Eurovision Song Contest 2023, 1. Semifinale: Die Ergebnisse

Eurovision Song Contest 2023 Logo

Ein Stück näher am Ziel – das gilt für zehn Länder, die gestern das 1. Semifinale des Eurovision Song Contest 2023 überstanden haben und weiterhin auf den Pokal hoffen dürfen. Fünf sind somit ausgeschieden. Um 21 Uhr deutscher Zeit gab es auf ONE, eurovision.de sowie in der ARD Mediathek die erste von drei spektakulären Liveshows zu sehen. Das Megaevent findet dieses Jahr in Liverpool statt. Zwar gewann 2022 im italienischen Turin die Ukraine, jedoch kann aufgrund des Krieges dort der Wettbewerb nicht ausgeführt werden. Stattdessen springt Großbritannien ein, die zuletzt den 2. Platz belegten.

Schon morgen gibt es unter dem Motto United By Music das zweite und damit letzte Semifinale, bevor man sich auf Samstag und eine fulminante Endrunde freuen kann. Im zweiten Halbfinale treten gar 16 Acts gegeneinander an, es werden jedoch auch dort nur zehn ein Ticket fürs Finale ziehen. Wichtig: Die hier aufgelisteten Länder sind nach Startreihenfolge sortiert. Welches Land wie abschnitt, bleibt bis nach dem Finale geheim.

Diese zehn Länder sind im Finale dabei:
Norwegen – „Queen of Kings“, Alessandra
Serbien – „Samo mi se spava“, Luke Black
Portugal – „Ai coração“, Mimicat
Kroatien – „Mama ŠČ!“, Let 3
Schweiz – „Watergun“, Remo Forrer
Israel – „Unicorn“, Noa Kirel
Moldau – „Soarele și luna“, Pasha Parfeni
Schweden – „Tattoo“, Loreen
Tschechien – „My Sister’s Crown“, Vesna
Finnland – „Cha Cha Cha“, Käärijä

Ausgeschieden sind somit:
Malta – „Dance (Our Own Party)“, The Busker
Lettland – „Aijā“, Sudden Lights
Irland – „We Are One“, Wild Youth
Aserbaidschan – „Tell Me More“, TuralTuranX
Niederlande – „Burning Daylight“, Mia Nicolai & Dion Cooper

NACHLESE ZUR SHOW:

United By Music. Selten, womöglich noch nie, trat ein Eurovision-Motto so den Nerv der Show. Seitdem 2002 eingeführt wurde, den Wettbewerb unter einem Motto laufen zu lassen, gab es unzählige, die man easy hätte gegeneinander austauschen können. Doch mit dem freiübersetzen Slogan „Durch die Musik vereint“ zeigt man, was 2023 erschreckend und rührend zugleich ist: Großbritannien, eigentlich ein Land, das im vergangenen Jahrhundert zwar fünfmal gewinnen konnte, aber in den letzten 20 Jahren gleich fünfmal den letzten Platz belegte, und lediglich einmal die Top 10 erreichte, darf endlich wieder Gastgeber sein – aber nur vertretend. Vertretend für das Land, das zwar gewann, aber keinerlei Möglichkeit hat, eine passende Halle zu stellen, keinerlei Möglichkeit bieten kann, Menschen einzuladen und das aktuell ein Trümmerhaufen ist – die Ukraine ist zwar erst seit 20 Jahren überhaupt mit dabei, hat aber nun das dritte Mal gewonnen, als erstes Land überhaupt dreimal im laufenden Jahrhundert den Pokal geholt und gehört bei den Durchschnittspunktzahlen zu den absoluten Überfliegern. Aber all das nützt gar nichts, wenn im Land Krieg herrscht.

Das Kalush Orchestra hat 2022 vielleicht nicht den besten musikalischen Beitrag geliefert, aber definitiv einen der fünf oder sechs besten. Viel wichtiger ist jedoch, dass Europa gezeigt hat, wie stark es als Einheit funktionieren kann. Noch nie gab es so viele Punkte aus dem Voting der Zuschauer*innen. „Stafania“ gewann haushoch. Doch auch das Vereinigte Königreich ist wie der Phönix aus der Asche auferstanden und hat endlich mal wieder das Treppchen der Besten sehen dürfen. Sam Ryder belegte dank seiner überragenden Gesangskills einen fantastischen zweiten Platz und machte Schluss mit den Pleiten.

UKraine

Und so kommen zwei ungleiche Länder zusammen. Die einen haben gezeigt, dass ein eher unscheinbares Land viele tolle Musikkünstler*innen in petto hat, die anderen, die womöglich das musikalisch begabteste Land der Welt sind, haben permanent ins Klo gegriffen. Beide zusammen führen nun den 67. Eurovision Song Contest aus. Erstmalig übrigens aus Liverpool. Zwar ist UK bereits zum 9. Mal Gastgeber, aber Liverpool, die Stadt der Beatles, feiert seine ESC-Premiere.

