Ja, wir haben alle auf den Brief gewartet, der uns nach Hogwarts bringt. Wir wollten alle gemeinsam mit Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger Abenteuer erleben, Schulregeln brechen und das enge Band der Freundschaft spüren. Hat wohl bei den wenigsten geklappt. Auch das letzte aufflammende Gefühl, wieder im Hogwarts-Fieber zu sein, ist viel zu lang her. Zwar gibt es mit dem aktuell laufenden Theaterstück in Hamburg eine weitere Facette im riesigen Harry–Potter-Universum, aber dass wir einen der legendären Filme zum ersten Mal im Kino sehen durften, ist Ewigkeiten her, dass wir gar ein neues Buch in Händen halten konnten, sogar gefühlte Leben. Doch mit der Harry Potter in Concert-Reihe kommt ein Hauch von jenen so emotional beladenen Erinnerungen wieder hoch.
Vielleicht ein kurzer Disclaimer an dieser Stelle: Wir haben natürlich innerhalb der Redaktion darüber diskutiert, ob wir überhaupt noch in irgendeiner Form Events unterstützen wollen, die J.K. Rowling in die Karten spielen und ihr finanzielles Einkommen bescheren – und sind zu keinem zufriedenstellenden Entschluss gekommen. Was man aber auf jeden Fall betonen muss, ist, dass wir uns eindeutig von den wirklich schwierigen Äußerungen der Harry–Potter-Erfinderin distanzieren und die Haltung in keiner Art und Weise teilen.
Doch Harry Potter ist eben etwas mehr als nur die Autorin. Harry Potter ist vor allen Dingen wohl für sämtliche 80er- und 90er-Kids einfach das Ding überhaupt. Sich aus politischen Gründen davon komplett zu trennen, fällt sehr, sehr schwer. Diese Ansicht scheinen auch Tausende von Fans zu teilen, die es in gleich sieben deutschsprachige Städte zieht, um eben doch nochmal ein wenig das zu erleben, was man im November 2001 erlebte. Dann nämlich kam Harry Potter und der Stein der Weisen, der erste Teil der erfolgreichsten Buchreihe aller Zeiten, als Film – und holte über 12,5 Millionen Menschen in die Kinos. Das bedeutet bis heute Platz 7 im Ranking der meistbesuchten Filme aller Zeiten weltweit.
Und eins steht mit Sicherheit fest: Zum ersten Mal sieht am 25.3.23, einem Samstag, im PSD Bank Dome in Düsseldorf diesen Film niemand. Stattdessen besitzt mindestens ein Drittel der Besucher*innen ein auffälliges Harry–Potter-Accessoire. Seien es Schals, Pullover oder gar Umhänge. Das Fieber ist zurück, denn heute schaut man mit einer riesigen Gruppe erneut den ersten Teil, und zwar auf riesiger Leinwand. Mit Livemusik.
Denn natürlich gehört zu einer “In Concert”-Reihe selbstredend Musik. Die kommt an jenem Abend von den Allerbesten, nämlich vom Deutschen Filmorchester Babelsberg. Das 1913 gegründete Orchester hat, wie der Name es schon sagt, unzählige Filmmusiken eingespielt, in Zahlen übrigens über 1000 (!). Hinzu kommen große Einspielungen mit richtig großen deutschen Pop-Acts wie Rammstein, Peter Fox und Udo Jürgens sowie internationalen Megastars a la Céline Dion und Shania Twain. Strenggenommen spielt es wohl locker in einer Liga mit den Berlinern Philharmonikern.
Was soll somit also schiefgehen, wenn Harry–Potter-Wahnsinn auf pure Nostalgie und exquisite Musik trifft, die von wirklichen Fachleuten gespielt wird? Eben drum. Harry Potter und der Stein der Weisen – In Concert ist einfach eine wundervolle Veranstaltung, die keine falschen Fährten legt und auch nicht hält, was sie nicht verspricht. Stattdessen gibt es gute drei Stunden Magic.
Das Publikum setzt sich größtenteils aus Menschen zwischen 30 und Mitte 40 zusammen. Manche sind aber auch mit ihren Kindern da – der Hype wurde also eine Generation weitergegeben. Vielen kommt es wohl entgegen, dass das Event fünf Minuten später als angekündigt startet. Wenige Augenblicke zuvor ist nämlich der Eingangsbereich noch mit sehr langen Warteschlangen vor diversen Getränkestationen und Toiletten versehen und auch an der Einfahrt zum Parkhaus staut es sich noch bis kurz vor Knapp. Dann haben aber es doch fast alle geschafft, rechtzeitig ihre Sitzplätze – auch der Innenraum ist bestuhlt – einzunehmen, sodass um 19:35 Uhr das Orchester die Bühne betritt.
Und, oh mein Gott – was für ein Orchester! Es ist wahrscheinlich unmöglich, genau zu zählen, wie viele Leute hier heute spielen dürfen, aber mit bloßem Auge und ein wenig Pi mal Daumen sind locker über 70 Personen zu erkennen, davon allein rund 50 in den Streichern. So ein Riesenorchester spielen hören zu dürfen, das ist schon wirklich eine Seltenheit. Kommt dann noch dazu, dass es sich um absolute Profis handelt, ist Gänsehaut bereits beim Ansehen der Instrumente garantiert.
