Das war ihr offensichtlich nicht genug Aufmerksamkeit: Beyoncé durfte eine der Rollen in einem der meisterwarteten Kinofilme 2019 sprechen – allerdings keine wirkliche Schlüsselfigur. The Lion King zieht seit dem 17.7. wieder Millionen ins Kino. Auch 25 Jahre nach dem Original ist die Magie um Simba und seinen bevorstehenden Aufstieg als Anführer der Tiere Afrikas nicht verblassen. Disney hat voll aufgefahren und weder Kosten noch Mühe gescheut. Die Animationen zeigen neuste Techniken und hauen alles raus, was geht.
Auch unter den Synchronsprechern wurde geklotzt statt gekleckert. Mit an Bord: Seth Rogan, Donald Glover, Chiwetel Ejiofor, James Earl Jones und eben der weibliche Teil des erfolgreichsten Musikerpaares der Welt. Beyoncé hat die Ehre und darf die erwachsene Nala sprechen. Zwar die größte Frauenrolle im Film, aber im Vergleich zu den dominanten männlichen Charakteren Simba, Mufasa, Scar, Timon und Pumbaa quasi bedeutungslos. Das scheint Queen Bey nicht zu genügen, immerhin ist man nicht der Krümel vom Blechkuchen, sondern die Hochzeitstorte. Nur den Titelsong einsingen? Come on. Beyoncé produziert lieber eine ganze Platte, die als zweiter Soundtrack den Film begleitet (lest HIER unsere Kritik zum eigentlichen deutschen Soundtrack) und nennt es The Lion King: The Gift. So viel Publicity wie aktuell um The Lion King gemacht wird, bekommt man ansonsten ja kaum. Die Frage ist nun – für wen ist dieses Geschenk? Für die Fans von Beyoncé? Für die Fans des Films? Die Antwort lautet: für sie selbst. Nämlich für ihr Konto. Musikalisch präsentiert der neue Longplayer viel mehr eine ausgetrocknete Wüste statt tropischem Dschungel.
Vor etwas über drei Jahren droppte mit „Lemonade“ das musikalische Meisterwerk der Sängerin. Ein stark unterschätztes Album, das auf allen Ebenen ablieferte. Konzept, Gesang, Beats, Videos. Viel perfektionistischer geht es nicht. Aber so langsam scheint sich Miss Knowles-Carter ein wenig zu sicher zu sein. Ihre Fanschar ist solidarisch bis zum Tod. Steht Beyoncé drauf, wird das gefeiert. Doch bereits letztes Jahr beim Duettalbum „Everything Is Love“ mit Ehemann Jay-Z tauchten erste Verschleißerscheinungen in der Kreativität auf (lest HIER nochmal unsere Kritik). Natürlich kein Totalausfall – wie soll das auch bei so guten Produktionen möglich sein? – nur eben keine wirklichen Ambitionen mehr. Eher Chillen als Arsch aufreißen. Dass sie es durchaus kann, wenn nötig, zeigt ihr wegweisender Auftritt vom Coachella 2018, der auf Netflix zu sehen und auch als Livemitschnitt unter dem Namen „Homecoming – The Live Album“ zu hören ist (lest HIER nochmal unsere Kritik). Bei The Lion King: The Gift hingegen handelt es sich um eine ziemliche Mogelpackung.
Erstmal ein paar Zahlen: 27 Tracks, 54 Minuten Musik. Das klingt doch ganz… wobei, stopp! Zwei Minuten pro Track? Nein. In Wirklichkeit setzen sich die 27 Stücke aus 13 (!) Interludes, die insgesamt knapp sechs Minuten in Anspruch nehmen, und 14 Songs zusammen, von denen zehn mit Beyoncé am Mic funktionieren. Solo trägt sie lediglich vier Lieder. Der Rest sind Features oder eigene Titel von Leuten wie Pharrell, Major Lazer, Kendrick Lamar und selbstverständlich dem Gatten Jay-Z. Außerdem wird zum wiederholten Male Tochter Blue Ivy ins Tonstudio geschleppt, die für Cuteness sorgen soll. Wenn’s sein muss.
