Chvrches – Screen Violence

Chvrches Screen Violence

In der Welt der klassischen Horrorfilme haben Frauen nur selten etwas zu sagen. Das Narrativ ist so repititiv, dass es sich irgendwann zu einem stumpfen Formular entwickelt hat: eine heteronormative Familie wird von gruseligen Entitäten (die nicht selten queere, disabled oder BIPoC-Personen darstellen sollten) heimgesucht – die Frau schreit, der Mann rettet schließlich alle. So bekannt der Plot, so groß die Ähnlichkeit zu gesellschaftlichen Diskursen. Spannendes Terrain für ein Album, keine Frage. Aber gerade mit dem sonst so schillernden Synth-Pop-Sound des britischen Trio Chvrches hätte man das Thema jetzt nicht unbedingt verbunden. Doch in einer dem Lockdown geschuldeten räumlichen Distanz eröffneten sich Iain Cook, Martin Doherty und Lauren Mayberry jeweils ihre düstersten Geheimnisse. Und plötzlich ziehen dunkle Wolken über dem Indie-Paradies auf.

Der Sturm nach der Ruhe

Iain Cook formulierte im Brimborium vor dem Release dieses vierten Albums den Satz: „Wenn etwas keine Ecken und Kanten hat, finde ich es nicht besonders ansprechend.“ Etwas bizzarr, dass genau dieser Vorwurf von vielen Seiten auf ihr 2018er Album „Love is Dead“ einprasselte. Auch wenn fraglos einige Hits auf diesem bunten Werk stattfanden – so ganz kam es einfach nicht an die ersten beiden Platten heran. Nun also eine ganz andere Herangehensweise und siehe da: Da ist er wieder, der alte Vibe. Genau der, bei dem die Tanzfläche zwar bebt, aber gleichzeitig auch der Nährboden für Tränen der Verzweiflung ist. Diese tropfen im vollkommenen Moment der Katharsis gen Abgrund und schon auf diesem Weg werden sie von Mayberrys intensivem Gesang sowie den unverkennbaren Synthies und Beats wohlbehütet aufgefangen. So düster „Screen Violence“ stellenweise auch sein mag – irgendwie fühlt sich diese Platte einfach an wie nach Hause kommen.

Alles auf Anfang

Einzig die Vocals und das Mixing führte das Dreiergespann am selben Ort aus. Wahrlich bemerkenswert, dass trotz oder gerade wegen der räumlichen Trennung so viel Herzblut in diesem Album spürbar ist. Im Zentrum steht dieses Mal noch expliziter als je zuvor Mayberrys gesellschaftskritische Haltung. Bisher wurde diese vor allem auf Social Media ausgetragen, aber nun verschmelzen Kunst und Protest zu einem ergreifenden musikalischen Faustschlag. So hinterfragt „Final Girl“ mit knirschen Gitarren-Einsätzen das Konzept der letzten überlebenden Frau im Horrorfilm und spannt damit einen spannenden Bogen zu „He Said She Said“, das mit Turn Up und Autotune gegen Gaslighting und Patriarchat ausholt. Musikalisch ein Spagat, inhaltlich jedoch eine klare Linie. Und genau deswegen ist „Screen Violence“ auch anders als sein Vorgänger ein ergreifendes Gesamtkunstwerk. Mal schauen düstere Streicher vorbei („Nightmares“), mal Stimmverzerrer („Asking for a Friend“), mal Robert Smith von The Cure (!) („How Not To Drown“). Das sorgt für genügend Abwechslung im Spannungsfeld zwischen leiser Hoffnung und finsterer Atmosphäre. Tanzen am Abgrund funktioniert hier zumindest hervorragend.

Dass Chvrches mit „Screen Violence“ somit tatsächlich den Horrorfilm in den Synth-Pop-Kosmos entführt haben, ist für alle Beteiligten ein wichtiger Schritt nach vorne. Und wenn nebenbei „Violent Delights“ noch ein weiterer lebendiger Beweis für das Hymnen-Songwriting dieser Band ist, bleibt nur eins zu sagen: Gut, dass uns Chvrches in der Apokalypse beistehen!

Das Album „Screen Violence“ kannst du hier (Vinyl) oder hier (digital) kaufen.*

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