Der Einstieg in das vierte Citizen Album ist ein gewaltiger: Am Anfang der Reise steht eine dicht zusammengezimmerte Post-Hardcore-Soundwand. Doch der anfängliche Krach täuscht, denn „Life In Your Glass World“ ist alles andere als eine Rückkehr zu alten Grunge-Tagen. Wenige Momente nach dem eindrucksvollen Start macht das selbst das Eröffnungsstück „Death Dance Approximately“ deutlich, wenn Krach und Lärm sich fix in ein tanzbares Indie-Rock-Monstrum verwandeln. Und auch das anschließende „I Want To Kill You“ macht es ganz gegensätzlich zum harschen Titel seinem Vorgänger gleich und würde sich zu normalen Zeiten merklich in Indie-Disco-Kontexten wohlfühlen. Citizen goes Indie-Rock? Kann was!
Der Sound, der Grammys gewinnt
Ganz neu sind diese Elemente für die Band aus dem Nord-Osten der Vereinigten Staaten natürlich nicht. Spielfreude und ein Hang zum Experiment durchzogen schon immer deren Sound. In dieser Konsequenz standen jedoch noch nie Beats und Rhythmen im Zentrum der Songs. Ursächlich dafür ist im wesentlichen der Ausstieg von Ex-Schlagzeuger Jake Duhaime, der Citizen zusammen mit dem Ausscheiden von Gitarrist Ryland Oehlers zum Trio schrumpfen ließ. Bandsprachrohr und Hauptsongwriter Mat Kerekes sowie die Gebrüder Nick und Eric Hamm ließen sich davon scheinbar nicht aus dem Konzept bringen. „Life In Your Glass World“ ist neben seiner Freude Menschen in (Tanz-)Bewegung zu bringen nämlich vor allem eins: Lässig.
Eine schlechte Entscheidung scheint die eingeschlagene Weiterentwicklung der drei Amerikaner nicht gewesen zu sein. Immerhin bewiesen gerade erst fünf findige Kollegen aus New York City, dass sich mit dem Sound von Songs wie „Call Your Bluff“ – samt waschechten The Strokes Stakkato-Strophen – „Thin Air“ oder „Pedestal“ auch im Jahr 2021 noch ein Grammy gewinnen lässt. Tatsächlich versprüht „Life In Your Glass Word“ stellenweise eine ähnlich entspannte Erhabenheit wie das letztjährige „The New Abnormal“. Am weitesten treibt diese Suche nach Neuem das schelmische „Fight Beat“, das – als wäre es das Normalste der Welt für eine ehemalige Emo-Band – ganz nebenbei mit Electronica-Ästhetiken kuschelt.
Zeit für Melancholie
Kerekes Texten entsprechend nachdenklich wird Citizen Langspieler Nummer vier vor allem hinten raus. „Glass World“ an Stelle neun verzichtet zwar ebenfalls nicht auf einen zuckeligen Beat, kommt mit seinem schrammeligen Akustik-Arrangement einer Ballade aber am nächsten. „Winter Buds“ beschwört anschließend die Melancholie des Herbstes herauf, bricht diese Assoziation mit seiner schweren Bridge jedoch schlussendlich auf. Und „Edge Of The World“ ist genau der erhaben-großartige Abschluss-Moment, den ein solches Album benötigt. Wenn Kerekes seine Stimme hier für die letzten 60 Sekunden majestätisch über das antreibende Instrumental hebt, dann verfestigt das den schon zuvor immer wieder aufkeimenden Eindruck noch weiter: Citizen steht dieser Sound ungemein.
Hier (Vinyl) und hier (digital) kannst du dir das Album kaufen.*
Luis hat mit Mat Kerekes zum Album ein Interview geführt. Das gibt es hier.
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Die Rechte für das Cover liegen bei Run For Cover Records.
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