Beyoncé fungiert als ausführende Produzentin der gesamten Platte und scheint auch die meiste Zeit mit der Produktion statt gutem Songwriting verbracht zu haben. Laut ihr selbst handelt es sich um einen Mix aus den Genres R’n’B, Pop, Hip-Hop und Afrobeat, was auch de facto nicht falsch ist, aber leider äußerst langweilig daherkommt. In ihren eigenen Stellungnamen spricht sie von „authentischem Sound“ und einem „Liebesbrief an Afrika“. Tatsächlich klingt die Platte aber viel mehr nach Hintergrundmusik in einem Safari-Souvenirshop. Mit den quantitativ überpräsentierten Interludes soll gezeigt werden, wie wunderbar sich die Stücke zu den einzelnen Szenen zuordnen lassen – allerdings hat der Sound überhaupt gar nichts mit den zuvor gehörten Dialogen zu tun. Hier und da wird zwar ein passendes Schlagwort aufgenommen, aber ansonsten sind Spielszenen und Tracks auch in beliebiger Reihenfolge zu hören. Funktioniert trotzdem, weil nicht von Belang. Das ist für einen klar als Konzeptalbum gekennzeichneten Longplayer entschieden zu wenig.
Auch hier gilt, ähnlich wie es beim Duettalbum mit Jay-Z war: wirklich schlecht ist nichts. Nur halt lieblos. Dabei beginnt mit „Bigger“ alles recht vielversprechend. Atmosphärischer Aufbau, der sich langsam steigert und mit ordentlich Trommelwirbel für das passende Mama Africa-Feeling sorgt. Doch dann ist für mehrere Titel am Stück absoluter Leerlauf. Hier ein bisschen Trap, da ein bisschen Bongotrommel – aber vor allen Dingen kaum Melodie. In „Nile“ (feat. Kendrick Lamar) setzt Beyoncé nach fast 80 Sekunden zum Rappen an, erinnert kurzzeitig an frühere Highlights aus ihrer Karriere a la „Diva“ oder „Countdown“ – und dann ist nach 1:48 der gesamte Song schon zu ende. Warum? „Find Your Way Back“ beginnt gefühlt gar nicht erst und klingt wie der Track davor und danach – eben wie ein Übergang.
Gesanglich wird sich maximal beim Titellied „Spirit“ angestrengt und selbst das ist für einen Disney-Song unglaublich unspektakulär. Von tief unten bis zur Kopfstimme zwar alles dabei, aber auch dabei sucht man vergeblich einen Ohrwurmrefrain, von einer Hymne ganz zu schweigen. Balladen wie „Otherside“ huschen nahezu ohne Berührung an einem vorbei, „My Power“ (feat. Tierra Whack & Moonchild Sanelly) verlockt dank nervtötendem Refrain zum Skippen. Trotzdem lassen zwei Liedchen positiv aufhorchen – „Brown Skin Girl“ (feat. SAINt JHN, Wizkid & Blue Ivy Carter) ist genau in der Mitte der Platte positioniert und verführt den Zuhörer dann doch dazu, weiterzuhören, nachdem die Aufmerksamkeit leider fast komplett aufgebraucht ist. Sommerfeeling und das einzige Male Eingängigkeit und schmeichelnde Melodielinie. Auch zu „Already“ (feat. Shatta Wale & Major Lazer) darf ordentlich die Hüfte geschüttelt werden. Das hätte auch Potenzial für ein reguläres Album der Protagonistin gehabt, was ganz klar an dem catchy Beat von Major Lazer liegt.
Zum Glück handelt es sich bei The Lion King: The Gift nicht um den regulären Soundtrack des Films und auch nicht um das wirkliche neue Album von Beyoncé. Das lässt noch ein wenig auf sich warten. Nachdem sie sich von dem Zwang gelöst hat, die Singlecharts zu dominieren und stattdessen ihre musikalische Qualitätsessenz zu optimieren, darf also weiterhin auf stimmiges Material gehofft werden. Unser Wunsch: bitte mehr Richtung „Beyoncé“ und „Lemonade“ und weiter weg von Longplayern, die besser nur eine EP wären, als Fangeschenk verkauft werden, aber letztendlich doch zum Selbstzweck verkommen.
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