Jedoch scheinen die Zuschauenden mit klassischen Konzerten wenig vertraut zu sein. Äußerst verhalten wird applaudiert und es dauert mehrere Sekunden bis viele verstehen, dass man klatscht, wenn das Orchester auf die Bühne kommt. Der Applaus verstummt wahnsinnig schnell, fängt immer wieder an – Durchklatschen, bis auch der Dirigent an Bord ist, ist also nicht. Da benötigt es doch an vielen Ecken immer wieder ein paar, die erneut zum Mitklatschen animieren, denn hey, hier spielt Babelsberg! Das ist krass!
Die Leitung übernimmt John Jesensky, der sich mit warmen Worten ans Publikum wendet und sogar auf Deutsch vorliest, auch wenn er hörbar der Sprache nicht wirklich mächtig ist. Er fragt, wo die Gryffindors, die Hufflepuffs, die Ravenclaws und die Slytherins sitzen und fordert dazu auf, bei den Lieblingsmomenten laut zu jubeln und zu klatschen. Still zu sein, braucht man also in diesem Klassikkonzert nicht.
Es ist eindeutig spürbar, dass sich die Stimmung im Laufe des über 150 Minuten langen Spielfilms auflockert, sodass bei immer mehr Szenen und immer mehr kultigen Momenten aus unterschiedlichen Ecken in der Halle Zurufe und Applaus kommt. Der Film erhält nach der bekannten Trollszene mit Hermine eine 20-minütige Unterbrechung, ansonsten läuft er durch. Selbst für diejenigen, die den Streifen mitsprechen können – und ja, das sind so einige, die hier Tickets gekauft haben – erleben ihren Film nochmal ganz neu. Bekommt man die Musik nämlich live von so einer gewaltigen Truppe auf die Ohren, fällt erstmal auf, wie viel Musik überhaupt in dem Zweieinhalbstunden-Brett vorkommt und wie wahnsinnig gut sie ist.
Etwas befremdlich wirkt es zunächst, dass der Film trotz deutscher Tonspur untertitelt ist. Das liegt aber schätzungsweise daran, dass damit auch in den Szenen, in denen das gesamte Orchester richtig auf die Pauke hauen darf – im wahrsten Sinne des Wortes – trotzdem die Dialoge verstanden werden. Wäre zumindest im vorderen Innenraum absolut nicht notwendig gewesen, da der Sound von Anfang bis Ende toll abgemischt wurde, sodass das gesprochene Wort nie untergeht. An einigen Stellen hat man gar den Eindruck, dass die Stimmen im Film wesentlich lauter gepegelt sind als die restlichen Geräusche, die keine Musik sind. Die sind nämlich im Vergleich manchmal ganz schön leise, wodurch auch in diesen Kleinigkeiten die Supergeeks Neues zu hören kriegen.
John Jesensky hat wirklich einen äußerst herausfordernden Job. Ganz ohne Kopfhörer steht er vor dem großen Orchester, lässt sich in keiner Sekunde von der riesigen Leinwand ablenken, sondern ist hochkonzentriert und immer perfekt on time. Mit Sicherheit ist es in den vordersten Reihen ein wenig anstrengend, den Film zu gucken, da man den Kopf gen Leinwand doch recht hochhalten muss, gleichzeitig kommt man dafür aber in den Genuss, dem Dirigenten über die Schulter zu schauen, was sich als sehr spannend herausstellt. Der sieht vor sich auf seinem Bildschirm den Film mit einigen zusätzlichen Infos: Oben rechts in der Ecke laufen die Takte, in der Mitte erscheint bei jedem ersten Taktschlag ein hellleuchtender Kreis, zusätzlich läuft ein Balken durchs Bild, wenn auffällige Tempowechsel oder andere Dinge anstehen. Das muss man mental erstmal verarbeiten. Respekt!
Leider, und das muss man ganz stark betonen, wird diese sensationelle Leistung von viel zu wenigen Menschen im Publikum gewürdigt. Viele haben anscheinend das Geld ausgegeben, um den Film auf Leinwand zu sehen und nicht, um die legendären Kompositionen von John Williams von diesen Profimusiker*innen zu hören. Dabei gibt es so viele Momente wie die Bootsfahrt zu Hogwarts, das Quidditchspiel und ganz besonders die finale Schachpartie, in denen man wirklich von dem Breitbandsound eingehüllt wird und es einen kräftig durchschüttelt. Ein so tolles Erlebnis. Doch was passiert dann? Wie im Kino verlassen gleich mehrere Leute – darunter auch einige in den ersten Reihen – beim Beginn des Abspanns den Saal. Da spielt Babelsberg aber noch locker zehn Minuten. Das ist ein Armutszeugnis, gehört sich so nicht und ist wirklich frech. Guckt doch den Film dann einfach auf Blu-Ray und kauft euch einen Beamer!
Schafft man es in den großen letzten Minuten diese Unruhe irgendwie zu ignorieren, bekommt man wohl das beste Abspannerlebnis, was man in seinem Leben bisher hatte. So gern hat man sich ihn noch nie angeguckt! Mit Ticketpreisen von bis zu über 100 Euro ist Harry Potter und der Stein der Weisen – In Concert alles andere als ein Schnäppchen. Ist man aber ein echter Fan der Reihe oder ein Fan von wirklich, wirklich großer Filmmusik, hat man hier einen perfekten Abend mit stehenden Haaren auf den Armen und schwitzenden Augen. Unbedingt Ausschau danach halten, wann “Die Kammer des Schreckens” geöffnet wird!
Und so sieht das aus:
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Foto von Christopher
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