Dass man vertritt, aber keinesfalls verdrängen möchte, beweist das erste Semifinale in nahezu jeder Minute. Das Logo ist in den Farben der Ukraine – Blau und Gelb – und zusätzlich in Pink gehalten, weil der Frontmann des Kalush Orchestra einen pinken auffälligen Hut trug. Immer wieder trifft die ukrainische Sprache auf die englische. Für das Opening ist Julija Sanina zuständig, Mitglied der Rockband The Hardkiss. So wird es direkt zum Anfang laut und äußerst energiegeladen. Sie übernimmt neben Alesha Dixon und Hannah Waddingham auch die Moderation. Als Pausenact gibt es mit Weltstar Rita Ora mehr Geklotze statt Gekleckere, und das wohlgemerkt im Halbfinale. Besonders berührend ist jedoch das „Ordinary World“-Cover – Original: Duran Duran – von der Britin Rebecca Ferguson, die im Duett mit der Ukrainerin Alyosha beweist, dass Texte auch drei Dekaden später nochmal ganz anders treffen können. „But I won’t cry for yesterday, there’s an ordinary world, somehow I have to find. And as I try to make my way to the ordinary world, I will learn to survive.“ Wow.

Sowas von 2023

Schaut man sich die 130 Minuten lange Show an, wird schnell klar: Der Eurovision Song Contest rüstet von Jahr zu Jahr auf. Gerade nach dem Sieg der italienischen Band Måneskin, die nach ABBA die erfolgreichste Karriere eines ESC-Acts hinlegten, wissen auch die Letzten, dass man hier nicht nur ein Karrieresprungbrett geboten bekommt, sondern sich wirkliche Talente versammeln können. Können, nicht müssen. Natürlich gibt es auch immer wieder Beiträge, bei denen Spaß und Kuriosität vor Musikalität gehen, aber die Mischung macht’s. Ist ja immerhin eine Unterhaltungsshow. Besser gesagt: Europas beliebteste TV-Show und der weltweit größte Musikwettbewerb.

Jede Performance ist im Bühnenbild anders. Jede Sekunde liefert Entdeckungen. Gleichzeitig reißt man aber auch mit großen Produktionen mit, die hineinsaugen. Gesanglich ist es zwar nicht durchweg fantastisch, aber all in all ist das 1. Semifinale des 2023-ESCs einfach atemberaubend.

Die besten Beiträge

8 von 10 Künstler*innen haben wir richtig vorausgesagt. Eine akzeptable Quote. Vergleichsweise nehmen mit nur 37 Ländern relativ wenige teil, es gab auch schon drei Jahrgänge mit je 43 Ländern. Aber gut. Wer die Songs schon kennt – oder nochmal alle in Kurzform kennenlernen mag – wird zustimmen, dass äußerst viele auffallend gute im ersten Semi nun bereits antreten durften, das zweite hingegen eher die schwächeren Beiträge bietet.

Und ja, es war wirklich nicht leicht, sich zu entscheiden, wer von den 15 das Feld räumen muss. Einen gesanglichen Totalausfall gab es lediglich einmal, nämlich bei Irland. Die Coldplay-Fußball-WM-Nummer „We Are One“ wusste so gar nicht zu überzeugen, Frontmann Conor hat sich entweder nicht richtig gehört, war krank oder ist einfach ein wirklich mieser Vocalist. So oder so war das der schlechteste Auftritt des Abends. Den langweiligsten hingegen gab es von der Niederlande, die bekanntlich erst vor wenigen Runden gewann, nämlich 2019, und sowieso auch viele verdammt tolle Titel geliefert hat. Aber 2023 ist die Puste raus. Das schnarchige Duett „Burning Daylight“ beginnt mit einem vielversprechenden Intro, nur wird leider überhaupt nichts eingehalten. Ciao Kakao.

Wenn schon Ballade, dann bitte aus der Schweiz. Reno Forrer beweist mit seinem „Watergun“, das sich darum dreht, nicht die Wasserpistolen aus der Kindheit gegen echte Waffen im Krieg tauschen zu wollen, dass er zu den besten Sänger*innen der Saison gehört und wird auch toll in Szene gesetzt. Wo dieser Beitrag – einer der sehr wenigen Balladen – am Ende landen wird, bleibt spannend.

Doch insgesamt ist 2023 einfach ein Jahr, um richtig nach vorne zu gehen. Ob mit folkloristischen Spaßnummern mit Flöteneinsatz wie aus Moldau, mit Wikinger-Sounds aus Norwegen, mit mystischem Electro-Dark-Pop aus Serbien – das ist alles wahnsinnig fesselnd und mitreißend zugleich. Tschechien liefert mit seinem femininen Sextett eine Nummer gegen die Unterdrückung der Frau und darf auch völlig zurecht am Samstag wieder ran. Portugal bleibt gewohnt klassisch und wählt temporeichen Flamenco auf Landessprache.

