Marianne Rosenberg, RuhrCongress Bochum, 11.09.2022

Sie ist Schlager. Sie ist Pop, aber auch Jazz. Sie ist Extravaganza. Sie ist eine Grande Dame. Sie ist eine queere Ikone. Sie ist unnahbar. Und sie ist bereits über 50 Jahre im Showgeschäft. Marianne Rosenberg ist zweifelsohne eine der letzten aktiven, deutschen Sängerinnen der Disco-Ära. Viele wollen sie sehen, hören und ihrem Idol nah sein.

Das klingt wahnsinnig groß. Ein wenig so, als ob eher Lady Gaga auftritt statt Marianne Rosenberg. Aber vieles, was die markante US-Sängerin hat, hat die 67-jährige Berlinerin eben auch. Sie hatte in jungen Jahren schon einige ziemlich erfolgreiche Hits, wovon manche zu absoluten Classics wurden. Gerade das 1975 erschienene “Er gehört zu mir”, mit dem sie probierte beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest zu landen, aber nur einen 10. Platz schaffte, ist heute nicht weniger als deutsches Kulturgut. Keine Kultparty ohne mindestens einmal diesen Titel gehört zu haben. Wie viele Songs haben ansonsten so viele Dekaden überlebt und waren zu keiner Zeit peinlich, sondern immer allgegenwärtige, treffsichere Nummern, um generationenübergreifend für Stimmung zu sorgen?

Doch eine Marianne Rosenberg wollte immer schon mehr. Sie wollte stets etwas Eigenes, etwas Unerwartetes und vor allen Dingen etwas nicht zu Kitschiges. Als sie sich Stück für Stück vom Schlager trennt und stattdessen mehr in der alternativen Underground-Richtung oder auch im Pop oder Dance probiert, verliert sie einen Teil ihrer Zuhörer*innenschaft. Schaffte sie es in den 70ern in jedem Jahr – auch Anfang 1970, da ist sie gerade einmal 14 Jahre alt – in die Charts einzusteigen, gelang ihr dies in den 80ern nur noch mit fünf Songs, in den 90ern mit drei, in den 00ern gar nur noch mit zwei Neuauflagen ihrer bekanntesten Hits. Mehrere Alben kommen nicht mal für eine Woche in die Top 100.

Aber wie wir ja alle wissen, ist seit zwei Jahren sowieso vieles ein wenig auf den Kopf gestellt. Nachdem sie schon mit überraschenden Auftritten in der DSDS-Jury 2014 für Furore sorgt und sich als Synchronsprecherin bei dem Disney-Film “Küss den Frosch” von einer anderen Seite präsentiert, ist 2020 exakt in der Woche, in der Corona Deutschland übermannt und die Kulturindustrie anfängt zu pausieren, ihr neues Album “Im Namen der Liebe” am Start. Die Chartposition: Platz 1. Erstmalig. Kein Album zuvor kam über Platz 20 hinaus, keine Single über Platz 5. Zu ihrem 50-jährigen Jubiläum machte sie ihren Fans ein Geschenk in der Form eines neuen Albums nach neun Jahren Abstinenz – und die Fans machten ihr das Geschenk, sie richtig aufleben zu lassen.

Seitdem ist die letzte Diva der deutschen Szene zurück und das Interesse größer denn je. Eine Tour wurde angekündigt, ordentlich Tickets verkauft, nur das Zeitgeschehen ließ die Gigs nicht zu. Im September 2022 können aber endlich diejenigen, die mit Marianne gealtert sind und seit Anfang an dabei waren, mit denjenigen zusammenkommen, die sie jetzt erst für sich entdeckt haben. Das sind zwar in Bochum, am 11.9., einem Sonntagabend, nur einzelne Personen, aber sie gibt es. Fans, die gerade einmal halb so alt sind, wie die Berlinerin – aber auch zwei bis drei, die vielleicht noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel tragen.

