Junior Eurovision Song Contest 2021: Ergebnisse & Meinungen

Woran man erkennt, dass sich Weihnachten 2021 anders anfühlt als Weihnachten 2020: Veranstaltungen! War letztes Jahr für uns Kulturliebende so gar nichts möglich, gab es ebenso nur eine geringe Anzahl an TV-Shows, die live funktionierten. Schaut man sich aber aktuell um, sieht man, dass immerhin ein paar Events besucht werden können und Fernsehaufzeichnungen auch kein allzu großes Problem darstellen. Ja, Corona wirkt ein wenig besser händelbar – und Veranstaltungen wieder lebendig. Gut zu erkennen am Junior Eurovision Song Contest 2021.

Zwar läuft das kleine Geschwisterchen vom großen Eurovision erst in der 19. Ausgabe, dafür aber ohne Unterbrechung seit 2003 durch. Der große ESC musste wegen der Corona-Pandemie 2020 aussetzen. Bis zum Junior ESC, der stets im November oder Dezember stattfindet, war jedoch genug Zeit, um ein Sicherheitskonzept zu entwickeln, sodass dieser letztes Jahr nicht ausfallen musste. Dafür gab es allerdings in Polen, wo der Wettbewerb 2020 Platz fand, nur ein sehr, sehr kleines Publikum und – noch viel trauriger – nicht mal die Teilnehmer*innen vor Ort. Von denen wurden stattdessen vorher Auftritte aufgezeichnet, die in der Sendung auf Leinwand liefen. Das macht beim Zuschauen wehmütig.

Am 19.12.2021 ist jedoch wieder fast alles beim Alten. Gleich 3500 Zuschauer*innen bringen die Halle La Seine Musicale zum Beben. Klingt frankophil? Ist es auch. Dank der putzigen Valentina, die mit ihrem „J’imagine“ die Jurys und Leute vor den Fernsehern im Sturm zu erobern wusste, war Frankreich das diesjährige Austragungsland, konkreter die Stadt der Liebe, nämlich Paris. Und ja, wer 1 und 1 zusammenzählen kann, weiß nun auch, wo sich wohl die Location befindet – auf einer Insel auf der Seine. Mehr L’amour l’amour ist nicht möglich.

Frankreich konnte letztes Jahr zum ersten Mal den Junior ESC gewinnen, was bei vier Teilnahmen bis dato auch gar keine schlechte Quote darstellt. Und für einige Minuten sieht es 2021 so aus, als ob die Show einfach dort ein Jahr nächtigen dürfte. Wie beim großen Eurovision seit einigen Jahren üblich, werden auch bei der Kids-Ausgabe die Punkte der Jurys – bestehend aus zwei musikalischen Kindern des Landes plus drei Erwachsenen, die mit Musik ihr Geld verdienen – und die Punkte des Onlinevotings – ganz kostenlos und pro Gerät drei Stimmen – getrennt vorgelesen. Laut Jury soll Frankreich erneut mit der Goldmedaille geehrt werden, aber…

Doch Sprung zurück. Schon das Opening mit dem französischen DJ-Duo Ofenbach macht ordentlich Alarm. Die Hütte kocht, das Publikum macht Party – die getragenen Masken fallen mittlerweile nicht mal mehr auf. Der Junior ESC fühlt sich fast schon genauso groß an wie der eigentliche Eurovision im vergangenen Mai. Aufwendige Bühne, tolle Lichteffekte. Dass die Teilnahme generell leichter fällt, wird auch daran deutlich, dass dieses Jahr 19 Länder mitmachen. Im Vergleich zu ungefähren 45 vom Großen immer noch lächerlich, aber dennoch mehr als nur 12 Länder, die 2020 dabei waren. Alle aus dem vergangenen Jahr sind wieder am Start, bis auf Belarus, das aufgrund schwieriger Umstände und politisch inkorrektem Verhalten von der EBU für einige Zeit gesperrt wurde. Dazu gesellen sich acht Rückkehrländer, ein Debüt gibt es in 2021 nicht.

Das gab es jedoch letztes Jahr, und zwar Deutschland. Ja, man glaubt es kaum. Eins der fünf tragenden Länder beim großen Eurovision hat 18 Jahre gewartet, bis es erstmalig mitmachte – und direkt den letzten Platz belegte. Mööööp. Das Schöne daran: Schlechter wird man nicht mehr. Die Erwartungshaltung waren also niedrig und wurden zum Glück sogar um Längen übertroffen. Pauline nennt sich unsere diesjährige Vertreterin, die mit ihrem „Imagine Us“ einen unglaublich ohrwurmlastigen, sympathischen und schönen Pop-Song präsentiert, den sie dazu noch richtig gut vorträgt.

