Es ist das Jahr 2019 und Bring Me The Horizon schmeißen mit der Hilfe ihres Labels RCA Records eine neue Platte auf den Markt – ihr bereits sechstes Album. Es wird also mal wieder Zeit für den dreijährlichen großen kollektiven Aufschrei höchstpubertärer Emo-Friesen-Kiddies: Oh mein Gott, die machen ja gar keinen krachigen Metal- oder Death-Core mehr?! WAS. FÜR. EINE. SCHEISSE. SPIELT DOCH MEHR ALTE SONGS.
Vier Alben nach der großen Distanzierung von den verzackelten Drops und Kreischvocals und der Anbiederung an den Pop gibt es natürlich immer noch viel zu viele Spätzünder, die nicht begreifen wollen, dass „amo“ nicht der große unangekündigte Pop-Sold-Out ist, sondern lediglich eine seit mehr als acht Jahren bestehende Entwicklung weiterführt. Mein Kollege Melvin Klein zog im August noch über die Vorabsingle „Mantra“ her und warf ihr fehlenden Fortschritt vor – damals durchaus verständlich. Der Blick auf das Gesamtwerk sollte diesen Vorwurf aber schnell wieder vom Tisch fegen. Die ersten zwei Singles bilden einige von wenigen Ausnahmen ab, die etwas mit dem Ursprungssound der Band gemein haben. Ansonsten ist „amo“ alles andere als eine Kopie des Pop-Rockers „That’s The Spirit“. Gerade da liegt jedoch auch das große Problem der Platte.
Schon das Intro „i apologise if you feel something“ wird seinem Titel absolut gerecht und schwankt zwischen gepitchten Vocal-Samples, Autotune-Gesang und Dance-Beats. Wüsste man nicht, dass hier gerade eine Bring Me The Horizon-Platte läuft, würde nie die Vermutung aufkommen, dass es sich um ebendiese Band handelt. Berühren tut der Song jedoch auf keiner Ebene. Eine Entschuldigung ist also absolut nicht nötig. Der Song soll nicht der einzige bleiben, der sich im Sumpf aus Stimmeffekten, elektronischen Drum-Beats und flachen Melodien verliert. Auch „ouch“, „nihilist blues“ und „fresh bruises“ fahren exakt dasselbe Geheimrezept auf. „mother tongue“ passt mit seinem Allerweltschorus, den man sicherlich schon in einer Vielzahl von Pop-Songs gehört hat, wiederum perfekt in das Formatradio. Natürlich trifft man auch hier auf eklig hohe Vocalsamples.
Etwas gitarrenlastiger, dafür nicht weniger eingängig, kommt hingegen der Elektro-Popper „in the dark“ daher, auf dem Frontmann Oli Sykes ungewöhnlich stark nach Enrique Iglesias klingt. Gerade das Stimmorgan Sykes wird in vielen Songs bis auf’s Letzte entfremdet, womit eins der Hauptaugenmerke des Bring Me The Horizon-Sounds gänzlich verschwindet. Nichtmal hier gibt es also irgendeinen Wiedererkennungswert.
Im Gegensatz dazu stehen die etwas härteren Songs des Albums, von denen mit „wonderful life“ und „mantra“ bereits zwei bekannt sind. Auch „sugar honey ice & tea“ und „heavy metal“ – macht seinem Namen alle Ehre – stellen sich auf diese krachigere Seite, fallen in Gänze jedoch nicht minder elektronisch als der Rest von „amo“ aus. Gerade in diesen krachigeren Momenten funktioniert diese Symbiose aus alt und neu erstaunlich gut. Der Hörer findet hier unverkennbar eine gereifte Version von Bring Me The Horizon vor.
Wenn das Album dann in einer langen Streicher-Sektion ausklingt, blickt man auf eine sehr durchwachsene Reise zurück. Das Problem dabei ist nichtmal, dass die Briten sich noch weiter vom Metal entfernen und unverblümt Pop-Musik schreiben, sondern, dass dabei viel zu häufig jeglicher in der 15-jährigen Bandhistorie angespielter Charakter verloren geht.
Das Album “amo” kannst du dir hier kaufen.*
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Die Rechte für das Cover liegen bei RCA Records.
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