Weihnachtszeit. Der Dezember braucht nicht nur wegen seiner gerade ganz schön kalten Temperaturen Cozyness, sondern sowieso laden die kurzen Tage dazu ein, es sich so richtig gemütlich zu machen. Gregory Porter aufzulegen, kann da zum Wohlgefühl mit Sicherheit ordentlich beitragen. Oder noch besser: Ihn einfach live zu besuchen?
In der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle findet man am 5.12., einem Dienstag, den Innenraum bestuhlt. Fast jeder Sitzplatz vor der Bühne als auch auf den Rängen ist besetzt. Die Stimmung ist entspannt und äußerst angenehm. Man spürt, dass heute Musikalität im Fokus stehen soll und nicht das große Tamtam. Die Crowd wird sich wenig bis gar nicht bewegen, stattdessen lauscht man mit absoluter Aufmerksamkeit dem, was vorne passiert.
Gregory Porter ist 52 Jahre jung, kommt aus Kalifornien und gehört gegenwärtig zu den wohl international bekanntesten Jazz-Acts. Dabei schafft er es, sogar in den Albumcharts äußerst erfolgreich zu sein und auch kleine Brücken zum Pop zu schlagen. Schon 2013 lädt ihn Max Herre bei seinem MTV Unplugged ein, in der “Helene Fischer Show” war er auch schon zu Gast und mit dem Electro-Duo Disclosure gab es sogar einen housigen Hit in UK. Auch wenn man ihn stimmlich nicht mit ihr vergleichen kann, so fühlt man sich doch an den Hype einer Norah Jones erinnert, die ebenfalls immer mal in Projekten vorzufinden war, die so gar nichts mit Jazz zu tun haben.
Es überrascht wohl niemanden, dass Porter seit seiner Kindheit singt. Was hat er da wohl gesungen? Richtig, Gospel. Was jedoch ziemlich überrascht, ist, dass er erst im vergangenen Jahrzehnt anfing, als Solokünstler durchzustarten. Sowieso ist er in seiner Heimat kein großer Name – bei uns funktioniert aber seit seinem Durchbruch “Liquid Spirit” (2013) jede Veröffentlichung gut, sodass es den Künstler für Auftritte auch regelmäßig nach Deutschland zieht. Erst letzten Monat erschien mit “Christmas Wish” die erste Weihnachts-LP, das letzte Studioalbum kam 2020 (“All Rise” ) und ist jedem ans Herz zu legen. Auf seiner kleinen weihnachtlichen Tour hierzulande gibt es gerade einmal fünf Auftritte und passend einen Mix aus neuen Kompositionen mit und ohne Saisonthematik sowie Klassikern und Covern.
Fast 105 Minuten lang kann man sich aus Düsseldorf wegträumen. Bandbesetzung heute: Piano, Hammondorgel, Kontra- und E-Bass, Saxophon, Drums. Plus Gregory Porter am Gesang selbstredend. Nach bester deutscher Sendezeit geht es um 20:15 Uhr los – und zwar mit Klatschen. Nein, wir haben nicht doch aus Versehen die “Helene Fischer Show” besucht, heute wird nämlich zum Glück nicht auf 1 und 3 geklatscht. Stattdessen gibt es während des Gigs mehrfach kleine Mitmachparts, die jedoch das Publikum gern mal überfordern. Ja, mit dem richtigen Feeling für Musikalität haben wir Deutschen es oft nicht so. Aber statt die Landeshauptstadt sofort in ein warmes Winter Wonderland zu verwandeln, gibt es erst einmal ein wenig Groove zum Aufwärmen mit dem Titelsong aus dem Christmas-Album.