„Imagine Us“… hat letztes Jahr nicht „J’imagine“ gewonnen? Ja. Dazu lautet das Motto dieses Jahr auch noch „Imagine“. Vielleicht ein wenig zu gewollt. Letztendlich muss sich Pauline trotz einer rundum sorglos Performance, bei der alles stimmte, mit einem mickrigen 17. Platz zufrieden geben. Drittletzte. Wieso? Zwar ist Deutschland bei den Eurovision-Statistiken gar nicht so schlecht, wie gern behauptet wird und sogar Platz 10 in den All-Time-Winner-Listen, aber gefühlt müssen wir oft viel, viel mehr liefern, um überhaupt irgendwie Beachtung zu erhalten. Das schmerzt bei Kindern noch mehr.

Aber lassen wir die politischen Dimensionen außer acht. Obwohl, nein! 50% des Endresultats sind die Jury, 50% Onlinevotings. So weit, so fair. Dass aber vermeintlich neutrale Jurys ohne mit der Wimper zu zucken, Punkte an ihre Verbündeten vergeben, ist unangebracht und wird auch mit ausbleibendem Applaus abgestraft: Jurys aus Azerbaidschan, Russland und Kasachstan schieben sich die zwölf Punkte gegenseitig hin und her. Unterirdisch. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln.

Auf musikalischer Ebene zeigt der Junior ESC erneut, dass er zu unrecht etwas im Weihnachtstrubel untergeht. Einige Hits haben sowohl das Potenzial, im Radio durchzustarten, als auch auf der großen Eurovision-Bühne zu performen. Etwas unangenehm wird es immer dann, wenn die Unter-14-Jährigen versuchen wie die Großen zu wirken und aus ihrer kindlichen Rolle komplett herausschlüpfen, aber so ist eben das Game. Die einen machen vor, die anderen nach. Gesanglich zeigen hier viele, was in ihnen steckt. Kaum eines der Kinder hat bisher wenig Bühnenerfahrung, gleich mehrere haben in ihren Ländern bereits Shows wie „The Voice Kids“ gewonnen. Professionalität, die beeindruckt und beängstigt, wenn man daran zurückdenkt, was man selbst in dem Alter getan hat.

Wirklich starke Songs sind das international klingende „Somebody“ aus Polen, vorgetragen von Sara James, die schon jetzt aussieht wie ein Star. ESC-Fans fragen sich nicht ohne Grund, warum Polen bereits zweimal die Junior-Ausgabe gewinnen konnte und hier seit einigen Jahren ziemlich abliefert, beim eigentlichen ESC aber bisher nur einmal die Top 3 und nur dreimal die Top 10 enterte. Ballert man sämtliche Ideen lieber für die Kleinen raus? Bei der Endtafel steht auch dieses Jahr Polen wieder auf Rang 2.

Einige Male wird es edgy. Italien konnte im Mai zeigen, dass Rock keinesfalls tot ist und hat mal eben mit Måneskin die Band des Jahres in den Ring geworfen, die nach ihrem Sieg beim ESC 2021 die gesamte Welt erobern konnten. Elisabetta Lizza probiert mit ihrem Track „Spacchio (Mirror On The Wall)“ in eine ähnliche Kerbe zu schlagen, muss sich final aber mit Platz 10 begnügen, da ihre Bühnenpräsenz einfach nicht ausreicht. Wie es mit einem ähnlichen Stil genau richtig geht, beweist die Ukraine. Olena Usenko legt mit „Vazhil“ nicht weniger als die gesanglich beeindruckendste Darbietung des Tages hin – abends kann man nicht sagen, da die Show nach deutscher Zeit von 16:00 bis 18:40 Uhr läuft – und klingt so wie Christina Aguilera, als die noch singen konnte. Wow. Immerhin ein solider Platz 6.

Überraschend ist hingegen die Bauchlandung Irlands. Kompositorisch ist das auf irisch gesungene Lied „Saor“ von Maiú Levi Lawlor ziemlich großartig, er lebt es auch zu jeder Sekunde. Nur die Töne sind nicht ganz so, wie sie sollten. Wirklich schlimm wird es aber bei schiefen Tönen aus Malta und nicht aushaltbarem Überkitsch aus Bulgarien. Dafür ist Diversität und Integration auch beim Junior ESC kein Fremdwort: Kasachstan sendet zwei Jungs, darunter einen im Rollstuhl. Das verdient Props, wenn auch nicht für den Song.

Am Ende siegt Armenien. Ach ja, stimmt. Das Land gibt’s ja auch. War beim großen ESC bisher nur zweimal Platz 4 drin, ist beim Junior nun nach 2010 schon der zweite Sieg in der Tasche. Nicht ganz unbegründet, hat Sängerin Maléna mit ihrem „Qami Qami“ ein Lied abgeliefert, das durch seine modernen Beats den Nerv der Zeit trifft und mit Sicherheit in mehreren Spotify-Playlists auf Heavy Rotation laufen könnte, ohne anzuecken. Cool und eingängig in jeder Hinsicht. Zwar reichte es nach Jurys nur für den dritten Platz – die meisten Punkte beim Onlinevoting sind aber, wie auch so oft beim eigentlichen Eurovision, der entscheidende Faktor.

