“Early in the morning I still get a little bit nervous” – trifft wahrscheinlich auch aktuell auf Zoe Wees zu, die erstmalig auf Tour geht. Rund zwanzig Gigs stehen im Frühjahr und Herbst an. Was man dann als 20-jährige Hamburgerin eben so macht.
Kaum war ein Hype um eine Künstlerin aus deutschem Lande jemals so groß. Doch Zoe Wees scheint in vielerlei Hinsicht einen Nerv zu treffen. Statt als aufgebrezelte Hupfdohle nur mit Autotune zu funktionieren, ist sie ausschließlich für ihr Gesangstalent bekannt. Das passt auch irgendwie ein Stück weit in die gegenwärtige Zeit, die zumindest immer mal wieder probiert, sich gegen zu viel Instagram-Fake-Chichi aufzulehnen und eher darauf setzt, man selbst sein zu können. Etwas wirklich gut zu können ist final eh viel mehr wert, als nur mit fünf Filtern und aus dem rechten Winkel gut auszusehen.
Trotzdem war der Weg bis zur Tour nicht der leichteste. Bei “The Voice Kids” hat es nicht mal für eine der Endrunden gereicht, aber immerhin dafür von Ed Sheeran wahrgenommen zu werden. Ein paar Jahre später droppt man mit der hervorragend komponierten Bombast-Pop-Ballade “Control” eine der stärksten Radiohits seit Corona und zack, sind Jessie J, Lewis Capaldi und Duncan Laurence Anhänger*innen.
Und das eben nicht von dem nächsten großen Star aus den USA, sondern von der unauffälligen Hamburgerin, die seit kurzer Zeit eine Zwei vorne im Alter stehen hat. Da hat man zurecht eine Chance drin gesehen, endlich eine deutsche Adele, Ariana Grande, whatever zu haben – nur so ganz funktioniert hat’s bisher noch nicht. Zwar gab es für “Control” und “Girls Like Us” mehrere Gold- und Platin-Auszeichnungen im In- und Ausland, jedoch blieb der große Knall mit der ersten EP “Golden Wings” ein wenig aus. Auch die Nachfolgesingles konnten nicht den Erfolg erreichen, wie er wohl vorgesehen war.
Das ist aber eigentlich ganz schön. So kann man Zoe Wees auf ihrer ersten Tour wenigstens auch in kleinen Locations wie der Zeche Bochum sehen und nicht direkt in der Lanxess in Köln. Beobachtet man das Mädchen während ihrer 95-minütigen Show wird auch deutlich, dass ihr zu viel Fame wohl auch nicht gut tun würde.
Doch bevor der Shooting Star die Bühne betritt und die größtenteils recht jungen, weiblich gelesenen Fans zum Kreischen bringt, darf die Mittzwanzigerin FLØRE einheizen. Die ist optisch und musikalisch ein Gegenentwurf zum Hauptact. FLØRE schaut ein wenig aus wie Lady Gaga zu ihren Anfangszeiten und klingt wie eine Mischung aus Billie Eilish, Lorde und Avril Lavigne. Das ist auch auf den ersten Blick ziemlich unterhaltsam und catchy – aber entschieden zu künstlich. Auf ihrem Mikrofon wurden dermaßen viele Effekte draufgeballert, dass ihr Gesang nicht mal mehr live klingt. Tonal wird alles in sekundenschnelle glatt gezogen. Alles klingt unglaublich mechanisch. Zwar machen die Melodien und durch ihren Musiker am Drumcomputer entstehenden Beats Laune, nur ist das eben alles äußerst unecht und steril. Gemischte Gefühle.
Wie gesagt, das war ein Gegenentwurf. Zwar scheinen beide Künstlerinnen des Abends das Zielpublikum zu erreichen, Zoe Wees macht jedoch das komplette Gegenteil von ihrer Anheizerin. Das stärkste Mittel ist das, was man sich auch denken kann: Ihre Stimme. Hut ab, wie man auf einer ersten Tour über anderthalb Stunden auf dem Level abliefert. Die Altistin scheint nochmal mit ein wenig Vocalcoaching richtig draufgelegt zu haben, sodass tonal von Anfang bis Ende alles glatt läuft. Zwar helfen ihr zwei Backgroundsängerinnen immer mal wieder, aber auch die Parts, in denen Zoe allein singt, klingen richtig, richtig gut, emotional, druckvoll und besonders. Eine Stimmfarbe, die in Deutschland keiner vorweisen kann. Toll.
