Gar keinen Bock mehr auf Kompromisse. Nura fährt für ihr drittes Album schärfere Mittel auf. Währenddessen ihre Ex-Bandkollegin Juju auch nach fast viereinhalb Jahren ihre Fans noch auf die zweite LP warten lässt, geht das andere ehemalige SXTN-Mitglied nun zum dritten Mal solo an den Start – und scheint für spaßiges Tralla-Hopsasa nur noch begrenzt Kapazitäten zu haben.
Eins muss man Nura grundsätzlich lassen: Menschlich ist die einfach super weit vorn! Die vier Jahre ohne Begleitung an der Seite hat die Rapperin mit eritreischen Wurzeln genutzt, um gleich an mehreren Fronten mitzuwirken. Schauspielerisch hat sie besonders bei “Die Discounter” ordentlich Sympathiepunkte eingeheimst und sich bei “Sing meinen Song” wandlungsfähig präsentiert. Es gibt regelmäßig empowernde Posts für die queere Community. Sowieso stellt sie sich immer ganz nach vorn, wenn es um Asylrechte geht. Nicht zuletzt ist Feminismus ein stets wiederkehrendes Mittel in all ihren Arbeiten. Auch wenn es seit der Trennung bisher nie für den einen richtig großen Hit reichte, war besonders ihre letzte LP “Auf der Suche” genau der Step in die nötige Richtung, der bewies, dass Potenzial durchaus vorhanden ist.
Aber Nura ist eben eher das liebgewonnene Gesamtpaket. Eine Person, die man einfach durch ihr Standing mögen muss. Und für dieses Standing geht die 34-jährige nun drastische Schritte. Mag der Albumtitel Periodt noch die Möglichkeit offen lassen, es handele sich hierbei um ein Satzzeichen und somit um geradeheraus gesagte Punchlines, die keine Ergänzung benötigen, eröffnet das Cover noch eine zweite Interpretationsebene: Nura sitzt nackt mit dem Rücken zur Kamera gewendet. Ihr gesamter Körper ist bis zum Hals mit Blut beschmiert. Periodenblut, um genau zu sein. In your face.
Genau diese Haltung zieht sich durch die 15 Tracks, wovon ein Großteil zwischen Mittelfinger-Attitüde, purem Zynismus und extrem direkter Sozialkritik hin- und herwechselt. Vorweg: Ihre Meinungen sind fast durchweg großartig und total nachvollziehbar. Die Art der Gestaltung ist aber doch ein wenig schwierig. Offensichtlich wurde enorm viel Power in die Lyrics investiert, sodass die Beats und Melodien gern ein wenig ins Leere laufen. Die Energie, die klar erkennbar ist, ist dann aber so emotional aufgeladen, dass man manchmal die Pausen-Taste betätigen mag, um sich selbst etwas zu regulieren.
Nura scheißt wirklich einen riesigen Haufen auf Nettigkeit. Das sagt sie sogar selbst in dem Diss-Opener “Kreislaufkollabs”. Die Kernaussage ist bereits nach rund 40 Sekunden klar: Männer sind eigentlich echt zum Kotzen, werden für weniger Talent besser bezahlt und unterdrücken Frauen. Das mag auch im 2023-Patriarchat noch auf einige zutreffen, geht aber auf Periodt oftmals schon als Männerhass durch. Und Hass hilft uns allen ja auch nicht wirklich weiter, oder?
Die Rapperin mit Wiedererkennungswert dreht den Spieß um. So geht es in der smoothen R’n’B-Nummer “Sidebitch” darum, dass Nura selbstbestimmt ihre Affäre nur für das Eine braucht und sie ausdrücklich davor warnt, sich in sie zu verlieben. In einem anderen Track macht sie sich gnadenlos über männliche deutsche Rapper lustig (“Spielplatz”), die alle nur faken. Bei “Obsessed” sucht man im Liebeskummersuff nach Möglichkeiten, sich zu rächen. Zentral mittig platziert ist der wohl eindringlichste Song, “Eine gute Frau”, der mit einem zurückgefahrenen klassischen Hip-Hop-Beat eine Art Fortsetzung zum SXTN-Evergreen “Hass Frau” darstellt. Hier wird auf brutale, unverblümte und ziemlich eindeutige Weise davon berichtet, wie Männer an ihren Partnerinnen Gewalt ausüben, sie missbrauchen und wie Sklavinnen behandeln. Das sitzt besonders durch seinen Fokus auf den Text. Auflockerung durch uplifting Rhythmen? Nope. So ernst klang Nura noch nie. Ein Song, der wohl die LP derartig dominiert, dass vieles Drumherum schon gar nicht mehr atmen kann. Aber nochmal: Die Aussage ist hervorragend. Es ist eben nur sehr plakativ und in der Masse an “Keine Frau braucht einen Mann”-Punchlines irgendwie arg erdrückend.
Musikalisch liefert man 90s-Tropical-Housebeats mit einem Sample von Crystal Waters‘ Kulttrack “Gypsy Woman” (“Für die Vibes”), was ganz ok funktioniert. “Diego” ist ein kurzer, niedlich arrangierter Ausflug nach Spanien mit Flamenco-Gitarren. “Bella” stellt eine Frau mit 10-von-10-Charakter vor, der niemand widerstehen kann, für die aber leider das wirklich totgenudelte “Umbrella, ella, ella” von Rihanna herhalten muss. Dann lieber Bassbretter a là “Fat A$$”, die wohl auch eine Lil’Kim gedroppt hätte. Die stärkere, klügere Kritik, ohne 20 Mal mit der Axt ausgeholt zu haben, gibt es mit “10 Million”, das darauf hinweist, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch nach unzähligen Jahren noch eine unfaire Behandlung hinnehmen müssen. Inhaltlich top, dafür wird es mit der Hook, die schon über der Grenze von Nuras Range liegt, wahnsinnig penetrant im Ohr. Perfektes Konglomerat aus allen wichtigen Faktoren: “FUBU” mit einem nicht ganz unbekannten Zitat von Martin Luther King.
Verdammt schwierig. Ist das nun gut, weil kompromisslos und mutig, oder einfach übertrieben und dadurch auch eine Spur zu krawallig-unerwachsen? Nura hat den Mix aus witzig, smart und catchy von “Auf der Flucht” verlassen, um nun bei Periodt mit Aggressivität und Protesthaltung in den Mittelpunkt zu geraten. Da sind einige Zeilen dabei, die sich für Plakate bei Demonstrationen hervorragend eignen – auf Albumlänge fühlt sich das aber oftmals dann doch nicht mehr so gut, sondern ganz schön anstrengend an.
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Ein Mann schreibt einen Kommentar…
Hi Dorothea,
genau.
VLG Christopher