Zwischen den Acts und dem Ergebnis gibt es mit der Siegerin Valentina aus dem letzten Jahr und Barbara Pravi, die dieses Jahr beim großen ESC Platz 2 belegen konnte, stimmige Filler. Ach ja, Frankreich. Darauf wollten wir doch nochmal zurückkommen. Jury ist eben nur die halbe Miete. Dort Platz 1, bei den Onlinevotings aber nur Platz 4. Somit sei „Tic Tac“ von Enzo leider nur eine finale Bronzeauszeichnung gegönnt. Au revoir, France.

Nächstes Jahr also nach Jerewan? Das ist die Hauptstadt Armeniens. Ja, wir haben es gegooglet. Besonders löblich ist übrigens weiterhin, dass beim Junior Eurovision Song Contest die Songs zu 60% aus Landessprache bestehen müssen. Etwas, was auch beim erwachsenen ESC immer wieder seitens der Fans gewünscht wird und auch aktuellen Trends entsprechen würde: gleich vier Songs der diesjährigen Top 5 waren auf Landessprache vorgetragen. Mehr Authentizität, weniger Einheitsbrei!

Zwar ist ein drittletzter Platz für Deutschland besser als ein letzter, aber Luft nach oben ist noch sehr, sehr viel. An Pauline lag es überhaupt nicht. Es lohnt sich, ihren Song im Nachhinein nochmal anzuklicken und mit der schicken Melodie durch den Tag zu ziehen. Auch Luft nach oben ist des Weiteren bei dem neuen Kommentator: Constantin Zöller, genannt Consi, ist schon länger bei ESC-Shows kein Unbekannter mehr. Einen Radiomoderator ans Mikro zu setzen ist auch keine schlechte Idee. Wäre der jedoch insgesamt mehr wertschätzend, statt abwertend, würde das dem Ganzen aber auch keinen Abbruch tun. Peter Urban hat zwar so langsam wirklich ausgedient, aber einen richtigen Lichtblick sehen wir mit Consi auch nicht.

Stattdessen: շնորհավորում եմ! Das heißt „Herzlichen Glückwunsch“ auf Armenisch.

Hier nochmal alle Ergebnisse im Überblick:

01. Armenien: „Qami Qami“, Maléna (115 Jury-Punkte, 109 Onlinevoting-Punkte, 224 gesamt)
02. Polen: „Somebody“, Sara James (116 Jury, 102 Online, 218 gesamt)
03. Frankreich: „Tic Tac“, Enzo (120 Jury, 67 Online, 187 gesamt)
04. Georgien: „Let’s Count The Smiles“, Niko Kajaia (104 Jury, 59 Online, 163 gesamt)
05. Aserbaidschan: „One Of Those Days“, Sona Azizova (109 Jury, 42 Online, 151 gesamt)
06. Ukraine: „Vazhil“, Olena Usenko (62 Jury, 63 Online, 125 gesamt)
07. Russland: „Mon Ami“, Tanya Mezhentseva (74 Jury, 50 Online, 124 gesamt)
08. Kasachstan: „Ертегі әлемі“, Alinur & Beknur (64 Jury, 57 Online, 121 gesamt)
09. Nordmazedonien: „Green Forces“, Dajte Muzuika (55 Jury, 59 Online, 114 gesamt)
10. Italien: „Specchio (Mirror On The Wall)“, Elisabetta Lizza (60 Jury, 47 Online, 107 gesamt)
11. Portugal: „O Rapaz“, Simão Oliveira (9 Jury, 92 Online, 101 gesamt)
12. Malta: „My Home“, Ike & Kaya (47 Jury, 50 Online, 97 gesamt)
13. Serbien: „Children’s Eyes“, Jovana & Dunja (24 Jury, 62 Online, 86 gesamt)
14. Albanien: „Stand By You“, Anna Gjebrea (45 Jury, 39 Online, 84 gesamt)
15. Spanien: „Reír“, Levi Díaz (30 Jury, 47 Online, 77 gesamt)
16. Bulgarien: „Voice Of Love“, Denislava & Martin (39 Jury, 38 Online, 77 gesamt)
17. Deutschland: „Imagine Us“, Pauline (15 Jury, 46 Online, 61 gesamt)
18. Irland: „Saor (Disappear)“, Maiú Levi Lawlor (5 Jury, 39 Online, 44 gesamt)
19. Niederlande: „Mata Sugu Aō Ne“, Ayana (9 Jury, 34 Online, 43 gesamt)

Und so klingt der Gewinnersong aus Armenien:

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