10 Gigs umfasst die Tour. Für 2023 wurden auch bereits Auftritte angekündigt. Wenn es gerade mal läuft, muss man die Chance natürlich nutzen. Nicht von ungefähr wurde deswegen gleich ein weiteres Album vor zwei Monaten nachgeschoben – “Diva”, eine reine Cover-LP, auf der die Rosenberg allen ihren Wegbegleiter*innen ihrer langen Laufbahn huldigt. Dementsprechend wird auch das Showprogramm angepasst und so aus einer “Im Namen der Liebe”- eine “Im Namen der Liebe x Diva”-Tour.

In Bochum geht es um 18 Uhr außergewöhnlich früh los. Geschätzt Dreiviertel der Stühle sind mit einem bunten Publikum aus Ehepaaren, queeren Freund*innen und Mädelsabenden besetzt. Stehplätze gibt es keine. Mit einer kleinen Verspätung von sieben Minuten geht es fast pünktlich ohne Supportact los. Erstes positives Zeichen: Gleich acht Köpfe macht die Liveband aus, darunter vier Streicher*innen, zwei Personen an den Keyboards, eine Bassistin, die zusätzlich auch Cello spielt sowie ein Drummer. On top gibt es eine Ausdruckstänzerin, die immer mal wieder über die Bühne fliegt.

Insgesamt spielt Marianne Rosenberg 24 Songs, die eine Spielzeit von 115 Minuten ausmachen, unterbrochen von 30 Minuten Pause. Das ist für eine Frau, die gar nicht mehr so weit von der 70 entfernt ist, alles andere als wenig. Aber letztendlich geht es mehr um Qualität als um Quantität. Und da müssen dann doch einige Abstriche gemacht werden…

Doch vorab noch ein paar positive Details: Der Sound klingt fast durchweg solide abgemischt, besonders das Mikrofon von Marianne ist schön laut, sodass man sie deutlich versteht. Sie wechselt in der Pause einmal das Outfit, zeigt sich in beiden Klamotten sehr Disco-Retro-like. Auf einer bühnenbreiten Leinwand im Hintergrund werden größtenteils kleine Einspieler und Fotocollagen gezeigt, wovon manche aber ein wenig zu stylisch wirken wollen. Ob sich eine 67-jährige mit einer grellen Sonnenbrille, auf der “Diva” steht einen Gefallen tut? Etwas trashig ist es definitiv. Das Licht ist ruhig, aber stimmig. Zwei Discokugeln sind selbstredend auch angebracht. Weitere Showeffekte bleiben aus.

…was gar nicht problematisch wäre, wenn denn das Gebotene dafür perfekt ist. Und tatsächlich muss man bei Ticketpreisen von bis zu knapp 100 Euro – ja, das ist ein Preis, für den man im Juli auch Lady Gaga hätte sehen können – entweder auf Showseite voll auffahren, einen wirklich sehr bekannten und sehr beliebten Star auftreten lassen oder qualitativ makellos sein. Doch leider muss man um 20:32 Uhr, wenn das Saallicht wieder angeht, zugeben: Eigentlich trifft nichts davon wirklich zu.

Bleiben wir fair: Natürlich kann man von einer Frau in jenem Alter nicht erwarten, dass die da über das Parkett fegt. Marianne Rosenberg ist eben weder Cher noch Tina Turner. Dass die Stimme nicht mehr ganz so schön klingt wie mit Anfang 20, ist auch der Natur geschuldet und weiß man, wenn man mal in Liveauftritte der letzten Zeit reingehört hat. Das Kuriose ist jedoch: Marianne klingt in der Stimmfarbe kaum gealtert, ist dafür aber tonal manchmal richtig daneben. Das macht Gänsehaut, nur keine schöne.

Hier ist dann der Punkt, an dem man sich beim Konzipieren der Show entscheiden muss: Lässt man die Gute über die Bühne fegen? Klappt körperlich nur eingeschränkt. Sie läuft zwar mehrere Male hin und her und bewegt auch ihre Hüfte sanft im Takt, aber der Fokus ist definitiv nicht auf Tanz gelegt worden. Sollte man dann nicht schauen, dass der Gesang on point ist? Dafür müsste man entweder einige Zeit in Vocal Coaching stecken oder sich von Backgroundsänger*innen unterstützen lassen. Und das ist eben die Entscheidung, die falsch gefällt wurde. Reine Backgroundsänger*innen gibt es keine. Hin und wieder singen einige der Instrumentalist*innen ein paar Zeilen mit. Stattdessen nimmt man die unschönste aller Varianten: Playback.

