Bei manchen Acts fragt man sich, was genau in der Musikkarriere eigentlich schief lief. Und woran es gelegen hat. Bei den einen stellt man sich die Frage, warum sie so verdammt erfolgreich sind, weil man sie völlig overrated findet, für andere hingegen wünscht man sich viel mehr Aufmerksamkeit und schüttelt mit dem Kopf, dass so viele von deren Talent nicht einmal gehört haben. Delta Goodrem scheint das Problem sehr gut zu kennen.
Natürlich sind acht Millionen verkaufte Alben alles andere als schlecht. Defacto besitzt damit ungefähr jede*r dritte Bewohner*in ihres Heimatkontinents Australien eins. Das ist ziemlich viel. Von ihren insgesamt sechs veröffentlichten LPs haben fünf Platz 1 gesehen, das übriggebliebene Platz 2. Es hagelte nur so Veredelungen. Aber eben nur in Australien. Wie geht das? Wie kann man in seiner Area ein absoluter Megastar sein und auf der restlichen Welt nahezu unbekannt? Indem auf jegliche Promo komplett verzichtet wird.
Auch wenn Delta Goodrem anfangs noch in Europa im TV und Radio lief – immerhin waren das Anfang der 2000er noch wichtige Medien – war schon beim zweiten Album die Nachfrage wesentlich kleiner. Das lag nicht zwangsläufig an der Qualität, sondern eben an der Quantität. Wer nicht gespielt wird, wird nicht wahrgenommen, ganz besonders zu den Anfangszeiten des Internets. Dabei gab es sogar hierzulande fürs Debüt Gold, in UK gleich Dreifachplatin. Das sind extrem gute Zeichen für eine steile Karriere. Doch leider geschieht das alles nur im Konjunktiv. Sony Music Australia entscheidet sich gegen Support in Übersee, konzentriert sich nur aufs Landesinnere und vergeigt damit eine der größten Chancen.
Zwar ist 2023 Delta Goodrem nur noch den Wenigsten ein Name, aber die, die sie im Kopf behalten haben, kommen. Erstmalig ist die wahrscheinlich talentierteste Sängerin Australiens unterwegs und hält fünfmal in deutschsprachigen Städten. Zwar musste die für April angesetzte Tour um fünf Monate nach hinten verschoben werden, aber solche Lappalien sind nach Corona pillepalle. Doch warum plötzlich jetzt? Ganz easy: Die 38-jährige Künstlerin hat sich von denjenigen verabschiedet, die meinten, Europa wäre nicht das Richtige. Nun veröffentlicht sie ihren Stuff über ihr eigenes Label, nennt es selbst eine “neue Ära” und zeigt der Welt, wer sie ist.
In der Kantine in Köln, dem sechsten Halt auf der 14 Gigs umfassenden Hearts on the Run-Tour, ist es am 3.9., einem warmen Sonntag, nicht ganz voll. Die Show meldet zwar nicht, ausverkauft zu sein, ist aber mindestens zu Zweidrittel von Besucher*innen besucht. Die kommen übrigens zum Teil von verdammt weit her. Niederlande und Belgien ok, aber sogar UK und Kroatien hat sich hier versammelt, um endlich endlich endlich die Sängerin hören zu können, in deren Stimme man sich vor rund zwei Dekaden verliebt hat. Das Publikum überrascht: Einige sind um die 30, manche mindestens 60. Mehrere Rollstuhlfahrer*innen probieren vor der Stage einen Platz zu finden, was allerdings etwas schwerfällt, gibt es für sie nämlich keinen vorab freigehaltenen Raum. 20 Minuten muss man länger warten, bis schließlich um 20:20 Uhr die vierköpfige Band die Bühne betrifft. Darunter übrigens ein Violinist – ziemlich selten bei Pop-Konzerten.
Aber Warten ist man als Delta-Anhänger*in schließlich gewöhnt, da machen die 20 Minütchen auch keinen großen Unterschied mehr. Die sind übrigens einer gerissenen Hose geschuldet, erzählt sie. Ein Support fällt heute aus. Stattdessen scheint die in Sydney geborene Künstlerin aber alles nachholen zu wollen, was sie so lang verpasst hat. Fast 105 Minuten lang gibt es klassischen Pop mit einigen Rock-Elementen und damit einem Sound, den es eigentlich gar nicht mehr gibt. Ihre Wurzeln liegen in den 2000ern, das ist unmittelbar zu erkennen. Mag für manche ein wenig Old-School wirken, aber gerade das ist genau richtig so, eben weil man es kaum noch zu hören bekommt.
Entscheiden wir uns für Retro-Pop, dann muss er bitte exakt so sein. Das größte Manko an dem Abend ist der Sound. Besonders in den ersten Songs ist die wirklich toll angezogene und schick gestylte Delta viel zu leise. Mag die Band richtig knallen, geht der Gesang zumindest zu Beginn ganz schön unter. Das legt sich mit der Zeit, ist aber bis zuletzt nicht ganz optimal. Viel mehr Kritik bleibt dann auch nicht. 23 Songs lang gibt es handgemachten Pop at it’s best. Super gespielt, wahnsinnig sympathisch präsentiert, mit viel Publikumsinteraktion verbunden, frei von irgendwelchen Effekten, aber mit Gesang auf Weltklasse-Niveau.
