Beyoncé – Homecoming: The Live Album

Beyonce Homecoming

Ihre Veröffentlichungspolitik ist mittlerweile schon ein alter Hut: Beyoncé kündigt ihre Releases nicht Wochen vorher an, teasert nur in Ausnahmefällen und präsentiert maximal eine Single vorab. So war es bei ihren letzten beiden Soloalben „Beyoncé“ und „Lemonade“ und bei ihrer Kollaboration „Everything Is Love“ mit Ehemann Jay-Z unter dem Namen The Carters. Immer erst als Downloads bzw. Stream und einige Zeit später dann als CD im Laden. Warum sollte diese doch erfolgreiche Strategie 2019 anders sein? Denkt sich anscheinend auch Queen Bey und schickt neben der immerhin kurzzeitig vorab angekündigten Netflix-Doku Homecoming ein dazugehöriges Live-Album in die Welt. Alright. Wer hat, der kann.

Dabei handelt es sich bereits um die fünfte Liveaufnahme. Allerdings in 15 Jahren. Das letzte Konzert gab es 2010 käuflich zu erwerben, somit bestand ordentlich Nachholbedarf. Spannend ist aber, welches Konzert ausgewählt wurde. Eher untypisch entscheidet sich der weibliche Teil des bestbezahlten Musikpaares der Welt nicht für einen Mitschnitt ihrer unzähligen Touren aus der letzten Dekade, sondern für einen Festivalauftritt. Langweilig und unspektakulär, mag die erste in den Kopf kommende Assoziation sein, doch Vorsicht. Beyoncé wäre nicht Beyoncé wenn es sich dabei nicht um etwas Großes handelt. Etwas Gigantisches, um genau zu sein.

Es war schwer in den sozialen Netzwerken zu übersehen, dass die Künstlerin im Juni 2017 Zwillinge gebären durfte. Ein einschneidendes Erlebnis vieler Frauen, das dazu führt, dass körperlich erst einmal Erschöpfung angesagt ist. Aber auch hier befindet sich eine Beyoncé außerhalb jeder möglichen Vorstellungskraft und denkt: „Bis April 2018 bin ich so in Topform, dass ich als erste schwarze Frau das weltweit berühmte Coachella-Festival in Kalifornien headline!“. Und das an gleich zwei Wochenenden. Gesagt, getan. Ein „Heimkehren“ sollte es werden und demnach der erste Auftritt nach der Geburt.

Bei dem als Doku angepriesenen Homecoming handelt es sich um eine Aufnahme der beiden Festivalauftritte, die das gleiche Programm zeigen, aber dennoch für den Zuschauer deutlich zu unterscheiden sind, nämlich anhand der unterschiedlichen Outfits. Ist an dem ersten Wochenende überwiegend gelb angesagt, trägt die gesamte Crew beim zweiten Auftritt rot. Somit ist fast immer erkennbar, von welchem Wochenende gerade Material zu sehen ist. Ein etwas verwirrender Moment, wenn der erste große Schnitt zum anderen Auftritt geschieht und man sich plötzlich fragt, wie in einer Sekunde alle etwas anderes tragen können. So einfach aber dann doch die Erklärung und ein nettes Gimmick. Allerdings handelt es sich dabei um eine nahezu nichtige Info im Vergleich zur restlichen Show.

Um es kurz und knapp zu halten: der Coachella-Auftritt von Beyoncé im Jahr 2018 setzt Maßstäbe. Eine Kombination aus völligem Größenwahn, purer Perfektion und unglaublichen Dimensionen. 150 (!) Personen stehen an diesen zwei Wochenenden auf den Bühnen. Ja, richtig gelesen. Unzählige Tänzer, diverse Backgroundsänger und eine Big Band. Allein die Anzahl der Leute ist schier unglaublich. Um jedem ein wenig gerecht werden zu können, stehen die Musiker und Tänzer auf einer Pyramide, die aus mehreren Stufen besteht. Auf diesen wird getanzt und musiziert. Davor ein langer Steg, der ins Publikum reicht und um die Ecke geht. Was genau alles gezeigt wird, sollte nur in Stichworten verraten werden. Man könnte schon von Spoilern sprechen, so abwechslungsreich gestaltet sich die Show – und das überraschenderweise mit äußerst wenigen Videos auf Leinwand. Stattdessen wird einfach für die Fans weiter hinten das bunte Treiben links und rechts übertragen. Das, was auf der Bühne passiert, genügt. Da sind Einspieler überflüssig.

Trotzdem ein paar Auffälligkeiten, die vielleicht dazu führen könnten, sich den Film ansehen zu wollen: Jay-Z, Destiny’s Child Reunion, Schwester Solange. Zu jedem Song Choreos, die bis ins Detail ausgearbeitet wirken und synchron sind trotz der hohen Anzahl an Personen. Alle weiteren Elemente müsst ihr selbst entdecken.

