Es ist wirklich faszinierend, wie umstritten die statistisch erfolgreichste Band Deutschlands eigentlich ist. Gefühlt findet jeder Scooter irgendwie mies oder peinlich – aber wer kauft dann die ganzen Platten? Von allein kommen 23 Singles ja nicht in die Top 10. In insgesamt 25 Jahren Bandgeschichte hat sich da doch einiges angesammelt – eine ganze Silberhochzeit lang macht H.P. Baxxter also schon den Job und möchte das nun gebürtig feiern. Dafür ging es unter anderem auch an Nikolaus in die Dortmunder Westfalenhalle. minutenmusik hat sich vorgenommen, mal nachzusehen, was der Scooter-Santa da so für Süßigkeiten im Stiefel hinterlassen mag.
Bereits am Einlass wird deutlich, was einen hier heute Abend erwarten könnte. Das Publikum ist größtenteils männlich, Anfang bis Ende 20 und weit weg von nüchtern. Es werden laut typische Scooter-Melodien gegrölt, sodass noch unklar ist, ob es nun wirklich zu einem Konzert oder einem BVB-Spiel geht – immerhin ist das Stadion nur wenige Meter entfernt. minutenmusik macht heute einen auf Spießer und entscheidet sich für Sitzplatztickets, um das bunte Treiben beobachten zu können. Eine gute Wahl. Auffallend ist, dass der Innenraum bis auf die letzten Meter gut gefüllt wird – der Oberrang hingegen ist komplett geschlossen, der Unterrang vielleicht zu Zweidrittel voll. Ist ja auch keine Musik zum Entspannen, woll!? Und trotzdem schleichen sich einige Menschen über 50 in die Menge und schauen fast regungslos zu. Sehr abgedreht.
Pünktlich um 20h darf DJ Jerome das Publikum in Wallung bringen. Tatsächlich ist das gar nicht so schlecht. Man fühlt sich ein wenig wie in der Großraumdisco vor 15 Jahren, als Techno und Trance eine Hochzeit hatte. DJ Jerome ballert 45 Minuten und somit ungewöhnlich lang für einen Support. Dabei präsentiert er eine enorme Hitdichte und liefert unzählige 90s Hits in modernen Technosounds: „Hardcore Vibes“, „Sandstorm“, „L’Amour Toujours“ oder „Wonderful Days“ sind erfreuliche Beispiele. Weniger erfreulich sind hingegen Coverversionen wie „Zombie“ von The Cranberries, Oasis‘ „Wonderwall“ oder „Let It Go“ aus „Die Eiskönigin“. WTF!? Es ist und bleibt einfach schade, dass das Genre zu selten gute, eigene Ideen hervorbringt, stattdessen auf Klassiker aus anderen Bereichen zurückgreift und sie durch den Fleischwolf dreht. Aber nun gut. Der Support hat seine Arbeit getan und die Crowd tanzt sich schon mal in Rage.
Dann gibt es eine gute halbe Stunde Ruhe vor dem Sturm. Die Zuschauer sind mittlerweile alle eingetroffen, der Lautstärkepegel nimmt zu. Unruhe kommt auf, den meisten scheint die Umbauphase zu lang zu dauern. Es wird gepfiffen. In einem unabsehbaren Moment jedoch kommt es zu einer sehr lauten Explosion auf der Bühne. 21:18, es geht los, das Licht geht aus.
Nach dem Schreckmoment, der definitiv saß, ist es also Zeit für die Headliner. Eine große Faust fährt aus dem Graben hoch, wird über die Bühne bis an die Decke gezogen. Dabei streckt sie langsam ihren Mittelfinger aus. Ok. Ein herzliches Willkommen also. Anschließend betreten Michael Simon und Etnik Zarari die Bühne und stellen sich an die Turntables – wer? Ja genau. Offensichtlich scheint Scooter sich mittlerweile als Ein-Mann-Band zu definieren. Das gesamte Konzert über bleiben die beiden Herren im Hintergrund, bekommen kaum Licht ab und werden nur am Ende kurz von dem Frontmann erwähnt. Der betritt schließlich zu Feuerfontänen die Bühne.
H.P. Baxxter ist mittlerweile 54. Das merkt man ihm die 110 Minuten Show jedoch wenig an. Äußerst fidel wird über die Bühne gesprungen und dem Publikum eingeheizt. Macht er in Ordnung. Was weniger in Ordnung ist, sind seine Lines, die er zwischen den Songs zur Sprache bringt. Die wirken nämlich alle weniger enthusiastisch, auswendig gelernt, stets unpersönlich und sind dazu zu 90% auf Englisch – warum auch immer. H.P. sorgt jedenfalls dafür, dass nicht einmal eine Art Fannähe aufgebaut oder seine Worte wirklich auf den Moment abgestimmt werden. Alles wirkt schnell wie ein festgesetztes Programm.
