Annett Louisan, Tonhalle Düsseldorf, 10.04.2022

Manchmal will es technisch nicht so funktionieren. Dann gibt es mehrere Rückkopplungen, laut knallende Geräusche und das Mikrofon fällt komplett aus. Annett Louisan darf genau mit diesem Hindernis am Sonntag, dem 10.4., in der Tonhalle Düsseldorf mehrfach kämpfen. Sie meistert es ohne auch nur für eine Sekunde das Publikum zu verlieren – und macht auch ansonsten abermals alles richtig, was man richtig machen kann.

Die lange Coronapause, die nun viele Artists miterleben mussten, hat tatsächlich Vor- und Nachteile, wenn es um nachzuholende Shows geht. So gibt es einerseits das Album „Kleine große Liebe“ schon seit genau drei Jahren zu erwerben und zu hören, andererseits wurde es aber nur auf ein paar Konzerten im Herbst 2019 gespielt. Wir hatten das Privileg und durften in Köln mit dabei sein, ein großer Teil des Publikums wartete jedoch nun zwei mal 365 Tage länger als geplant.

Wie geht man mit einer Tour um, die eigentlich für ein Album geplant war, das jedoch nun eben schon ein wenig in Vergessenheit geriet, bereits zwei weitere Veröffentlichungen dazwischen passierten – nämlich ein Coveralbum mit dem Namen „Kitsch“ und eine dazugehörige Weihnachts-EP – und man als Sängerin gedanklich schon längst in der neuen LP versunken ist, die sogar schon fertig aufgenommen wurde? Annett Louisan wählt den richtigen Weg und sucht sich selbst ein buntes Potpourri aus Allem zusammen, um weder sich selbst noch ihre Zuschauer*innen im zu gut 90 Prozent gefüllten Raum zu langweilen.

Die Tonhalle ist zweifelsohne die schickste Location des gesamten Bundeslandes. Ohne Diskussion eine Venue, die nicht jedem Konzert stehen würde – legt man den Fokus jedoch auf intime Atmosphäre, handgemachte Klänge mit klassischen Instrumenten und einem Hauch Tiefenentspannung, gibt es keine bessere Alternative. Die mittlerweile 45-jährige in Havelberger geborene Künstlerin ist eh viel mehr eine erzählende als eine melodische Sängerin. Ihr Sound ist seit 18 Jahren nicht für jedes Ohr geschaffen, dafür aber für manche ganz besonders.

Und wer sich mit dem richtigen Feeling in seinen Sitz in der viel zu schönen Tonhalle zurücklehnt, die Beine überschlägt, den Blick nach vorne wendet und die Lauscher öffnet, bekommt für ganze 140 Minuten reine Konzertzeit, die von 25 weiteren Minuten Pause unterbrochen werden, ein Highlight nach dem nächsten. Untypisch betritt Annett um Punkt 20 Uhr die Bühne, um ihren eigenen Support anzukündigen. Der ist ebenso untypisch nicht weniger als ihr Pianist, mit dem sie auch schon zusammen produzierte: Michael Geldreich darf für fünf Minuten einen wunderbar romantischen Bogen spannen und spielt ein selbst komponiertes Pianosolo, das sich als ein unglaublich stimmiges Intro entpuppt.

Nicht weniger stilvoll geht es anschließend mit Annett und ihren vier weiteren Instrumentalist*innen weiter, wovon jeder absolute Spielfreude zeigt und perfekt mit seinen Instrumenten und den Mitspieler*innen im Einklang ist. Benötigt es zunächst noch ein paar feine Korrekturen in der Abmischung, ist nach einigen Titeln der Klang erreicht, den man von der Tonhalle erwartet – nämlich ein perfekter, der Platz für leise und laute Töne findet.

Annett Louisan ist – und das wird an diesem Abend wieder ganz deutlich – nicht einfach eine Sängerin. Sie ist Geschichtenerzählerin. Vor, nach und während ihrer Songs. Dabei wird sie teils sehr persönlich und fragil, berichtet davon, dass es ihr einige Zeit nicht gut ging und sie nun endlich an sich glauben kann. Andererseits bringt sie mit ihrer kokettierenden, nonchalanten, klugen Art das Publikum mehrfach zum Lachen. Das ist sowohl professionell als auch spontan und interaktiv. In einigen Momenten zieht sie ihre Runde durchs Publikum, um in die von Masken bedeckten Gesichter schauen zu können. Mehrfach ruft sie zum Mitsingen auf. Der Chor, der entsteht, hallt gänsehauterzeugend durch den Raum.

Auf der Setlist stehen auch für diejenigen, die schon 2019 eins der Konzerte erhaschen konnten, einige Überraschungen an. Mit „Kleine große Liebe“, „Wir sind verwandt“, „Die schönsten Wege sind aus Holz“, „Zweites erstes Mal“, „Klein“ und ganz besonders „24 Stunden“ sind einige schöne Albumtitel dabei, die die Pre-Corona-Atmosphäre zurückholen. Ergänzt wird der Abend jedoch durch eine ganze Hand voll neuer Songs, die bisher unveröffentlicht sind. Darunter die Annett-esquen, irrsinnig witzigen Lyrics verpackt in Titeln mit den Namen „Du liebst wie ein Arsch“, „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ und „Hallo Julia“, aber auch der große Emotionstrigger „Schablonen“.

Selbstredend bekommt das Publikum Klassiker der deutschen Popkultur wie „Das Spiel“, „Das alles wär nie passiert“, „Eve“ und zwei wahnsinnig berührende Interpretationen von „Ende Dezember“ und „Das Gefühl“ serviert. Wäre das nicht schon genug, gibt es zusätzlich „Marleen“ von ihrem Coveralbum „Kitsch“ und sogar einen Gastmusiker: Tristan Brusch hat mit „Am Rest“ im vergangenen Jahr eines der besten Alben des Jahres abgeliefert. Das scheint auch Annett so zu sehen. Sie schrieb ihn bei Instagram an, einige Zeit später schrieben sie zusammen Songs. Davon ist einer auch auf dem kommenden Album zu hören. Diesen gibt es an jenem Abend in Düsseldorf exklusiv als Prelistening vorab, ebenso die zwei sagenhaften Lieder „Zwei Wunder am Tag“ und „Am Rest“ von Brusch persönlich mit Annett im Duett.

Kurz vor Zapfenstreich schaut der, wie Annett ihn liebevoll und vertraut nennt, „Geist der Tonhalle“ vorbei, der schonungslos ihr Mikrofon zerstört. Fortan ist Annett für mindestens fünf Minuten ein wenig aufgeschmissen – denkt man zunächst. Sie nutzt jedoch den Moment, um das Publikum zu einem ewig anhaltenden Mitmachen zu animieren. Der Song „Drückt die 1“ kommt dafür wie gerufen. Dazu stolziert sie durch die Menge und lässt sich aus der Nähe fotografieren. Selten wurde so gekonnt mit einer Panne umgegangen.

Um ihre Fans zu belohnen, streut sie eine weitere, ungeplante Zugabe ein. Mehrfach wird „Belmondo“ aus den Reihen zugerufen, sodass sie sich spontan dazu entscheidet, die Leadsingle des letzten Albums doch noch zu spielen. Genau diese Flexibilität, Persönlichkeit, Einzigartigkeit und gleichzeitig Authentizität ihrer Bühnenfigur, in der mit Sicherheit sehr viel Privates steckt, macht aus einem sehr musikalischen Abend zusätzlich auch ein sehr gutes Konzert auf einem Niveau, das in Deutschland nur wenige andere erreichen.

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Bild von Christopher.

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