Aber warum denn nun Doku und nicht einfach Konzert? Neben den 100 Minuten Show werden knapp 30 Minuten Backstageaufnahmen gezeigt. Szenen aus den Proben, dem Tourbus, Momente mit den Kindern oder Jay-Z. Vieles davon durch Beyoncé als Off-Stimme kommentiert. Tatsächlich ist das doch recht typische und weniger kreative Making Of geringfügig interessant, manchmal sogar störend. Natürlich ist es immer nett, mal hinter die Kulissen schauen zu dürfen – wirklich Neues wird aber nicht aufgedeckt. Wenn überhaupt sollten die Diätberichte einer Mrs. Carter äußerst kritisch beurteilt werden. Gleiches gilt für das wenig glaubwürdige Bedanken. Authentischer wirken da hingegen Aussagen, dass es ihr Ziel sei, jeden ihrer Angehörigen stolz zu machen. Hier hat sich wirklich jemand zur Aufgabe gemacht, ein Übermensch zu werden, was auch noch in Teilen gelingt. Gruselig. Eine Maschine in menschlicher Gestalt, die ihre Grenzen auslotet.

Zum Abschluss: was kann denn nun das Live-Album? Leider zu wenig. Positiv ist, dass das gesamte Konzert auf insgesamt 38 Tracks plus zwei Bonustitel zu hören ist. Negativ ist, dass das gesamte Konzert zu hören ist. Wie das? Weil einfach zu viele Elemente zu hören sind, die den Hörgenuss stark beeinträchtigen. Es handelt sich, wie bereits oben dargestellt, um eine Symbiose aus Choreographie, Stageelementen, Gesang und Musik. Nimmt man die bildliche Komponente komplett weg, fehlt tatsächlich ein äußerst wichtiger Teil. Gewisse Sounds haben ohne Tanz einfach keinen Mehrwert. Das Gefühl kommt auf, als ob der Fernseher läuft, man aber nicht hinschaut. Außerdem sind trotz riesiger Band doch mehr Spuren vom Band als zunächst vermutet. Damit klingen viele Tracks wie die Studioaufnahmen und locken aus den Stücken zu wenig Einzigartiges. Beyoncé singt natürlich grandios – aber auch hier wurde ordentlich feingeschliffen, um die Stimme möglichst perfekt zu zeigen. Da das Übertalent sich körperlich bei der Show komplett verausgabt, werden große Teile des Gesangs vom Background übernommen und häufig mal pausiert. Ist logisch und verzeihbar, aber eben als reines Livealbum zum Zuhören oder gar Mitsingen auch nicht so aufregend. Fans haben bei einer Diva dieser Größe für gewöhnlich wenig bis gar keinen Spielraum und sind schlussfolgernd nur für den unteren Klangteppich zuständig. Jegliche weitere Interaktion bleibt bis auf ein paar Klatschmomente und ständiges Auffordern mitzusingen aus und ist somit nicht hörbar. Da greift man doch lieber zu früheren Werken wie „I Am… Yours“ aus 2009, die auch nur akustisch funktionieren und sich auf Gesang und Arrangement konzentrieren.

Die Setlist bietet in typischer Manier einen bunten Mix aus allen Schaffensperioden, konzentriert sich aber stark auf Hip-Hop-Sounds. Popperlen wie „If I Were A Boy“, „Irreplaceable“, „Listen“, „Naughty Girl“, „Halo“, „Best Thing I Never Had“, „Broken-Hearted Girl“, „Pretty Hurts“ und „Sweet Dreams“ sucht man vergeblich – dafür aber dabei „Single Ladies“, „Crazy In Love“, „Drunk in Love“, „Diva“, „Formation“, „Sorry“, „Check On It“, „Baby Boy“, „Run The World (Girls)“ und eine etwas merkwürdige Version von „Love On Top“. Geschmacksache. Da aber Beyoncé ihre Setlist stets verändert, ist es eben ein wenig Glück, ob einem die vorzufindende liegt oder nicht.

Fazit: Egal, ob man nun Beyoncé mag oder nicht – Musikliebhaber und Konzertgänger sollten Homecoming anschauen, um zu sehen, was auf einer Bühne alles möglich ist, wenn man über acht (!) Monate produziert und intensiv probt. Jenseits von Gut und Böse und eine ganz eigene Kategorie. Eine Schande, dass diese völlig zu Recht von Kritikern nur so gefeierte Inszenierung läppische zwei Male zu sehen war. Die Backstageszenen sind ok, stören aber zwischenzeitlich den mitreißenden Charakter der Show. Das Livealbum ist ganz klar eine Dreingabe für Hardcorefans.

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