Und das scheint sich das Motto „Höher, schneller, weiter“ ganz besonders vorgenommen zu haben: Die gesamte Show besticht durch die womöglich aufwendigste Lichtshow, die man sich so vorstellen kann. Hunderte von Lasern, Spots, Bildschirmen, Stroboskopeffekte – und das pausenlos. Das ist technisch auf jeden Fall sehr beeindruckend, aber auch extrem überfordernd. Leute mit Epilepsie hätten nun ein Problem. Selbst gewohnte Konzertgänger könnten sich geblendet fühlen. Nur Licht ist aber natürlich noch längst nicht genug. Des Weiteren folgen mehrmals ähnliche Explosionen wie zu Beginn oder bei fast jedem Song Pyros, Rauch- und Nebelfontänen, auch aus Gitarren, die H.P. vermeintlich spielt.
Die Band hat aber neben den Effekten noch sechs weitere Personen zu Gast. Zwei männliche, dunkelhäutige Tänzer shufflen zu mehreren Songs synchron. Das wirkt zwar im Vergleich zu H.P. etwas deplatziert, passt aber zumindest gut zur Musik. Die Typen gehen gut ab, haben was drauf und tanzen dem Genre entsprechend. Weniger unterhaltsam und eher stark unabsichtlich lustig sind hingegen die vier Tänzerinnen. Der Choreograph hat offensichtlich ein wenig zu viel Sexy Sportclips geguckt. Einerseits gibt es rhythmische Sportgymnastik (kein Witz), andererseits große Pferdemasken aus der Fetischecke, Engel mit schwarzen Flügeln, ein paar Spagat- und Flick Flack-Einlagen und viele, viele sehr knappe Outfits – präsentiert von zwei brünetten und zwei blonden Damen, die neben dem Mitklatschen im Takt auch gekonnt ihren Po ins Publikum halten und kräftig wackeln. Ach ja, Sirtaki wurde auch getanzt. Großartig. Chauvinismus bei Scooter? Hatte ich weniger mit gerechnet.
Musikalisch passiert natürlich genau das, was zu erwarten ist. 22 Songs lang, manche sogar als Medley mit bis zu vier Titeln brettert der Bass und alles fliegt um die Ohren. Die Crowd im Innenraum teilt sich in Moshpits- und Gabba-Fans auf. Aber auch auf den Rängen wird heftig gesprungen und sich so ausgelassen, als ob gerade keiner zuguckt. Besser so, wenn das keiner tut. Der Aggressionspegel erinnert an Ballermann-Touris, wenn der Megapark zu früh dicht macht. Irgendwie fühlt man sich ganz schön unwohl und es ist gar nicht wirklich klar, wer von den Zuschauern nun ein wirklicher Fan oder nur aus Ironie hier ist, um mal richtig Abspacken zu dürfen. Immerhin bietet die Setlist nahezu alle Hits an, die man so hören möchte. Gerade bei den bekannten Songs wie „How Much Is The Fish“, „Maria (I Like It Loud)“, „One (Always Hardcore)“, „Ramp! The Logical Song“, „Nessaja“ oder „Posse (I Need You On The Floor)“ wird „mitgesungen“. Schade hingegen ist, dass der wirklich extrem gute „Hyper Hyper“, der nicht nur die erste Single der Band sondern auch einer der wichtigsten Vertreter des Technogenres darstellt, auf knapp eine Minute heruntergekürzt wird, dazu noch im Remix läuft und im finalen Medley komplett untergeht.
Ob man nun die Musik von Scooter mag oder nicht, ist ja irgendwo Geschmacksache. Sie hat ihre Daseinsberechtigung und ist auch nach so vielen Jahren noch gefragt. Aber Fakt ist, dass auch außerhalb der Musik es sich um ein schlechtes Konzert handelt. Die Effekte verpuffen nach einiger Zeit, die Frauen auf der Bühne dienen als Sexobjekt und nicht wirklich als Tänzerinnen und alles muss mit Feuer und Knallgeräuschen nochmal aufgewertet werden. Ein Nostalgieeffekt, den viele 90s-Bands so mitsichtragen, bleibt komplett aus. Stattdessen wirkt vieles erst trashig-unterhaltsam, dann langweilig und schlussendlich nur noch nervig. Das Publikum verhält sich größtenteils rücksichtlos, wirft auch mit vollen Getränkebechern um sich und bietet keinen Raum für Leute, die das Geschehen anders erleben wollen. Aber die gibt es anscheinend auch kaum. Wer also mal zwei Stunden lang die volle Dröhnung braucht, keinen Anspruch an die Musik stellt und vergessen will, was eigentlich gerade für ein Wochentag ist, kann es mal mit einem Scooter-Konzert probieren. Substanzen zu konsumieren ist dabei aber eine ernste Empfehlung – nüchtern ist das alles eher eine Zerreißprobe.
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Foto von Christopher.
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