Courtney Barnett sitzt mit Akustik-Gitarre und schlichtem weißen Shirt unter einem sanft leuchtenden Baum und verkörpert ein weiteres Mal die Vollkommenheit des Unvollkommenen. In der einst legendären Reihe von MTV Unplugged haben sich bereits unzählige Musiker*innen einem Soundstriptease unterworfen, mittlerweile dürfen nahezu alle kommerziell erfolgreichen Acts in Nirvanas Fußstapfen treten. Hierzulande zum Beispiel Andreas Gabalier, Revolverheld oder Santiano. In Australien sitzt mit Courtney Barnett nun im Gegensatz eine der wichtigsten Singer-Songwriterinnen der letzten Jahre auf dem Stuhl bereit, die abgebrühte Slacker-Attitüde für das kleine bisschen Instropektive eines solchen reduzierten Klangrahmens zu öffnen. Diese Werkschau des Ungekünstelten führt durch Barnetts Karriere, wagt neue Perspektiven, geht Kolliationen ein.
Alles Gold, was nicht glänzt
Acht Songs präsentiert Barnett mit ihrer Band, bestehend aus Drummer Dave Mudie, Bassist Bones Sloane und Cellistin Lucy Waldron, die die Singer-Songwriterin auch immer wieder mit Background-Gesang unterstützen. Fans der authentischen Slacker-Attitüde Barnetts dürfen aber aufatmen: Durch die reduzierte Spielart verliert die Australierin nichts an ihrer Lässigkeit, auch von übertriebenem Bombast ist trotz wiederholten Streicher-Einsätzen nichts zu spüren. Mit “Avant Gardener” hat sich sogar ein Song aus der Frühphase der Musikerin auf die Platte geschlichen, der mit zittrigen Streichern den Drogentrip des lyrischen Ichs anschaulich überträgt, “Depreston” ist als einziger Song dem großen Durchbruch “Sometimes I Sit And Think And Sometimes I Just Sit” entnommen. Die beiden Auskopplungen aus dem aktuellen Album “Tell Me How You Really Feel” veranschaulichen aber wohl am eindrucksvollsten die Möglichkeiten des Unplugged-Rahmens für die sonst oft knarzenden Stücke Barnetts. “Sunday Roast” steigt noch melancholisch ein, verspricht, immer da zu sein, erhebt sich mit Chören und Streichern schließlich in den alles umarmenden Wohlfühlmoment, der vor allem dank Barnetts niemals perfekter Stimmlage wie der erhabenste Freundschaftsbeweis erscheint. Das feministische Manifest “Nameless, Faceless” tauscht hingegen die Gitarre der Original-Version mit einem Klavier, sucht die gesangliche Unterstützung durch den*die australische non-binäre Musiker*in Evelyn Ida Morris, wodurch anstelle der Haudrauf-Attitüde die nackte Panik von Frauen, die nachts alleine unterwegs sind, mit immer bestimmteren Akkorden Luft gemacht wird.
Australien als fünftes Bandmitglied
Neben den eigenen Songs hat Barnett aber auch drei Cover anzubieten, deren Soundideen dem Album noch ganz neue Facetten ermöglichen. “Charcoal Lane” des Musikers Archie Roach, dessen Songs sich mit der Diaspora der Aborigines beschäftigen, trägt Barnett mit Paul Kelly vor, ihre gemeinsame Version ist kräftiger, bestimmter als das Original. “Not Only I” des australischen Indie-Rock-Trios Seeker Lover Keeper gewinnt hingegen vor allem dank des neuseeländischen Musikers Marlon Williams an Emotionalität, wenn sich seine sehr ausdrucsstarke Stimme mit Barnetts trockenem Vortrag mischt. Zum Abschluss gibt’s sogar ein Leonard-Cohen-Cover: “So Long Marianne” hat etwas Ehrwürdiges, betont noch einmal Barnetts Werdegang durch die Schule der Songwriting-Koryphäen; nicht nur Cohen, sondern auch Patti Smith stecken in jeder Strophe, jedem Akkord dieser Unplugged-Versionen.
Zum emotionalen Höhepunkt kommt es aber beim neuen Song “Untitled (Play It On Repeat)”, indem Courtney Barnett sich ohne schützende Wand, ohne viel Hall an intime Bekenntnisse à la “Maybe I belong, maybe I don’t” oder “Would you even care if you never see me again?” begibt. Wenn die sonst so taffe Sängerin ihre Verletzlichkeit so zur Schau stellt, hat das etwas von den ganz großen Momenten des MTV Unplugged-Erlebnisses. Und nicht weniger konnte man von dieser Ausnahmemusikerin wohl erwarten.
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Rechte am Albumcover liegen bei Marathon.
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