Weihnachtszeit ist Musicalzeit, oder? Nun ja, zumindest war das bis 2019 so. Mittlerweile machen es so viele Umstände eine*r definitiv nicht leicht. Impfung, Maskenpflicht, keinerlei Krankheitssymptome, Richtlinien seitens des Bundeslandes, teils tagesaktuelle Schnelltests. Ist doch ein wenig anders, als nur das Ticket einstecken zu müssen und dann loszufahren. Vieles ist bereits erneut abgesagt und wird verschoben – für Disney Die Schöne und das Biest im Musical Dome in Köln ist aktuell aber grünes Licht.
Die Schöne und das Biest ist Material, bei dem eine*r nur nach Erwähnen des Titels das Herz aufgeht. Ein absolutes Meisterwerk, das als erster Trick-/Animationsfilm eine Oscar-Nominierung in der Kategorie “Bester Film” erhielt. Die geniale Musik durfte sogar gleich zweimal gewinnen – einerseits der Score, andererseits der herausragende Titelsong, komponiert von Alan Menken. Auch 2017 konnte mit der Realverfilmung ein absoluter Volltreffer erzielt werden. Das französische Volksmärchen, auf dem die Disney-Filme beruhen, entstand im 18. Jahrhundert und hat bis heute etwas Magisches. Wenn Geschichte, Musik und Filmvorlage ohne Einschränkung von Publikum und Kritiker*innen gefeiert werden, ist die Musicaladaption für gewöhnlich nicht mehr weit.
Tatsächlich gibt es das auf dem Zeichentrick von Disney beruhende Bühnenstück bereits fast drei Jahrzehnte. 1994 war weltweite Premiere am Broadway in New York, die deutschsprachige Uraufführung nur ein Jahr später in Wien und Premiere in Deutschland schließlich 1997 in Stuttgart. In den 27 Jahren Spielzeit haben über 25 Millionen Menschen das Musical gesehen. 13 Länder spielten es bisher, darunter auch Japan, Mexiko und Argentinien. Seit 2010 reist eine leicht abgewandelte Tourproduktion durch deutschsprachige Länder und ist gegenwärtig für knapp drei Wochen in Köln ansässig.
Nach einer Preview am Mittwoch, ist der 16.12.2021, ein Donnerstag, offizieller Premierentag. Der Balkon bleibt unbesetzt, dafür ist aber das gesamte Parkett bis auf wenige Plätze voller Menschen, die trotz schwieriger Corona-Lage sich Disney Die Schöne und das Biest nicht entgehen lassen wollen. Mit weniger als fünf Minuten Verspätung geht der Zweiakter, der sich aus 80 und 50 Minuten Spiellänge zusammensetzt, los.
Filme mit einer sehr großen Fanbase haben einen riesigen Vor- und gleichzeitig einen riesigen Nachteil. Vorteil: jede*r kennt und mag die Handlung und Musik. Nachteil: jede*r kennt und mag die Handlung und Musik. Je besser man mit dem Original vertraut ist, desto höher bekanntlich die Erwartungshaltung. Glücklicherweise lösen aber die sensationellen Songs schon beim starken Opening “Belle” die ersten Gänsehautschübe aus.
Gleichzeitig muss man jedoch etwas gezielter zuhören. Ein Blick auf die Besetzungsliste verrät: Deutscher Muttersprachler*in ist hier leider niemand. Das ist selbstverständlich in keinsterweise rassistisch gemeint, sondern lediglich auf den Verständnisgrad bezogen. Sämtliche Darsteller*innen kommen aus Ungarn, besser gesagt vom Budapester Operettentheater. Und ja, man muss fair betonen, dass das nicht immer, aber zumindest oft den Unterhaltungswert ein wenig trübt.
Doch ganz so tragisch ist es heute nicht. Muss man zwar im Wort die Lauscher weiter aufmachen, bekommen die dafür immerhin vorzügliche Töne zu hören. Gesanglich stechen sämtliche Darsteller*innen positiv hervor – allen voran die klassisch angelehnte Belle, gespielt von Flóra Széles, Sándor Barkóczi als Biest, Zsófia Kisfaludy als Madame Pottine und nicht zuletzt auch Ildikó Sz. Nagy als Madame de la Grand Bouche. Lediglich bei Norman Szentmártoni als Gaston ist der Akzent dermaßen stark, dass es an einigen Stellen dann doch hapert. Dafür verkörpert er seine Rolle entsprechend gut.
