Funfact über Lionel Richie: Er liebt das Wort Oberhausen. Wie praktisch, dass er hier zum wiederholten Male auftreten und somit das Fleckchen Ruhrpott ganz oft aufgeregt beim Namen nennen darf. Über 8000 Menschen freuen sich über die Rückkehr des sympathischen Amerikaners und verbringen mit ihm einen kurzweiligen Abend.
Seit 13 Jahren kein neues Album rausgebracht? Interessiert nicht. Seit 17 Jahren nicht mehr in den deutschen Singlecharts gewesen? Das noch weniger. Lionel Richie ist strenggenommen schon von vorgestern, trotzdem werden für seine fünf Deutschlandtermine im Sommer 2025 nur die großen Arenen gebucht, darunter gleich zwei in NRW. Ganz ausverkauft ist die Rudolf Weber-Arena am 24.6., einem Dienstag, nicht – im Oberrang hätte man auch noch an der Abendkasse Plätze schießen können. Dafür ist der Unterrang sowie der bestuhlte Innenraum komplett ausgebucht. Sicherlich sitzen hier auch einige, die vor exakt zwei Jahren im Juni 2023 den charismatischen Musiker in Mönchengladbach sehen wollten. Jedoch wurde die Open-Air-Show nur knapp eine Stunde vor Beginn wegen eines Unwetters kurzfristig gecancelt.
Doch im Nachhinein fällt die etwas längere Wartezeit, mit der man sich nun zurecht finden musste, gar nicht negativ auf. Eher im Gegenteil: Solch eine extrem aufwändige Licht-, Laser- und sogar Feuershow hätte man bei einem 76-jährigen Musiker wohl nicht erwartet und unter freiem Himmel kaum genießen können. Spots? Nicht zählbar. Stimmungen? Immer wieder aufs Neue überraschend. Eine wirklich sehr gelungene Choreografie an Leuchtelementen, die sich mit manchmal ganz schön kitschigen Visuals auf der Leinwand ergänzen. Bei dem Medley “Brick House / Fire” schießen sogar dem Thema entsprechend vor der großen LED-Wand fette Flammen aus dem Boden hoch, wodurch der davor platzierte Drummer noch mehr ins Schwitzen gerät.
Bevor es jedoch nicht nur Lionel Richie zu hören und zu sehen gibt, bringt Iggi Kelly den Saal auf die nötige Wohlfühltemperatur. Kelly? Etwa einer von denen? Bekanntlich ist die Kelly Family etwas größer und auch die nachfolgende Genration schon längst ready für die Bühne. Auf der aktuellen Lionel–Richie-Tour darf man einen der Söhne von Patricia Kelly live erleben, der sich wirklich enorm viel Mühe gibt, das Publikum mitzunehmen. Von Mitklatschen, Mitwinken bis hin zu Handylichtern und Crowd-Chören nutzt er jede Gelegenheit, um in seinen 30 Minuten Vorprogramm die gesamte Halle zu involvieren. Gesanglich und interaktionell ist das super, allerdings fehlt es sämtlichen Songs ganz eindeutig an Wiedererkennungswert.
Als Radiomusik aber noch eigenständiger klang und wirklich die Stars der aktuellen Musikszene abbildete, war Lionel Richie gern gesehener Dauergast. Über 100 Millionen Tonträger verkaufte der in Alabama geborene Sänger, davon einen Großteil in den 80ern. In seiner Heimat ist er noch weitaus größer als bei uns, sechs seiner Singles schafften es dort auf die 1, in Deutschland nur vier in die Top 10. Und dennoch ist er irgendwie tief mit old schooligen Sounds verbunden, wird durch seine prägnante Stimme meist in Sekunden erkannt und hat einen sehr kommerziellen, individuellen Mittelweg zwischen Pop, Soul und Funk gefunden.
Ob er nun 76 oder 46 ist, ist egal. Ob das Publikum mit ihm ebenfalls gereift ist und durchschnittlich hier wahrscheinlich bei Ende 40 liegt, ist genauso egal. Lionel Richie hat auf seiner Say Hello To The Hits-Tour, die zwischen Ende Mai und Anfang August läuft, gleich 29 Stopps in Europa. 105 Minuten lang – die mit einer knappen Verzögerung um 21:08 Uhr starten – spielt er 19 Songs, darunter drei Medleys, die aus je zwei bis drei Titeln bestehen. Selbstverständlich gibt es auch mehrere Hits aus den 70s mit den Commodores, bevor er seine erfolgreiche Solokarriere Anfang der 80s begann. Viele Songs aus der Setlist sind zeitlose Klassiker und haben mehrere Dekaden überlebt.