Gute 50 Prozent sind kein Livegesang. Zwar singt Marianne immer mit, aber an vielen Stellen sind die Stimmen vom Band so laut, dass das, was sie gerade ins Mikrofon singt, nicht mehr zu hören ist. Der Unterschied zwischen den etwas schrägen, wenn auch nicht wirklich schlechten Liveparts und den Playbackmomenten fällt schnell auf. Zwar sind nur sehr wenige Songs Vollplayback von der ersten bis zur letzten Note, aber genauso wenig Songs sind von der ersten bis zur letzten Note komplett live. Vieles wird gemischt. Statt prerecordete Versionen aufzunehmen, die wenig bearbeitet werden und bei denen es zumindest etwas authentischer klingt, donnern manchmal Refrains durch die Boxen, die eindeutig voller Autotune und zig Lagen übereinander sind. Unterstützung vom Band, ist voll ok – nur Band ist für ein Konzert aber einfach ein No Go.

Ein No Go aus dem Grund, weil man es einfach viel eleganter lösen könnte. Ein paar Sänger*innen auf der Bühne, die unterstützen, sowie Marianne konzentriert auf einem Hocker, statt am Spazieren. Als letztes singt sie nur vom Klavier begleitet “Torna a surriento”. Einen Song, mit dem sie im Teenageralter einen Plattenvertrag gewann. Das Akustikgewand steht ihr besser als das aufgeplusterte Beatgeballere. Weiterer großer Kritikpunkt: Abgelesene Anmoderationen vom Teleprompter und wenig erkennbarer Spaß im Gesicht. Das Konzert wirkt mehr wie ein Muss als wie ein wirklich gewollter Wunsch. Statt breitem Lächeln gibt es mehr Selbstbeweihräucherung, wie eigenwillig sie doch immer war, und dass niemand ihr etwas konnte. Das ist auch cool und verdient Respekt, aber täuscht über Defizite nicht hinweg.

Zum Glück bügelt die Setlist einiges glatt. Wie zu erwarten, sind nur einige im Publikum, die Songs aus den letzten zweieinhalb Jahren wollen. Stattdessen ist die Stimmung immer dann besonders hitzig, wenn einer der Evergreens zum Mitsingen bewegt. Ob “Marleen”, “Lieder der Nacht”, “Ich bin wie du” oder auch das verträumte “Fremder Mann” – hier zeigt sich Bochum textsicher. “Er gehört zu mir” gibt es sogar zweimal. Einmal als Gute-Laune-Schub für die Pause, dann nochmal als vorletzte Zugabe. Es wird gefilmt, fotografiert, geschunkelt und die Arme nach oben gerissen. Da Zweidrittel des neuen Albums “Diva” gespielt werden, kann man auch ohne die LP gehört zu haben mitsummen, handelt es sich eben um Coverversionen. Das zweite Album, das als Touraufhänger gilt und Platz 1 der Charts war, “Im Namen der Liebe”, wird hingegen nur mit fünf Tracks bedacht.

Am Ende muss man zwei Augen zudrücken, um das Konzert als gelungen zu verbuchen. Schön sind Momente wie bei “Ich bin wie du”, in denen auf der Leinwand queere Liebe gezeigt wird, für die Marianne schon stand, als man damit noch kein Geld verdienen konnte. Auf der anderen Seite hält sie eine Dankesrede für das Hannover-Publikum – das saß allerdings den Abend zuvor vor ihrer Nase. Unangenehm. Die Band ist zwar keine reine Deko, aber auch nicht in dem Umfang notwendig. Da hätten’s wohl auch drei Leutchen getan. Wer seinen Jugendstar – in welchem Jahrzehnt die Jugend auch war – einmal live sehen wollte, hatte dazu die Gelegenheit. Das ist aber auch das stärkste Plusargument. Bei allem anderen ist eine rosarote Brille vonnöten.

Und so hört sich das an:

Website / Facebook / Instagram

Bild von Christopher.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert