht, wird noch verhandelt.
Trotzdem frustriert es wahnsinnig. Man fiebert mit, man teilt Videos von Lord of the Lost, man wünscht ihnen viel Glück, man feiert den Auftritt von der Couch aus. Am Ende sieht man doch wieder nur das Wort “Germany” unten rechts und eine sehr kleine Zahl. Zwar gab es in dieser Runde weder null Punkte von den Jurys noch null im Televoting – im Televoting war man sogar besser als Spanien und UK – aber das ist einfach ein sauschwacher Trost. Deswegen darf man die Enttäuschung, die Chris Harms und seiner Band im Gesicht geschrieben steht, auch loben: Das ist wenigstens eine authentische Reaktion. An der Energie, der Sympathie im Vorfeld oder dem musikalischen Können lag es wirklich nicht.
Warum sich Schweden eher keinen Gefallen getan hat
Natürlich sollte die Motivation immer sein, gewinnen zu wollen. Sonst kann man es lassen. Schweden hat seit jeher eine riesige Ambition, ist der nationale Vorentscheid, das “Melodifestivalen”, die beliebteste Fersehshow des Landes. Es ist also natürlich legitim, einen Act zu schicken, der bereits viel Ruhm unter Fans genießt, auch bei nicht ganz Eurovision-Begeisterten durch den vorigen Hit im Ohr liegt und es einfach eine tolle Sensation darstellt, wenn endlich eine Frau zweimal gewinnen darf. Aber es ist leider auch extrem langweilig. Eben dann, wenn das Lied nicht einen komplett neuen Stil zeigt, eben dann, wenn die Bühnenshow nicht nur auf Effekte setzt und eben dann, wenn so viele andere kreative Beiträge abgestraft werden.
“Cha Cha Cha”. Diese Worte hört man während der Votingphase in der letzten Stunde des Events sehr laut aus dem Publikum im Saal immer wieder. So lautet der Song aus Finnland des Künstlers Kärrijä, der am Ende Platz 2 belegt. Die Nummer ist schon ewig unter Fans der Top-Favorit. Sie ist modern, auf Finnisch, wechselt zwischen Auf-die-Fresse-Rockelementen und sehr tanzbaren EDM-Momenten. Man kann an einigen Stellen mitsingen, an anderen die Choreo mitmachen und feiert sich drei Minuten nahezu automatisch. Das ist dieser Song, der offensichtlich im Saal als Gewinner gewünscht wird. Der Beifall, wenn Schweden als Gewinner gekürt wird, ist vergleichsweise leise. Die enttäuschten Kommentare unter Videos und Posts aktuell hingegen sehr laut.
Der Grund: Dass Loreen gewonnen hat, liegt an der Jury. Pro Land fünf Menschen. In Zahlen: 185 gegen rund 200 Millionen, die zuschauen und ja bekanntlich nun alle einwirken können. 376 Punkte gehen am Ende von den 200 Millionen an Finnland raus, 243 an Schweden. Das ist zwar auch dort der zweite Platz, aber rund ein Drittel weniger. Finnland schafft es aber bei den Jurys lediglich auf Rang 4. Denen ist das offensichtlich zu laut, zu schrill, zu wenig klassisches Singen. Man schaut entschieden zu stark darauf, was sich nach dem Megaevent besser verkaufen lässt. Ein “Tattoo” ist im Radio wesentlich gefälliger als ein “Cha Cha Cha” – aber auch so viel weniger das Bunte, was den Eurovision ausmacht. Weitere auffällige Scheren: Estland Platz 5 bei den Jurys, beim Televoting Platz 19. Im Gegenzug dazu: Norwegen Platz 3 im Televoting und nur Platz 17 bei den Jurys. Ähnlich verlief es für Norwegen bereits 2019. Auch der kurioseste Vortrag des Abends, nämlich der aus Kroatien, zeigt, dass bei den Jurys entweder nicht richtig aufgepasst oder falsch gecastet wird: Vorletzter Platz bei den Jurys, siebter im Televoting. Das sind eben die Beiträge, die dazu führen, Eurovision überhaupt gucken zu wollen. Die, die mitreißen oder manchmal irritieren, aber entertainen.
Und so kursieren bereits wenige Stunden nachdem die Show zu Ende geht, Gerüchte. Hat Schweden geklaut? Händeringend wird nach Plagiaten gesucht, um den Sieg nochmal umzukrempeln. War der Sieg sogar von Anfang an geplant? Wenn nämlich im nächsten Jahr Schweden hostet, ist gleichzeitig das 50-jährige ABBA–ESC-Jubiläum, also 50 Jahre nach dem ersten Sieg für Schweden. Immer mal wieder spalten die Gewinnersongs, so damals besonders bei Conchita Wurst und Netta. Aber hier spaltet’s nicht mal. Hier ist man einfach nur enttäuscht davon, so underwhelmed zu sein.
So geht es weiter
Joa, 2024 dann mal wieder in Schweden, ne? Auf ein Neues. Wie es um den deutschen ESC-Beitrag steht, ist fraglich. Es wird wohl immer schwerer, gute Acts zu finden, die in dieses Haifischbecken springen wollen. Und werden die Acts immer weniger gut, wird die Chance nur noch kleiner. Also bitte einfach ein ganz neues Konzept mit mehr Investition, mehr Aufwand, mehr Zeit und mehr Ahnung im Background. Gleiches gilt dann auch für das Finale: Sicher, dass in der aktuellen Zeit eine Jury hilfreich ist? Es gab Jahre, in denen es schwierig ohne Jury war, weil manche Länder sich per se die Punkte untereinander zugeschoben haben. Aber das ist doch schon etwas her und ist auch bei einer Jury nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Aber in einer Zeit, in der der ESC so beliebt ist wie nie – da muss das doch anders gehen. In der die Fanbase so groß ist wie nie zuvor. Und möchte man die nicht halten? Möchte man ihnen nicht gerecht werden? Denn eines ist klar: Zu viel Enttäuschung und zu viel Kritik zerstört jede gute Beziehung. Auch die zwischen Veranstalter*innen und der Fangemeinde des größten Musikwettbewerbs der Welt.
PS: Auch wenn Peter Urban unverkennbar ausgesorgt hat, möchten wir ihm hiermit für über 25 Jahre tolle Unterhaltung danken. Genieß die Show nächstes Jahr gemütlich vom Wohnzimmer aus!
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