Romy – Mid Air

romy mid air cover

Wahrscheinlich eine etwas kryptische Umschreibung, aber vielleicht versteht ihr es trotzdem: Es gibt Musik, die man nicht permanent ganz präsent hat, die man somit auch nicht so oft bewusst anmacht. Wenn sie dann aber läuft, fühlt sie sich immer richtig gut an. The xx sind exakt so. Hört man nicht immer, um besonders gute Laune zu kriegen, hört man auch nicht, wenn man perfekt ausgefeilte Instrumente sucht, dafür hört man sie als angenehmen Chillout auf sommerlichen Happenings, in Serien, beim Stay-in-Bed-Sonntag oder als Unterlegung bei nostalgischen Diashows. Und sie funktionieren jedes Mal. Ganz prägnant: Die Stimme von Romy.

The xx gründen sich 2005. Das ist fast zwei Dekaden her. Das erste Album lässt jedoch vier Jahre auf sich warten. Seitdem gibt es vor zig Songs der ersten Platte und einigen der zweiten und dritten kein Entkommen mehr. Der Sound ist steril, kühl, hat enorm viel Distanz und schmeichelt sich trotzdem wie ein Schal um den Hals. Indie-Electro-Dream-Pop-Rock oder so. Wahnsinnig besonders, somit unverkennbar. Ein immer hervorstechendes Detail sind die fast schon dialogartigen Gesänge von Oliver, der auch den Bass zockt, und Romy, die die Gitarre zupft. Sie klingen, als ob sie ein verliebtes Pärchen wären, das sich nah aneinander gekuschelt etwas erzählt und wir dabei lauschen dürfen. Jamie an der Drum Machine kreiert die soghaften Beats.

Und was ist, wenn nun Zweidrittel davon plötzlich wegfallen? Eins komplett, nämlich Oliver, und Jamie zum Großteil, der macht nämlich nur hier und da mal mit. Romy liefert mit Mid Air fast sieben Jahre nach dem letzten The xx-Output ihr Solodebüt, was per se schon mutig ist, liegen die Erwartungen nicht nur verdammt hoch, sondern sind auch noch sehr konkret vorhanden. Ob’s funktioniert? Ein kristallklares Ja. Jaaa!

Auch wenn Oliver und Romy eben immer nach Bettgeflüster klangen, so macht die Sängerin auf ihrer mit 34 Minuten recht kurz geratenen ersten LP nochmal ganz deutlich, dass sich ihr Liebesleben nur um Frauen dreht. Somit ist Mid Air auch viel mehr sie selbst. Thematisch wird ein großer Bogen gespannt, es beginnt mit „Love Her“ und endet mit einem „She’s On My Mind“. Etwas, was man spürt. Schmeißt Queerness-Konfetti in die Luft, springt ausgelassen darunter und dreht nun richtig auf, People!

Denn die gute halbe Stunde ist zwar im ASMR-whistle-artigen Gesang weiterhin ein wenig so, wie wir es von ihrer Band, die sich im Übrigen nicht aufgelöst hat, kennen – alles andere ist aber so frisch, unglaublich luftig, mitreißend, energiegeladen und trotzdem betrunken romantisch, dass man es ganz tief einatmen mag. Das ist extrem 90s, ist in einigen Momenten Techno wie damals Robert Miles, in anderen wiederum Robyn oder Madonna, als die mit „Confessions“ noch geilen Shit auf den Markt gebracht hat. Aber natürlich blitzt genauso die Fragilität von Hannah Reid bei London Grammar durch, was zweifelsfrei einem Ritterschlag gleicht.

„Can you turn up a bit more?“ bittet Romy zu Beginn nur wenige Sekunden nach den ersten Taktschlägen. Sie verschwindet also nicht einfach hinter dem Mikro, sondern lässt uns hinter die Kulissen blicken. Dann gibt es plötzlich ein großes Rabbit Hole, in das man hineinfällt, so klingt das repetitive „I love her, I love her“ in „Love Her“. Slapt. Doch bevor es zu Indie wird und man im Strudel erstickt, tauchen gleich mehrfach so gute Hooks auf, die man nach dem letzten Ton sofort suchten will. Allen voran der Tropical-House-Bop „The Sea“, die – wenn es sie noch gäbe – Love-Parade-Hymne 2023 „Strong“ und das totale Brett „Enjoy Your Life“ mit einem Sample von Beverly Glenn-Copelands 2004 veröffentlichten Titel „La Vida“. Verdammt groß!

Schlecht wird es zu keiner Sekunde, nicht mal wirklich mittelmäßig. „Did I“ ist ein Flashback mindestens 25 Jahre zurück, als Ibiza-Songs es in den Mainstream schafften. Bei „She’s On My Mind“ bringt Romy das Credo auf den Punkt und schließt mit den Worten „I don’t care anymore“. Eben drum, fuck it! Gefühl über Kopf, Herz auf Tisch. Es tut gut, weil es old-schoolig wirkt, gleichzeitig jedoch äußerst modern produziert daherkommt. An den Mischern stehen übrigens neben Jamie von The xx wahrhaftige Größen: Stuart Price (u.a. Madonna, Britney Spears, Pet Shop Boys, Gwen Stefani) und Fred Again, einer der wichtigsten der letzten Jahre (u.a. Charli XCX, Rita Ora, Clean Bandit, Shawn Mendes).

Mid Air ist endlich wieder ein Album, das sich für jeden Augenblick eignet. Für nächtliche Autofahrten, für dancige Pop-Momente, die selbst im Radio klargehen, für Clubnächte, in denen gerade die Rauchmaschine die Sicht nimmt, für wilde French Kisses mit dem Crush sowie für die Charts. Richtige Überraschung im Spätsommer. Nutzt ihn, hört dabei die LP an einem der letzten warmen Tage und friert den Moment ein!

Und so hört sich das an:

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Die Rechte fürs Cover liegen bei YOUNG.

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