Passend zum Tournamen startet der Entertainer mit “Hello” – gar keine so typische Wahl. Natürlich ist der Name perfekt, um die Fans zu begrüßen, allerdings ist eine Ballade als Opening gewagt, besonders wenn sie eine der zwei erfolgreichsten Songs im Repertoire darstellt. Doch weder Lionel noch das Publikum fackeln lang. Schon früh wird aufgesprungen, gefilmt, lauthals mitgesungen und sichtlich Spaß gehabt. Für ein Konzert mit eher älterem Publikum ist die Stimmung wirklich exzellent. Das liegt aber eben auch an dem Protagonisten, der sichtlich fit ist, richtig Power hat und öfter zwischen Steg, Hauptbühne und Klavier wechselt. Für “Say You Say Me” gibt es gar einen zweiten großen Flügel, der mit viel Rauch direkt vor den ersten Reihen hochgefahren wird und ein wenig Magie zaubert.
Disco-Feeling kommt auf bei “Dancing On The Ceiling” und dem Überhit “All Night Long (All Night)” in der Zugabe, kuschelig-intim wird es bei “Endless Love”, zu dem er sich seit 44 Jahren Diana Ross an seiner Seite auf der Bühne wünscht, aber er sich auch gern jedes Mal aufs Neue mit dem Frauenchor im Saal zufrieden gibt. Schade, dass der Song nach Strophe und Refrain bereits beendet wird. Doch Lionel Richie bietet neben ikonischen Tracks am Abend vor allen Dingen sehr bemerkenswerte Ansagen. Die Anekdote, das er angeblich jeden Deutschen, den er in den USA trifft, fragt, ob er denn aus Oberhausen kommt, bringt das Publikum richtig zum Lachen. Ebenso die Tatsache, dass er eigentlich die komplette Show unter Kontrolle hatte, bis in “Dancing On The Seiling” ein Snippet von Van Halens “Jump” vorkommt, zu dem er selbstverständlich auch ein paar mal springt und sofort danach ordentlich Rücken hat. Das ist herrlich witzig und nahbar.
Den emotionalsten Moment gibt es aber direkt vor dem letzten Song des Hauptsets. Zu “We Are The World”, den er mit Michael Jackson schrieb, hält er eine minutenlange Rede. Auch wenn die Welt da draußen immer mehr auseinanderdriftet, so kommen zu solchen Shows doch alle wieder zusammen. Gemeinsam als große Gesellschaft, die die Musik und das Glücklichsein zelebrieren wollen. Niemand ist speziell oder besonders, wir sind alle gleich. Das betont er mehrfach. Und irgendwie treffen diese ein wenig totgedroschenen Wörter gegenwärtig auf besonders intensive Art. Ja, man weiß einfach wirklich nie sicher, ob und wie lang das alles so noch geht. Aber das ist eine andere Geschichte. Gemeinsam “We Are The World” zu singen, wirkt fast wie eine kleine Demo.
In Oberhausen gibt es also einen sehr sympathischen, klugen Lionel Richie zu sehen, der mit seiner fünfköpfigen Band behutsam und stimmig agiert und nach fünf Jahrzehnten (!) auf der Bühne nichts an Präsenz verloren hat. Lediglich die Stimme ist in der Kraft nicht mehr ganz da. Dem Soundtechniker macht er es arg schwer, indem er das Mikrofon oft locker 50 Zentimeter vom Mund entfernt hält, dann doch wieder näher rangeht und das ständig wechselt. Tonal ist er durchgängig richtig, das Halten von Tönen ist altersbedingt nur nicht immer möglich, sodass manches ein bisschen gesprochen wirkt. Das ist aber für ein Konzert eines 76-jährigen Künstlers völlig fein und ok so. Wirklich ärgerlich ist hingegen das Fehlen von “Angel”, dem vierten und letzten Top-10-Hit hierzulande aus dem Jahr 2000. Auch wenn es in den USA nur für Platz 70 gereicht hat, so sollte ein so großer Erfolg bei dem Tourtitel Say Hello To The Hits auf den Konzerten in deutschsprachigen Ländern auf gar keinen Fall fehlen. Richtig schade.
