Intim, laut, schmerzend, intensiv, groß, roh, weich, befreiend – die Adjektive, mit der man eine FJØRT-Show beschreiben kann, umfassen wohl das gesamte Spektrum aussagekräftiger Beiwörter. Mit ihrem Drittling „Couleur“ gelang dem Aachener Trio nicht nur erstmalig der Sprung in die deutschen Albumcharts, sondern bei der dazugehörigen Tour gleichzeitig auch der Schritt von Clubs heraus in kleine Hallen. Das schon Monate zuvor ausverkaufte Gebäude 9 in Köln stellte den am nächsten an der Heimat des Post-Hardcore-Trios befindlichen Tourstopp dar. Kein Wunder, dass sowohl Fans, als auch Freunde und Familie Chris Hell, David Frings und Frank Schophaus mit offenen Armen empfingen.
Intim – bereits einige wenige Sekunden nachdem das Trio eingehüllt in gleißendem Licht zu einem Klavier-Intro die Bühne der aus den Nähten platzenden Location betreten hat, begibt sich Bassist und Co-Vocalist Frings auf erste Tuchfühlung mit dem textsicheren Publikum. Der scheinbar nicht ruhigzustellende Herr liebt es, die oft verschachtelten Zeilen seiner Band den vorderen Reihen aus vollster Kehle entgegenzubrüllen – das gerne auch mal Kopf an Kopf. Gitarrist Hell und Schlagzeuger Schophaus stellen im Vergleich zu dem energetischen Bassisten fast schon Ruhepole dar. Trotzdem fühlt sich jede Zeile, die der langhaarige, ruhige Mann zwischen seinen Lippen herauspresst, wie eine wohlige Umarmung eines Menschen, dem man nah steht, an.
Laut – nicht einmal einen Song braucht es, bis man feststellen muss, dass FJØRT nicht nur wunderschöne ergreifende Musik schreiben – man beachte nur den tollen Klaviereinspieler – sondern auch verdammt laut sind. Bevor das Albumintro „Südwärts“ mit seinen krachenden Riffs auf die bewegungsfreudige Menge losgelassen wird, erfüllt erst einmal eine Wand aus Feedback die Halle. Auch die restlichen Songs werden klar, aber schon an der Grenze von zu druckvoll vorgetragen. Einige wenige Male überlässt die Band auch dem Publikum das Wort und die Mitglieder entfernen sich einige Schritte von ihren Mikrofonen. Vor allem in diesen Momenten wird deutlich, dass neben der Band und Musik auch die gekommenen Menschen ziemlich laut sind.
Schmerzend – wer sich im vorderen Drittel der langgezogenen, alten Industriehalle aufhält, kommt nicht darum herum, von Stagedivern attackiert oder in den wütenden Moshpit gezogen zu werden. Dieser gleicht vor allem zu dem heftigen Ausbruch von „Mitnichten“ einem kochenden Dampfkessel, aus dem man wohl den ein oder anderen blauen Fleck davontragen wird. Die Band verzichtet außerdem auch nicht darauf auf unbequeme Wahrheiten aufmerksam zu machen. Der Kampf gegen Rechtspopulismus und Nazis sei nicht im Internet zu kämpfen, sondern auf der Straße bei Gegendemonstrationen und Kundgebungen, sagt Frings. Das ist vielleicht ab und an in Regen und Sturm unangenehm, aber absolut notwendig.
Intensiv – wenn man dann so vor sich hin tanzt und brüllt, merkt man irgendwann, dass einen das, was man gerade erlebt, einfach nur glücklich macht. Intensiv ist bei FJØRT alles – jede Zeile, jeder Ausbruch. Die Band zeigt ihr Innerstes auf dem Präsentierteller, das Publikum ebenso.
Groß – groß ist vor allem der Sound, den FJØRT auffahren. Der Bass scheppert, die Gitarren skizzieren wunderschöne Melodien in die Dunkelheit, während das Schlagzeug mal in Gewitter untergeht, mal mit Hilfe kleiner Akzentverschiebungen zu Stimmungswechseln beiträgt. Wenn die Gitarre mal etwas Anfettung bedarf, hilft ihm der Viersaiter auch gerne mal aus – Frings nutzt dafür eine ähnliche Technik, wie auch ein Mike Kerr von Royal Blood oder Jesse F. Keeler von Death From Above.
Roh – vor allem die Lieder des neuesten Werkes der Band bieten neben den allseits bekannten sphärischen Soundlandschaften auch ordentlich rotzige Riffparts. Auch „kleinaufklein“ von der Debüt-EP des Trios darf in der Zugabe Rotz und Wasser auf die Menge ergießen. Wenn einige Minuten später der Schnodder von David Frings Nase heruntertropft, scheint sich dieser Zustand fast verbildlicht zu haben.
Weich – Wenn Hell mal wieder wunderschöne Berglandschaften vor das innere Auge der Lauscher malt, während die Bühne in Lichtermeer untergeht, fühlt sich die dargeboten Musik für einen kurzen Moment unendlich sanft an, nur um Sekundenbruchteile später wieder die große Keule herauszuholen. Auch die etlichen Erweiterungen, die die Gruppe an ihre Songs anhängt, leben vor allem von ihrer Atmosphäre.
Befreiend – Beim Verlassen der Halle fühlt man sich gut, sehr gut. Eine FJØRT-Show gibt einem das Gefühl wichtig zu sein, verstanden zu werden. Seine Sorgen, Ängste und Gefühle in die Nacht hineinzuschreien, beschwört dabei massenweise Glückshormone herauf. Auch das Trio selber wirkt bei der abschließenden Verbeugung vollends zufriedengestellt. Hat die Band noch vor wenigen Jahren vor eine Handvoll Menschen in AZs gespielt, scheint es, als sei man nun endgültig am Ziel angelangt. FJØRT setzen ungeahnte Emotionen frei und sind dabei einfach eine der besten Live-Bands des Landes. „Lebewohl, (…) auf dass es kracht.“ Bis bald.
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Foto von Jonas Horn.
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