Konzertbesuche haben ihre Tücken. Geht man zu einem, auf das man sich seit Monaten gefreut hat und dessen Künstler*in man schon lange verehrt, ist die Erwartungshaltung entsprechend hoch und der Fall der Enttäuschung oftmals tief. Dann gibt es aber auch Konzertbesuche, von denen man äußerst wenig oder etwas komplett falsches erwartet und doch gut unterhalten oder überrascht wird. Guildo Horn gehört zur zweiten Kategorie – und hat diese quasi perfektioniert.
Guildo Horn? Ok, jetzt geht’s los. Was ist passiert? Wo kommt der her, wo war der die ganzen Jahre, warum geht der dorthin nicht zurück? Tatsächlich hat Horst Heinz Köhler, wie der in Trier geborene 58-jährige Künstler bürgerlich heißt, ein unglaublich schlechtes Image. Oft wirkt er wie ein schlechtes Helge Schneider-Imitat, unglaublich klamaukig, albern und ein wenig dösig. Alles Attribute, die nicht von irgendwoher kommen. Den Allermeisten scheint er mit seinem zwar kultigen, aber auch etwas fremdschämigen Eurovision Song Contest-Auftritt im Jahre 1998 in Erinnerung geblieben zu sein. “Guildo hat euch lieb!” hat aufgrund seiner Skurrilität damals den 7. Platz geholt. Seit den 1990ern gab es übrigens nur fünf Titel, die für Deutschland besser abschnitten. Ja, erschreckend.
Und dann war mit der ganz großen Medienpräsenz eigentlich auch schon wieder Schluss. So richtig gefruchtet hat das spezielle Konzept des “Meisters”, wie er gern genannt wird, also nicht. Dabei ist Guildo Horn weitaus mehr, als man zunächst vermuten mag: Der studierte Musikpädagoge hat in einigen Musicals mitgespielt, mehrmals geschauspielert, setzt sich für die Integration von Menschen mit Behinderungen ein und moderiert im Hörfunk. Ach? Jawohl, das ist die andere Seite des vielseitigen Entertainers.
Dennoch sind all diese Fakten ja noch lange kein Grund, eine ausgiebige Weihnachtstour zu machen. Was jedoch bereits 1994 – also vier Jahre vor dem Eurovision – in Trier mit einer Show am 23.12. begann, ist fast drei Dekaden später in einer Dimension angekommen, die surreal erscheint: Gleich 17 (!) Konzerte sollten zwischen Mitte November und einem Tag vor Heiligabend gespielt werden. Corona hat hier aber erneut zuletzt und am besten gelacht und einen Großteil, insbesondere sämtliche Konzerte mit Stehplätzen, von der Agenda gestrichen.
Zum Glück ist aber die Christuskirche in Bochum mit festen Bänken ausgestattet und kann dem Publikum freie Platzwahl bieten, bei der zwar neben 2G auch ein tagesaktueller Schnelltest gefordert wird und permanent eine Maske zu tragen ist, aber das ist mittlerweile kaum noch erwähnenswert. Doch wer zur Hölle rennt bitte diesem Typen auf vermeintlich 17 Shows die Hütte ein? Und noch viel wichtiger: Warum? Schon vor dem Eingang wird deutlich, dass sich die Laune der Zuschauer*innen anscheinend bereits zuhause auf höchster Stufe befand, da viele weihnachtlich angezogen sind. Ob Ugly Christmas Sweater, bunte Lichterketten um den Hals oder trashige Weihnachtsbaummützen – Bad Taste? Good Taste!
Konzerte dieser Art bewegen sich oft auf einen äußerst schmalen Grat. Schnell kippt das Publikum in Richtung Randale und durch Alkohol geschuldeter Verhaltensauffälligkeit, was sich aber zumindest bei dieser Show völlig in Grenzen hält. Nun aber genug Spannungsbogen. Als um 20:12 Uhr alle endlich sitzen, geht das Licht aus – und ein Feuerwerk zündet.
Um 22:22 Uhr und somit ganze 130 Minuten später steht zweifelslos fest: Guildo Horn hat einfach mal das geilste Konzert gespielt, was in Coronazeiten möglich ist. Ein Konzert, das sich endlich (!) wieder wie Konzert anfühlt. Ein Konzert, bei dem von Sekunde 1 jede*r mitgeht, Bock hat, lauthals mitsingt – so gut das unter einer Maske eben geht -, klatscht und jubelt und bei dem einfach pure Energie fließt. Man mag glauben, wir lügen, aber wow, war das geil.
