Nachdem das letzte Mixtape von Yung Hurn, das “Krocha Tape”, am 3. Januar 2016 das Licht der Welt erblickte, bekam seine Popularität einen großen Schub. Um neben der mittlerweile “massentauglich” gewordenen Persona Yung Hurn weiter die Freiheit zu besitzen, Sachen zu machen die nur die wenigsten verstehen, erschuf er augenblicklich weitere Pseudonyme. Vorallem als neuer Charakter K. Ronaldo veröffentlichte er von dort an Songs und im Sommer 2016 ein ganzes Mixtape. Parallel dazu sorgte er als Yung Hurn mit RIN für den Sommerhit des deutschen Newschool-Raps – “Bianco”. Der Song war als Vorbote für das gemeinsame Album “Mafia der Liebe” von Yung Hurn & RIN gedacht. Nachdem RIN die Zusammenarbeit mit Live From Earth, dem Künstlerkollektiv um Yung Hurn, zum Ende des Sommers jedoch beendete, wurde auch das Album eingestampft und – so die Legende – alle Songs gelöscht.
Im September kündigte Yung Hurn mit der Single “Rot” dann sein großes, erstes Soloalbum an, das “Tokio Love Hotel” heißen sollte. Das Album ist in der Form nicht erschienen, jedoch wurden die Songs im März 2017 als “Love Hotel EP” veröffentlicht, was als Vorbote für das große Yung Hurn Album galt, das im Sommer 2017 folgen sollte. Ein weiteres Jahr ist vergangen und nun, im Mai 2018, ist das erste Yung Hurn Album “1220” endlich erschienen.
“1220” ist die Postleitzahl des 22. Bezirks Wiens Donaustadt, die sich Yung Hurn bereits vor einiger Zeit groß auf seinen Bauch tätowieren ließ. Das Album, das jetzt nach ihr benannt ist beginnt mit den Zeilen “Schau wie ich glänz – Diamant echt/ vier Nasen Flex – Baby will Sex”. Nicht schöner hätte man den Inhalt des Albums zusammenfassen können, geht es in jedem Song vorallem um Diamanten, Kokain und andere Drogen und Sex, vorallem Oralsex, passiv wie aktiv ausgeführt. Aber auch die Liebe zum Geld und der Hass gegenüber Fame wird immer wieder zum Ausdruck gebracht. Da es keinen thematischen Ausreißer gibt, kann Yung Hurn hier bereits auf 14 Songs mit der Einheitlichkeit des Gesamtwerks punkten.
Die ersten Songs des Albums sind schonmal absolute Banger. “MHM” und “Ok Cool”, das bereits im September 2017 als erste Single ausgekoppelt wurde, sollten für Abrissparties garantieren. Es folgen einige poppigere Nummern wie “Was sie will”, “Bist Du alleine.” oder “GGGut”, die wiederum Hurns großes Talent für Melodien aufzeigen. Doch auch hier ist ausreichend Bass in den Beats, um diese im Auto pumpen zu können. Im dritten Viertel gibt es weitere Banger zu hören, auf denen auch Kollege JONNY5 als einziger Featuregast des Albums zu hören ist. Die beiden ergänzen sich besonders auf solch “schmutzigen” Beats wie von “Du lügst” und “Lachs Anthem” stimmlich wie inhaltlich gut. Die letzten drei Songs sind von der langsamen Sorte und lassen Hurn in seine kalte Gefühlswelt abdriften. Natürlich fällt er auch hier nicht aus dem Konzept und rappt und singt vorallem über Sex mit Frauen für die er keine Gefühle hat. Das Soundbild des Albums bietet also eher die komplette Palette an Möglichkeiten als Einheitlichkeit, hält jedoch allein dadurch, dass der Großteil der Beats von demselben Produzenten stammt (DJ Stickle), noch gut zusammen.
Da das Album bis zum Releasetag bereits sieben Videoauskopplungen erhielt und Hurn seit längerem immer wieder Songschnipsel in seiner Instagram-Story veröffentlichte, war der Überraschungseffekt bei Albumveröffentlichung nicht mehr so groß. Auf lange Sicht ist das natürlich unwichtig, denn was bleibt ist ein Album voller Hits und ohne Füllmaterial. Lange genug hat er dafür geschuftet. Da darf auch mal ein “Sie schauen”, das, genauso wie “Sie hassen mich.” und “GGGut” nur eine 8-zeilige Strophe enthält, als Videoauskopplung herhalten. Denn auch die Videos gehören mit zum Gesamtwerk “1220” und geben den Songs einen weiteren künstlerischen Anstrich. Einige weitere Songs, wie “Y. HURN wieso?”, die Antwort auf sämtliche Kritik am Künstler Yung Hurn, würden sich ebenfalls gut als Singles eignen – wer weiß, was da noch kommen mag.
Yung Hurn stellt in der deutschen Raplandschaft einen Ausnahmekünstler dar, der sich wie kein zweiter von den Normen der Kunst frei macht. Während ein Fler, der Yung Hurn kürzlich nach einer Featureabsage als “real behindert” bezeichnete, sich wie viele Deutschrapper noch damit brüstet, das Rad dermaßen neu zu erfinden, dass die Welt noch nicht dafür bereit ist, die eigene Kunst zu verstehen, die aber irgendwie dann doch genauso ist wie das was gerade alle machen, macht Hurn eben wirklich sein eigenes Ding. Und das unverkrampft. Den Sound, den er mit “1220” bietet, gibt es so sonst nicht zu hören. Auch über die Musik hinaus setzt Hurn oftmals auf Besonderheit: Merchandise und Konzertkarten von ihm sind in der Regel bislang streng limitiert gewesen und boten den stolzen Besitzern dadurch einen zusätzlichen Mehrwert. Auch “1220” erschien für die “Real Ones” als Bundle in einer Yung–Hurn-Alditüte inklusive Vinyls, SD-Karte und ausgefallenem Yung Hurn-Magazin, für das einige Zeichnungen und Abbildungen entworfen wurden. (Natürlich längst vergriffen!) Es bleibt zu hoffen, dass er von seiner Einzigartigkeit noch genug profitieren, und die Individualität über die Austauschbarkeit siegen wird.
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