Hat man den Makel, dass in den Dialogszenen einige Satzakzente nicht so richtig gewählt sind, akzeptiert, ist seitens der Darsteller*innen alles top. Ganz besonders in den anspruchsvollen Soli “Zuhaus” von Belle, “Wie kann ich sie lieben” von dem Biest und den sagenumwobenen Titelsong “Die Schöne und das Biest” von Madame Pottine darf man starke Leistungen erwarten, die im Kopf bleiben. “Sei hier Gast” hinterlässt aus anderen Gründen bleibenden Eindruck.
Wo wir bei einem weiteren, nicht weniger wichtigen Aspekt wären: Kostüm. Disney steht durch seine fantastischen Welten eigentlich in jedem Musical vor dem Problem, wie es die Menschen zu den jeweiligen Figuren werden lässt. In Disney Die Schöne und das Biest sind hier einige Herausforderungen zu nehmen, die jedoch durchweg solide, teilweise sogar auffallend gut gelöst wurden. Der Kerzenständer Lumière kann tatsächlich Flammen zünden und wird von Ádám Bálint generell wunderbar schräg, witzig, karikaturistisch gespielt. Bewegliche Kleiderschränke sind genauso Teil des Geschehens wie eine dampfende Teekanne. Das ist detailverliebt und verzückend. Die Ensemblenummer “Sei hier Gast” ist deswegen fürs Auge die stärkste Szene. Sämtliche Darsteller*innen auf der Bühne. Hier tanzende Teller, dort Flickflack-schlagende Gabeln. Das ist stark, mitreißend, energetisch, opulent und pures Broadway-Feeling.
Dafür ist jedoch – und das ist der schwerwiegendste Kritikpunkt – das Bühnenbild im Ganzen ein wenig old fashioned und benötigt einen Relaunch. Hier merkt man dem Stück sein Alter an. In fast drei Dekaden hat sich auf den Bühnen der Welt vieles getan. Momentan setzen Musicals stets neue Akzente und übertrumpfen sich gegenseitig durch Effekte und Kulissen. Bei Disney Die Schöne und das Biest muss man im Vergleich zu anderen Stücken dieser Größenordnung einige Abstriche machen. Besonders das Schloss hat lediglich eine etwas heruntergebrochene Vorder- und Rückseite, die beliebig wechseln. Ebenso der karge, trostlose Wald. Bei einem Stück, bei dem die Filmvorlage dermaßen stark und beliebt ist, muss einfach etwas mehr kommen. Potenzial ist da, Möglichkeiten mittlerweile ja auch – wie wär’s?
In der Geschichte wird sich nah am Original orientiert und lediglich die eine oder andere Szene etwas ausgedehnt, um auf die Spiellänge von insgesamt 130 Minuten zuzüglich Pause zu kommen. Jeder beliebte Song hat seinen Platz und klingt auch exakt so, wie man es möchte – alles keine Selbstverständlichkeiten. Trotz einiger gruseliger Biest-Momente handelt es sich bei Disney Die Schöne und das Biest um ein Musical, das die ganze Familie unterhalten dürfte. Kinder unter 8 Jahren könnten vielleicht etwas zu viel Angst bekommen, darüber darf aber auch die Kind gebliebene Oma mitgenommen werden. Ein Programmpunkt für “Zwischen den Jahren” ist also schonmal geklärt.
Final bleibt Disney Die Schöne und das Biest ein nettes Musical, das kurzweilig solide unterhält. Die nie totzukriegende Musik und die rührenden Filmvorlagen sind bereits die halbe Miete. Bei den Darsteller*innen muss ein wenig Toleranz bezüglich der Sprachbarriere einberechnet werden, dafür ist im Gesang alles auf höchstem Niveau. Entscheidet man sich nun noch dazu, in den nächsten Jahren das Ganze auf den aktuellen Standard an Effekten und Bühnenkulissen zu heben, dürfte 2044 das 50-jährige gefeiert werden. Wir kommen dann auch gerne wieder.
Und so sieht das aus:
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