Insgesamt funktionieren die stilvolle Lichtshow und der Sound ziemlich gut. Viele Titel wurden in ein schönes Bandarrangement umgefädelt, sodass es in der ausverkauften Halle auch mal gut scheppert. Gerade im Opening “Ghost” fällt die Entwicklung des Songs auf, der auf Anhieb hervorragend mitnimmt. Doch was bietet eine neue Künstlerin, die gerade erst mit einer Fünf-Songs-EP an den Start ging, zwei bis drei weitere Singles veröffentlicht hat und das erste Album noch auf sich warten lässt?
Kurioserweise: Eine Setlist mit über 20 (!) Titeln, wovon kein einziger ein Coversong ist. Stattdessen liefert Zoe Wees alle bisher veröffentlichten Lieder plus eine Unmenge an neuem Material. Das bringt besonders Fans zum Beben, führt aber natürlich auch dazu, dass das Mitsingen etwas schwerfällt und man eher nur zuhört. Im Publikum wird es demnach selten lauter, die meisten sind mit ihrem Handy beschäftigt, um Zoe möglichst schön einzufangen. Schade, dass die persönlichen Ansprachen jedoch oft nicht gut zu verstehen sind – warum dreht man der guten das Mikro nicht etwas lauter, wenn sie spricht? Sie erzählt mehrfach zu ihren Songs persönliche Geschichten. Dabei kommt öfter ein wenig ihr Alter durch, gibt es somit einen Titel für die geliebte Oma, einen Titel über die Augen ihres Vaters, die sie mit 16 zum ersten Mal live sehen durfte, einen Titel über die Beziehung zu ihrer Mutter, einen über den Diss, den sie durch Kommentare in den Sozialen Netzwerken erfährt. Coming-of-Age-Musik 2022.
Und genau da hapert es leider noch ein wenig. Einerseits wirken ihre Ansprachen etwas gewollt und gezwungen. Sie verspricht sich einige Male, kann sich nicht entscheiden, ob sie das Mikrofon in der Hand halten will, um sich bewegen zu können, oder es ihr doch im Mikrofonständer mehr Halt gibt. Das Songwriting ist ebenfalls noch nicht ausgereift. Besonders in der ersten Hälfte der Show kommt es an einigen Stellen zu Fillern und zu einigen Minuten Langeweile. Man wartet ein wenig auf echte intime oder echte knallende Momente und bleibt stattdessen im generischen Radio-Pop hängen.
Bis es dann auf einmal doch diese kleinen Überraschungen gibt, in denen Zoe und auch die Band ausbrechen und zeigen, was möglich ist. Da wäre das rockige “Ain’t Really Good For Me”, “You Don’t Know Me” oder auch die R’n’B-Nummer “That’s How It Goes”. Alles absolute Highlights, bei denen die liebenswürdige, süße Künstlerin sogar mit ihren Backgroundsängerinnen tanzt und richtig abrockt. Ihre Musikalität merkt man ihr in jeder Sekunde an und dass sie versteht, was passiert. Da bräuchte es einfach noch mehr straighte Tracks, die nach vorne gehen oder sich trauen, komplett zu reduzieren. Die eben nicht glatt durchgehen ohne wehzutun.
Spätestens bei “Control” sind aber natürlich alle Dämme gebrochen, das vor den Zugaben erklingt. Die Extended Version präsentiert die Sängerin zunächst nur mit Klavier und anschließend im vollen, ergreifenden Sound. Zoe Wees hat ohne Zweifel sehr großes Talent, ist aber eben introvertiert, spart sich die Kostümwechsel und ist nicht die Rampensau, die manche in ihr zwangsläufig hervorlocken wollen. Stattdessen sollte man ihr eher die besten Songwriter*innen Deutschlands stellen, um das Ganze abzurunden. Dann wird das auch was mit dem großen internationalen Star. Wenn alle Beteiligten denn auch wollen. Oder sollte man sagen “sollten”?
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Foto von Christopher.
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