Insgesamt wird es dann aber doch viel, viel mehr Cool Down als Get Up. Auch wenn man bei drei, vier Songs auf den Sitzen ein wenig hin- und herschwingen kann, so steht Gregory Porter eben für emotionale Treffsicherheit. Der stärkste Moment am Abend ist eigentlich direkt die erste Minute. Sobald der über 1,90 Meter große Sänger das erste Mal ansetzt, gibt es gnadenlose Shivers, die den Körper rauf und runter klettern. Als ob bei der Stimme in den Studioaufnahmen überhaupt nichts dazu gemischt wird, klingt der Sound des sympathischen Menschen einfach sensationell toll. Ein “Wow” kann man sich nur schwer verkneifen. Nicht weniger hervorragend ist übrigens jede einzelne Person, die auf der Bühne steht. Glaubt man in dem einen Moment, dass der Saxofonist das Highlight der Band ist, ist es dann plötzlich doch der knuffige Pianist, der wirkt wie ein alter Mathelehrer, dann auf einmal wieder ein irrsinnig gutes Kontrabasssolo und am Ende doch wieder alle gemeinsam.
Fans von handgemachter Musik mit hohem Anspruch in der Umsetzung finden hier zweifelsfrei eine quasi perfekte Performance. Das ist einfach wirklich alles ganz, ganz stark gespielt. Allerdings – und da liegt ein wenig der Knackpunkt des Abends – unterscheiden sich Konzerte in einer Hinsicht gewaltig von dem Zuhören zu Hause: Man macht es eben um Längen konzentrierter. Man schaut nach vorne, man ist still, man macht nichts anderes, man probiert niemanden zu stören. Konzerte sind eben auch ein Stück weit Entertaining, und da gibt es dann doch ein paar Punkte Abzug.
Nicht falsch verstehen: Nein, natürlich soll Gregory Porter keine Pyroeffekte auf die Bühne stillen, sich nicht umziehen, auch keine Choreo einstudieren oder mit Stroboskoplicht ablenken. Aber Bluesmusik, die mit Soul und Jazz liebäugelt und lyrisch viel Leid klagt, ist einfach nicht die abwechslungsreichste. Muss sie auch nicht sein, aber tatsächlich schleicht sich in den mehr als anderthalb Stunden doch immer mal wieder ein wenig Langeweile ein. Langeweile, die wirklich hervorragend klingt – aber eben auch ein bisschen sehr zur Ruhe bringt. Neben der Musik gibt es nur noch Licht, und auch das ist nur basic.
Besonders wenn manche Songs in epischer acht, neun Minutenlänge ausgedehnt werden, gibt es so manchen “Joa ok, reicht jetzt auch”-Augenblick. Schön sind die Momente, in denen die Band reduziert wird. So zum Beispiel bei einem wirklich gigantischen Solo mit dem Kontrabassisten, das sich spontan in “My Girl” von The Temptations verwandelt. Genauso gut ist das ganz tief anfassende “Water Under Bridges”, das nur durch Vocals und Piano getragen wird. Diese kleinen Einschübe lockern die Show ordentlich auf.
Natürlich tragen auch Gregory Porters teils ganz schön skurrilen Familiengeschichten dazu bei, dass man hier und da mal auflacht. Zum Beispiel über plötzliche Brände zuhause, weil er und seine sieben Geschwister Mist gebaut haben. Der Mann, dessen Markenzeichen seine Ballonmütze ist, kommt nahbar und in den Ansprachen auch wenig bis ins Detail vorbereitet herüber, was aber ganz angenehm ist. Und wirklich: Die Stimme ist wundervoll. Auch bei “Take Me To The Alley” oder “Heart Of Christmas” schauen regelmäßig Töne vorbei, die technisch einwandfrei vorgetragen sind und sekundenlang voller Inbrunst durch den Saal fegen. Hier wackelt nichts. Mal was daneben singen? Nicht in diesem Leben anscheinend.
Großer Respekt vor der musikalischen Leistung, die die 6 gemeinsam in Düsseldorf präsentieren. Eine gute Konzertlänge, eine stimmige Auswahl. Wem das genügt, wird mit einem “10 von 10”-Erlebnis nach Hause fahren. Wer aber eben Live das gewisse Etwas sucht, was sich von dem Gefühl, was man von daheim schon kennt, abhebt, könnte etwas underwhelmed sein.
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Bild von Christopher
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