Die großen Favorit*innen

Die zwei Nationen, die seit Wochen auf den Sieg gehandelt werden, haben bereits ihren ersten Erfolg hinter sich: Schweden hat bisher sechsmal gewonnen und würde bei einem siebten Sieg mit dem seit 1996 anherrschenden ersten Platz Irland gleichziehen. Dafür schickt man Loreen, die 2012 mit „Euphoria“ schon einmal den Pokal holte und für einen der größten internationalen Eurovision-Hits überhaupt verantwortlich ist. Ihr „Tattoo“ zeigt eine optisch beeindruckende Inszenierung, wie man sich aus toxischen Klammern löst, ist allerdings besonders im Song wenig neu. Auch ihr Gesang ist unklar und hat gar nicht die Durchschlagskraft, die man von ihr gewohnt ist. Ist ein Favoritenstatus gleichzeitig ein Garant auf den Sieg?

Oder holt am Ende doch Finnland den schon lang verdienten zweiten ersten Platz in deren Karriere. Käärijä ist optisch auffallend, die Inszenierung von „Cha Cha Cha“ pures Adrenalin. Der Song, der an elektronischen Rock a la Electric Callboy erinnert, bringt alles mit, was ein 1. Platz braucht. Das ist auffällig, das ist durchgeknallt, das ist edgy, gleichzeitig aber auch an manchen Stellen zum Mitsingen geeignet und vollster Party-Mode. Hat uns am besten gefallen und wird auch am Samstag hoffentlich zweimal singen dürfen. Das zweite Mal dann gegen 1 Uhr nachts.

Der kroatische Beitrag hingegen ist das, warum auch Gelegenheitsgucker*innen immer wieder den Eurovision einschalten: Sechs Männer Ü50, die gemeinsam eine Punkband bilden, spielen einen völlig bescheuerten Song, der permanent die Struktur wechselt, völlig überdreht ist, aber deswegen keine Sekunde langweilt. Das hört man natürlich nie freiwillig auf Spotify, aber bei jenem Wettbewerb umso lieber. Kurios, aber für einen ESC immer nötig.

Malta hat zwar mit einem sehr catchy Saxophon-Popper für hervorragende Laune gesorgt, aber trotzdem nicht überzeugen können. Sau schade, der einzige Beitrag, der ein Finalticket verdient hatte, es aber nicht bekam. Das wäre wesentlich cooler gewesen, als die irgendwie zu gewollt coole, erotische Püppi aus Israel. Noa Kirel ist dort der Star der Stunde, muss unbedingt zeigen, dass sie geil aussehen, tanzen und singen kann, liefert am Ende aber ein Lied ohne große Substanz. Ein live gewordenes TikTok-Video. ESC der neuen Generation?

Lettland und Aserbaidschan hingegen sind raus. Lettland hat zwar musikalisch eine spannende Indie-Rock-Nummer, die aber einfach die falsche Veranstaltung ausgesucht hat. Auf einem Festival top, für den Eurovision ein Flop. Gleiches gilt für die knuffeligen Zwillinge aus Aserbaidschan, die sehr soliden Singer/Songwriter bieten, der aber in dem ganzen Eyecatcher-Trubel voller Eindrücke gnadenlos untergeht. Drei Minuten, um mit Freund*innen über WhatsApp zu daddeln, sich Chips und eine Cola zu holen – damit pures Gift für ESC Nr. 67.

Deutschland ist back im Game

Drei der bereits gesetzten sechs Länder durften sich in Interviewvideos vorstellen und wurden zum Talk auf die Couch geladen. Von Frankreich, Italien und Deutschland gab es erste Eindrücke – und wer hat überraschenderweise am meisten zu bieten? Ja, wir! Nachdem Großbritannien im letzten Jahr gezeigt hat, dass es doch noch mitspielen kann, könnte das auch uns gelingen. 10 Jahre Pannen – bis auf eine Ausnahme mit Michael Schulte 2018 – doch jetzt sind wir wieder dabei. Lord of the Lost wirken wahnsinnig liebenswert, echt, gleichzeitig aber auffallend und liefern mit ihrem Metal-Pop „Blood & Glitter“ eine extrem ESC-taugliche Nummer. Aktuell werden sie auf eine Top-10-Platzierung gehandelt. Wäre das geil?! Daumen drücken!

Was heißt das für Samstag?

Ob Fan oder nicht – Unbedingt am Samstag einschalten. Was eine Bühne, was für Effekte, was für eine Laune. Ein Hauch Melancholie, eine wirklich angebrachte Portion Politik und Statement und noch viel mehr wuchtige Inszenierungen, die die Zeit wie im Fluge vergehen lassen. Der 67. Eurovision Song Contest hat alles, was es für eine gute Unterhaltungsshow braucht. Und hat vor allen Dingen viele Geheimwaffen im Gepäck. Welche zündet am schärfsten? Finnland, Schweden, ein Dark Horse? Und wird Deutschland uns alle in Staunen versetzen? Stay tuned.

Direkt weiterlesen:
Nachlese zum 2. Semifinale 2023
Alle 37 Songs aus 2023 im Check

Hier nochmal unser Favorit des Abends – Käärijä aus Finnland:

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