Sagten wir schon, dass es verblüfft, wenn Musiker*innen nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen? Und ja, das muss bei Delta Goodrem einfach an Promotion liegen. Auch wenn man auf die sehr klare Sopranstimme im ersten Augenblick mit einem “Joa, finde ich nicht so besonders” reagieren mag, geht es vor allen Dingen um die wirklich sensationelle Technik. Mit Leichtigkeit wird hier immer noch eine weitere Lage nach oben geklettert und ohne Anstrengung immer genau im richtigen Register der Ton angesungen, der gerade gebraucht wird. Das könnte man ohne große Bearbeitung mitschneiden und veröffentlichen, weil es schlichtweg perfekt klingt. Dazu spielt sie emotional und mal mit mehr, mal mit weniger Wucht Klavier und baut sogar kurz ein paar Läufe von Edvard Griegs Klavierkonzert ein. Durch die regelmäßig auftretenden Geigensoli mischt sich also auch ein Hauch Klassik dazwischen.
Popmusik, die nicht durch am Computer generierte Technik erst catchy wird, sondern wirklich reproduzierbar ist. Delta erzählt witzige Anekdoten, zeigt sich äußerst dankbar, klatscht zig Fans in den vorderen Reihen ab, zu denen es nahezu gar keinen Abstand gibt, nimmt eine Person sogar in den Arm. Die Setlist bewegt sich durch sämtliche Alben, von jedem gibt es mindestens einen Song, die meisten jedoch vom übererfolgreichen Debüt “Innocent Eyes” (2003) sowie vom letzten Longplayer “Bridge over Troubled Dreams” (2021). Mit “Back To Your Heart” wartet vor den Zugaben die erst Anfang August erschienene erste Single auf ihrem eigenen Label auf die Crowd.
Manchmal wird’s laut und rockig, sehr oft aber auch ganz leise, akustisch und reduziert. In manchen Momenten möchte Delta klatschende Hände in der Luft, dann will sie, dass alle in die Hocke gehen und mit vollem Elan wieder nach oben springen. Was sie immer auch unaufgefordert bekommt: Großen Beispiel und Zurufe. In manchen Augen sieht man glitzernde Tränenflüssigkeit, was bei intimen Highlights wie “Born To Try”, “Play”, “Paralyzed” und dem größten Hit “Lost Without You” auch niemandem zu verübeln ist. Das Duett “Almost Here”, welches sie damals mit ihrem Ex Brian McFadden (Sänger bei der Band Westlife) sang, überrascht durch die starken Vocals ihres Gitarristen Matthew. “Sitting on Top of The World” oder “Believe Again” als Abschluss beweisen, dass aber auch powervolle Momente ihr stehen und sie mit wehenden blonden Haaren und auf High Heels frei und unbeschwert über die Stage hüpft. Das Beste ist allerdings ein kleiner Block von drei Songs, in denen sich Fans Songs wünschen dürfen. Diese Idee entstand während Corona-Quarantäne-Sessions, in denen Delta Onlinestreams anbot. Auch wenn nicht jeder Titel fehlerfrei klappt, verdient es äußerst viel Respekt mit zwei Bandmitgliedern spontan Lieder aus dem Repertoire zu spielen, die nicht fix geplant sind. Sieht man wirklich nur bei den allerwenigsten Acts.
Konzerte sind immer dann gut, wenn man auch ohne irgendeinen Song zu kennen, mitgerissen wird. Und das klappt an jenem Abend entweder durch die uplifting Harmonien, dem gänsehauterzeugenden und äußerst beeindruckenden Gesang oder der liebenswerten Akteurin. Irgendwo zwischen den Skills von Jessie J, dem Feeling von Jessica Simpson und den Hooks von Kelly Clarkson. Hypothese: Bis zur nächsten Europa-Tour wird es keine 20 Jahre dauern.
Und so hört sich das an:
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Bild von Christopher
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Hallo Christopher,vielen Dank für deinen absolut zutreffenden Konzertbericht,der weit drüber hinaus geht,das Gesehene/geschehene/gehörte mit ein paar Sätzen abzuspeisen.Ich als einer genannten (fast)60er Fraktion und gleichfalls Fan seit dem ersten Album freu mich wenn jemand wie Du so objektiv den Gig widergibst,das ist genau das was Sie braucht,um voranzukommen,insbesondere die Aussage “Gesang auf Weltklasseniveau” sollte jegliche Leute,die sich in dem Genre zuhause fühlen,motivieren beim nächsten Mal dabei zu sein.Denn da Sie nun selbst entscheidet,wann und wo Sie Präsenz zeigt,wird es sicher immer mal wieder Gigs in Europa geben.und wenn beim nächsten Mal nicht wieder die Hose platzt,wird sie auch pünktlich auf der Bühne stehen und 2-3 mehr Songs am Start haben….Thx
Hi Ingo,
ganz lieben Dank für dein Feedback, worüber ich mich wirklich sehr freue.