Was einen erwartet: Eine mehr als zwei Stunden anhaltende Reise durch die Musikgeschichte. Hits von Simon & Garfunkel und ABBA, über Elvis und Earth, Wind & Fire, Europe, The Bangles, Queen bis hin zu modernen “Cordula Grün”-Melodien. Guildo Horn nimmt die allergrößten Partytracks wie “Celebration”, “YMCA” oder “The Final Countdown”, versetzt sie mit witzigen, ironischen, teils zynischen, aber stets klugen deutschen Texten mit Weihnachtsthematik. Das ist so einfach und klassisch wie genial – wenn es denn richtig gemacht wird.
Denn ja, jede 0815-Top 50-Coverband spielt “September” oder “Chiquitita” und landet damit eine Bauchlandung. Oft aus dem Grund, weil sie den Songs nicht gewachsen sind. Gerade bei Titeln, die jede*r sehr gut im Ohr hat, wird es arg peinlich, wenn die Band oder die Sänger*innen nicht liefern. Und wer seine Band Die Orthopädischen Strümpfe nennt, stapelt wirklich tief, muss man sagen. Die sind aber unter der musikalischen Leitung von Addi Mollig einfach eine 11 von 10. Wie gut kann man bitte sein? Klassiker gut nachzuspielen, ist schon schwierig. Sie aber so hervorragend zu arrangieren, dass sie aus Drums, Gitarren, Bass, Keys und Saxophon einen dermaßen fetten, knallenden Sound herausholen, dass es einem die Ohren wegbläst, ist Königsliga.
Genau das ist womöglich das Beste an dem ganzen Konzert: Guildo Horn mag zwar die Gallionsfigur mimen, ist aber exakt genauso wichtig, wie die anderen fünf Musiker*innen auf der Bühne. Horn singt tonal stets korrekt und hat mit seiner old fashioned Schlagerstimme ein tolles Timbre, aber sowohl Mademoiselle Gazelle als einziges weibliches Ensemblemitglied am Saxophon als auch die männliche Crew liefern hochkarätig ab. Das Timing stimmt immer. Trotz unzähliger, unerwarteter Tonart- und Beatwechsel und untypischer Harmonien klingt alles wie aus einem Guss – und das ganz ohne irgendeine Unterstützung vom Band. Das ist wirklich pure Rarität heutzutage und wahrhaft handgemachte Musik.
Guildo Horn unterhält zwischen den Songs mit seiner gut trainierten Radio-Voice mit witzigen Anekdoten, treffsicheren Wortwitzen und wertschätzenden Danksagungen. Textlich machen besonders die Geschichte um eine kurz vor dem Schlachten stehende Weihnachtsgans auf der “Bridge Over Troubled Water”-Melodie, ein schickes “In der Krippe”, das vielen besser als “In The Ghetto” bekannt sein sollte, eine besinnliche Figur. Ebenso ein vortreffliches Intro, das “Superstar” aus dem Musical Jesus Christ Superstar entlehnt wurde. Fragt man sich, warum darauf nicht schon vorher jemand kam.
Nicht zuletzt trägt auch die Crowd einen ungemeinen Teil zum Erlebnis bei. Guildo Horn animiert zu fast jedem Song die Zuschauer*innen zum Mitmachen. Ob mit Chören, winkenden Armen, Weihnachtsbaumpantomimen und anderen kreativen Einfällen. Langeweile wird hier für 130 Minuten zum Fremdwort. Denn mit Sicherheit sind anspruchsvolle Konzerte immer schön und beeindruckend, aber eben auch passiv – hier trifft Anspruch hingegen auf Witz und eine unglaublich große Ladung Spaß und Freude, die jede*r mit Sicherheit sehr, sehr nötig hat.
Der Frontmann zieht sich einige Male um und hat viele auffällige Outfits im Gepäck. Ob oberkörperfrei mit Engelsflügeln oder im Body, der an einen Weihnachtsstern erinnert – wer kann, der kann. Wäre es nur das, wäre es klamaukig und unangenehm. In Kombination aber mit dieser sensationellen Band und dem gut überlegten Humor in den Lyrics, ist es grandios. Das setzt äußerst viel Intelligenz in der Mache voraus.
Am Ende kann man eigentlich nicht sagen, was genau das Highlight war. Das Highlight war das Konzert. So einfach ist das. Ein Happening, bei dem man dabei gewesen sein muss. Schlager anno 2021, wie er zu sein hat. Eine Show mit so viel Elan, Können, Spritzigkeit und Power, die unmittelbar auf die Zuschauenden überschwappt. Absolut perfekter Abend mit Entertainment auf 5-Sterne-Niveau. Die Tickets, für die man knapp über 30€ hinlegen sollte, dürften gern das Doppelte kosten und wären immer noch jeden einzelnen Cent wert. Sind die Termine für 22 schon raus?
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Foto von Christopher Filipecki.
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