Es blubbert, schimmert, umgarnt – all das sind keine typischen Umschreibungen für den Sound einer Hardcore-Platte. „Glow On“, das dritte Album der US-Amerikaner Turnstile, jedoch macht genau dies zu einem der spannendsten Genre-Alben der vergangenen zehn Jahre. Über fünfzehn Kapitel lädt die Band darauf in ein reinigendes Erholungsbad in Pastellfarben. Das hat – zwischen den Zeilen – jedoch auch seine kühlen Plätzchen, doch dazu an anderer Stelle mehr.
Schaumbad
Drei grobe Zutaten führt die Band um Sänger Brendan Yates beisammen, die dann das Schaumbad von „Glow On“ ergeben. Zunächst – die erste Blubber-Tablette – wäre da groovig-geschustertes Hymnen-Material, das die tensidisch-befreiende Härte des Hardcore mit der umschmiegenden Melodiösität von Alternative und Punk vermengt. „Mystery“ etwa, „Holiday“ oder auch „Blackout“ profitieren ungemein von der Vielfalt, die Yates Gesänge neuerdings abbilden. Zu ihnen stoßen Lieder, die die altbewährte Riff-Stückelung in neue Gewässer vordringen lässt. „Don’t Play“ zum Beispiel ist einer dieser Songs. Der steigt mit Tempo 170 ein, wechselt dann zwei Mal die Geschwindigkeit und setzt ein oldschooliges Solo neben kathartisch-reinigende Gang-Shouts. „T.L.C. (Turnstile Love Connection)“ oder „Humanoid / Shake It Up“ sind zwei andere. Auch sie brechen mit ihrem anfangs gesetzten Tempo. Auch sie erfordern in Rhythmik und Dynamik binnen kürzester Zeit unterschiedlichste Arten des Hardcore-Tanzes.
Fernab des schimmernden Hit-Pulvers und der neu durchmischten Alt-Formel brechen Yates und Kollegen aus etablierten Mustern aus: die dritte Zutat im Entspannungs-Bad. „Underwater Boi“ klingt so sehr nach Whirlpool-Blubber wie sein Titel verspricht, „Alien Love Call“ imitiert atmosphärischen Indie, die Gitarren von „New Heart Design“ wiederum lauschigen Jazz und „No Surprise“ kuschelt mit R’n’B und Indietronic.
Die flüssig-umgarnende Substanz, die all diese unterschiedlichen Stilistiken in ein wohliges Bad überführt, ist die Produktion. Deren luftige Ästhetik nimmt dem Sound der Band an Stress. Zwischen den Songs sind das knisternde Analog-Synthesizer oder gedankenverlorenes Piano. Während die Musik spielt wiederum binden das Gemisch verwaschen-greifbare Gitarren, Percussion-Konzentrat und hallig in den Flüssigkeiten umhertreibende Gesangslinien. Neben Yates selbst brühte diese Bademelange Mike Elizondo. Der war zwar zuvor auch bereits an Gitarrenproduktionen beteiligt, machte bislang aber eher Hits von Rap-Giganten wie Eminem, 50 Cent und Dr. Dre ausgehfertig.
Kaltes Wasser
In das sonst lauwarme Wasser lassen zwischendrin einzelne Textfragmente Flüssigkeiten ein, die die wohlig-umgarnende Ästhetik von Musik und Gesang mit Kälte kontrastieren. „No one makes it out the fire“, heißt es in „Wild Wrld“, „Still can’t fill the hole you left behind“, wiederum in „Fly Again“ und „I’m lonely all the time“, in „New Heart Design“. Es sind diese kleinen Momente, die klar und deutlich durch das Wasser blasen: Es ist lange nicht allerorts geborgen und warm.
Doch zurück zum Anfang. Es gibt sie auch in den letzten Jahren, diese Grenzsprenger-Alben. Da wären „Floral Green“ von Title Fight, „Stage Four“ von Touché Amoré oder auch „Underneath“ von Code Orange. „Glow On“ gesellt sich zu diesen aktuellen Meilensteinen des Hardcore-Genres und teilt sich mit ihnen einen primär eines: Den Willen Konventionen hinter sich zu lassen. Und wann sonst möchte man sich mal in eine Hardcore-Platte hineinlegen?
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Die Rechte für das Albumcover liegen bei Roadrunner Records.
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