Schön, dass du auch so einen tollen Abend hattest.
Wenn sie wieder in der Ecke ist, komme ich echt gern nochmal rum 🙂
Beste Grüße aus Dortmund
Christopher
Hi Fili,
Ich muss gestehen, dass ich ziemlich gespannt und aufgeregt war, als ich gesehen hab, dass du einen Bericht über Deltas Konzert in Köln geschrieben hast. (Ich “kenne” dich noch aus der Münster Zeit, weiß aber nicht ob du dich noch an mich erinnerst. Ich hab mit dir Germanistik studiert und mit Anne und Mara in einer WG gewohnt…). Ich halte sehr viel von deiner Meinung über Musik und bin dazu ein großer Delta Fan seit ich 13 Jahre alt war. Dieses Konzert war für mich deshalb ein sehr besonderes!
Deshalb möchte ich mich bei dir für diesen tollen Bericht bedanken und hoffe sehr, dass Texte wie dieser dazu beitragen können, dass Delta ein bisschen bekannter in Deutschland wird.
Alles liebe für dich 🙂
Sabine
Made my Day, Sabine <3
Ganz viel Liebe aus DO!
Toll!! Danke für den schönen und interessanten Bericht. Ich war auch in Köln beim Konzert und gestern nochmal in Berlin, inklusive meet and greet.
Ich bin eingefleischter Fan seit Anfang ihrer Karriere.
Was du in deinem Artikel so berichtest, ist so wahr.. seit vielen vielen Jahren frage ich mich, warum sie so “unbekannt” in Deutschland und anderen Ländern ist.
Sie ist mein großes Idol und ich bin soo dankbar, dass sie diese Europatournee gemacht.
Delta ist einfach ein äußerst talentierter und authentischer Sonnenschein.
Und diese Fannähe… ich bin selber Sängerin, ein winziger Fisch im deutschen Musikbusiness, und SIE als Superstar ließ mich gestern mit ihr gemeinsam auf der Bühne einen ihrer Songs singen. Ein unvergesslicher Moment. Das wäre sicherlich nie möglich gewesen, wenn sie auch in Deutschland so mega bekannt und erfolgreich wäre. Das war in den Fall Glück und für langjährige und eingefleischte Fans wie mich ein absolut einmaliges und besonderes Erlebnis. 🙂
Wann kann man schon mal von sich behaupten, mit seinem Idol und so einem Superstar auf der Bühne zu stehen?! Und dann keinerlei Absperrung an der Bühne.. undenkbar bei anderen Stars, die in Deutschland auftreten.. Für uns Fans ein riesen Glücksfall und kaum fassbar, dass sie diese Nähe zulässt. 🙂
Meiner Meinung nach: Delta Goodrem mag vielleicht nicht so viele Fans (generell) haben wie zb eine Katy Perry, aber DIE Fans, die sie hat, folgen keinem Mainstream und sind wahrhaftig und erkennen diese Besonderheit, die sie hat. 🙂
Hey Sabrina,
ganz lieben Dank dafür, dass du meinen Artikel so nett feedbackst 🙂
Und wow, das ist aber ein echt krasses Erlebnis! Ich hoffe, du hast jede Sekunde genossen!
Beste Grüße aus Dortmund
Christopher
Danke für deinen extrem tollen Bericht… wenn man ihn liest, fühlt es sich ziemlich „live“ an. Wirklich super wiedergegeben!
Ich bin ein „Fan der ersten Stunde“ und konnte es letztes Jahr kaum glauben und realisieren, als ich sie live in Berlin gesehen, gehört und gedrückt habe. Es war der Hammer! Ein riesiger Traum wurde nach 20 Jahren wahr!
Bei der aktuellen HOTR-Tour habe ich sie in Köln und München nochmals live erleben dürfen und war von beiden Konzerten und natürlich von ihr total begeistert – in München hatte ich Meet&Greet und stand danach ganz vorn an der Bühne. Für uns Fans war diese Nähe einfach unglaublich und unbeschreiblich!
Ich hoffe sehr, dass sie ihre deutschen und europäischen Fans nicht wieder sooooo lange warten lässt und freue mich jetzt auch riesig, sie hoffentlich ganz bald wieder live sehen und hören zu können.
Hey Cindy,
wow, mir war echt nicht klar, dass Delta hier so eine riesige Fan-Bubble hat 🙂
Ich freue mich sehr für euch alle, dass es so ein tolles, intensives Erlebnis war.
Ich habe wirklich nur Positives gehört!
Ganz lieben Dank auch für dein Feedback zu meinem Bericht. Das ist immer toll zu lesen 🙂
Viele Grüße aus Dortmund
Christopher