Regen – das sind die mal großen, mal kleinen Wassertropfen, die vom Himmel fallen, sobald sich zu viel Kondensflüssigkeit in den Wolken gesammelt hat und deren Gewicht zu groß wird. Dieses Phänomen bildet als Regenbogen am Horizont mal ein wunderschönes Naturschauspiel ab, sorgt als Schauer in viel zu heißen Sommermonaten mal für Erfrischung, lässt einen von Gewitter oder Sturm flankiert mal ehrfürchtig wegen seiner düsteren Naturgewalt erstarren oder in Form sauren Niederschlags um die Vegetation oder eigenen Habseligkeiten fürchten. Die Ulmer Rock-Band Van Holzen benennt ihr zweites Studioalbum nach dem vielseitigen Naturspiel. Ganz so heterogen wie die verschiedenen Auswüchse des Regens klingt die Platte dann aber nicht, so stellt sich die Band vor allem dessen unangenehm düsteren Seite, was vor allem das bedrückende Soundbild und die stets nachdenklichen Texte tragen.
Für Gute-Laune-Musik stand das Trio aber ja eh nie. Schon der Vorgänger „Anomalie“ arbeitete mit brachialen Riffs, krachigen Drumbeats und zynisch vorgetragenem Gesang. „Regen“ geht den Weg in diese Richtung weiter, nimmt sich in einigen Zeitpunkten jedoch zurück und schafft es vor allem die eingängigen Momente ungezwungener – man ist ja immer noch bei einem an Profit interessierten Major-Label – wirken zu lassen. So präsentieren „s/w“ und „Legere“ die jungen Musiker so ruhig und reduziert wie noch nie zuvor, blicken jedoch eher nach innen und stellen melancholische Soundwelten in den Vordergrund, die vorrangig von ihrer Atmosphäre leben. Das liegt neben der reinen Instrumentierung auch an der Experimentierfreudigkeit, die sich am deutlichsten in den Vocals widerspiegelt. Den Backgroundgesang unterlegt man mit vielen Effekten sowie Filtern und nutzt diese zusätzliche Dimension, um die verspielten Riffs, die noch immer die Grundlage der meisten Van Holzen-Songs bilden, anzufetten. Sänger Florian Kiesling greift außerdem häufiger auch auf seine Kopfstimme zurück. Diese Offenheit merkt man „Irgendwas“ an, der von seinen Riffs und seiner Produktion an „Herex“ aus dem aktuellsten Biffy Clyro-Album „Ellipsis“ erinnert.
Im Vergleich zu den Schotten haben die Ulmer mit ihrem Zweitling jedoch deutlich die Nase vorn. Verloren sich Biffy Clyro auf ihrem 2016er-Werk zeitweise in der eigenen Experimentierlust, so sind sich Van Holzen ihren Stärken voll und ganz bewusst, lassen neue Einflüsse zwar zu, begrenzen diese jedoch. So ist ein Song wie der Shoegaze-Rocker „Royal“, in dem Kieslings Stimme galant über der Musik schwebt, zwar möglich, steht jedoch neben rifflastigeren Nummern wie „Allein“ mit seinen Hoch-Tief-Kontrasten und „Schrammbock“, der von Jonas Schramms eindringlichen Gebrüll (was ein Wortspiel!) angeführt wird und als unkonventionellster Song die Platte beendet. Auch der eingängige Titeltrack treibt im Refrain ordentlich nach vorne und widmet sich in den Strophen gewohnt simplen Gitarrenläufen.
Seinen Hohn hat Kiesling auch knapp drei Jahre nach der ersten EP nicht abgelegt. So drückt „Alle Meine Freunde“ mit Zeilen wie „Ich und meine Freunde haben Angst, weil jeder von uns alles haben kann“ die Lächerlichkeit der mit unserer Wohlstandsgesellschaft einhergehende (Rechts-) Populismustendenzen aus – wenn man fast alles haben kann, muss man seine Furcht eben auf neue Flächen projizieren. Rollen- und Geschlechterbilder bleiben von den zynischen Verbalattacken Van Holzens ebenfalls nicht verschont. In „Schwimmen“ heißt es über geachtelte Bass- und Gitarrenläufe beispielsweise: „Ich hab’ das so gelernt. Keine Ahnung, ob es wahr ist – Schwimme mit und ertrink‘ im Glück.“
Zurück zu dem Regen: Der kann einen ungemütlich durchnässen und frierend hinterlassen, als Gewitter auch ziemliche Zerstörung hervorrufen. Ganz so böswillig fällt das Werk in Gänze dann doch nicht aus, gibt sich von seiner Grundstimmung und lyrischem Inhalt her jedoch ähnlich unangenehm. Damit wird der zweite Van Holzen-Langspieler seinem Titel in großen Strecken gerecht, kann davon abgesehen jedoch zu der Etablierung der jungen Rock-Band in einer Rockszene, die zeitweise sogar für tot geglaubt wurde, beitragen.
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Und so hört sich das an:
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Van Holzen live 2019:
01.11. – Bonn, Bla
02.11. – Marburg, KFZ
03.11. – Düsseldorf, The Tube
05.11. – Hannover, Lux
06.11. – Hamburg, Nochtwache
07.11. – Bremen, Tower
08.11. – Lingen, Alter Schlachthof
09.11. – Münster, Gleis22
10.11. – Braunschweig, B58
12.11. – Leipzig, Naumanns
13.11. – Dresden, Beatpol
15.11. – Berlin, Musik & Frieden
16.11. – Koblenz, Circus Maximus
17.11. – Trier, Lucky’s Luke
20.11. – Wiesbaden, Kesselhaus
21.11. – Würzburg, B-Hof
22.11. – Nürnberg, Club Stereo
23.11. – Wien, Arena Dreiraum (AT)
26.11. – Zürich, Dynamo Werk 21 (CH)
28.11. – München, Feierwerk
29.11. – Konstanz, Kula
30.11. – Stuttgart, Club Cann
Die Rechte für das Cover liegen bei Warner Music Germany.
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