Super souverän, aber dennoch persönlich. Wer bangt, dass Lionel Richie in dem Alter womöglich nicht mehr ganz seinem Image genügt, kann entspannt aufatmen und für die noch anstehenden Hamburg-, Berlin-, München-, Wien- und Zürich-Auftritte spontan ein paar Eintrittskarten schießen. Macht Spaß und ergibt dank krasser Lichteffekte sogar schicke Fotos für die Social-Media-Story hinterher.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher Filipecki
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Tolles Event. Lionel war super. Aber: die unkommentierte knappe Dreiviertelstunde Wartezeit nach Iggi hat enorm genervt. Er war doch garantiert schon längst backstage. Was soll das? Bei mir hat das den Spaß gedämpft.
Das war in Köln genau so nervig, aber danach war die Show sensationell!!!!!
Hey ihr Zwei,
dass es um 21 losgeht, ist ja relativ normal, wenn es eine Vorgruppe gibt.
Bei den meisten Konzerten fängt die Vorgruppe zu der Zeit an, die auf dem Ticket als offizieller Start vermerkt ist. Dann spielt sie 30 Minuten, 30 Minuten wird umgebaut bzw. pausiert und dann startet der Hauptact.
Dass die Vorgruppe schon während des Einlasses, also vor der offiziellen Startzeit beginnt, ist echt totale Ausnahme.
Somit war Lionel eigentlich “nur” 10 Minuten zu spät. Trotzdem ist das natürlich für viele unter der Woche eher unangenehm, wenn das Ganze erst um kurz vor 23 Uhr endet.
Gelohnt hat es sich aber ja trotzdem! Schön, wenn’s euch auch gefallen hat!
LG aus Dortmund
Iggi wer…? Hat man sich gefragt, als die Vorgruppe auftrat, aber eigentlich hat man sich mehr darüber gewundert, wie eine Art Boygroup (drei Typen Anfang 20….?!) den Weg in‘s Vorprogramm einer Ikone geschafft hat, die 3 mal so alt, aber eben eine Ikone ist….?! Der Artikel trifft es ziemlich genau: Songs ohne jeglichen Wiedererkennungswert lassen einen hoffen, dass die 30 min. schnell vorbeiziehen. Dass danach auch noch eine lange Kunstpause eingelegt wird. … Es gibt Schlimmeres. Und schließlich wollen Merchandise (völlig überzogene Preise, für einfachste T-Shirt/Sweatshirt-Qualität) und Gastro-Service ja auch noch was verdienen!
Aber dann kommt Lionel! Und rockt die Arena, wie man so schön sagt!
„Hello“ als Einstieg: für mich eine gute Wahl! Schon der erste Ton katapultiert einen (mit Ihm aufgewachsenen) Fan wie mich direkt zurück in eine Zeit, als Musik noch unter die Haut ging und es weniger Clowns gab.
Lionel, schlicht in Schwarz (aber zeitweise kombiniert mit modernem weißen Frack, bringt genau das auf die Bühne, wofür zumindest ich gekommen bin. Trotz anfänglicher Sound-Probleme nimmt er über die gesamte Dauer des Konzerts den Saal komplett mit, setzt (mit 76 Jahren) immer noch einen drauf und trifft mit seiner „Ansprache“ zur derzeitigen Weltpolitik genau den richtigen Ton. Am Ende hat man das Gefühl, man hat, neben dem „mit Ihm aufwachsen zu sein“ einen weiteren, sehr persönlichen Moment mit ihm erlebt und geht, verblüfft von einer MEGA-Liveshow, glücklich und mit der Erkenntnis nachhause, es hat sich wieder mal gelohnt, einem Idol seiner Jugend hinterher zu reisen!
Hallo hallo,
wenigstens hat Iggi Kelly musikalisch halbwegs gepasst. Manchmal gibt es auch Vorgruppen, die mit dem Hauptprogramm wirklich gar nichts gemein haben. Hier fand ich’s ganz in Ordnung so.
Toll, dass Lionel dich schon so lange begleitet und du immer wieder aufs Neue begeistert wirst! Genau so muss das mit den Lieblingskünstler*innen sein 🙂
Viele Grüße aus Dortmund