K’s Choice, Bürgerhaus Stollwerck Köln, 08.10.2025

ks choice köln 2025

Auf die Nachfrage, wer schon seit 30 Jahren dabei sei, melden sich viele. In den drei Dekaden sind alle älter geworden. Vor der Bühne, auf der Bühne. Da verändern sich bei manchen Einstellungen zum Leben, Sichtweisen auf sich selbst und Beziehungen. K’s Choice zeigen sich deswegen in Köln verletzlich, sehr publikumsnah, spielfreudig, reif wie melancholisch.

Belgien ist eines dieser kleinen Fleckchen Erde, die selten auf dem Radar erscheinen. Hat man als Deutsche*r schon gern, aber dennoch keinen wirklich intensiven Bezug zu. Dabei gibt es einige dort entstandene Perlen der Musik aber auch des Films, die weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. K’s Choice kommen in nahezu jedem Ranking über belgische Bands vor – egal, ob Publikumsliebling oder kommerzieller Erfolg. Mit ihrem Alternative-Rock, der so hart nach 90s klingt, wie man nur nach 90s-Rock klingen kann, verkaufte das ursprüngliche als Duo gestartete, dann aber immer mit festen Livemusiker*innen erweiterte Projekt richtig ordentlich viele Platten. Also jetzt im Rahmen der belgischen Möglichkeiten. Oh, und in der Niederlande lief’s auch hervorragend. In beiden Nationen erreichte die Gruppe mit dem zweiten wie dritten Album eine Platinauszeichnung, mit dem danach immer noch Gold. Drei Alben kamen in Belgien bis an die Pole der Charts, bei uns blieben sie hingegen immer die coole Insider-Band aus dem Nachbarsland.

1995 erschien mit „Paradise In Me“ die erfolgreichste Veröffentlichung. Kam das Debüt nicht über Fankreise hinaus, so ging es dank dem genauen Kopftreffen des Sound-Nagels mit dem Nachfolger richtig durch die Decke. In kurzer Zeit stieg man zu einem der bis heute andauernden erfolgreichsten Acts auf, spielte auf diversen Rock-Festivals, als da noch Rock lief, und wurde fortan in einem Atemzug mit britischen Kolleg*innen wie Skunk Anansie oder Radiohead aufgezählt.

Und einige dieser Menschen, die schon Mitte der 90er über den Landestellerrand hinausschauten, sind am Mittwoch, dem 8.10., ins Bürgerhaus Stollwerck in der Domstadt gekommen, um ein Stück Jugend erneut zu erleben. Das Durchschnittsalter ist im fast ausverkauften, aber sehr gut gefüllten Haus Mitte bis Ende 40. Laut ist man aber wie weit über 1000 Menschen, obwohl sich geschätzt nur die Hälfte hier tummeln – es wird gejubelt, gepfiffen, geschrien und mitgesungen. Auch wenn das von der Kritik hochgelobte „Paradise In Me“ damals nicht die deutschen Charts enterte, so haben es dennoch offensichtlich viele hier im Raum totgedudelt, bis wirklich jede noch so kleine Verszeile saß.

Doch bevor K’s Choice ihren Nostalgie-Trip der Crowd in den Hals schmeißen, darf das Brüder-Duo The Radar Station – ebenfalls aus Belgien – um kurz nach halb 9 auf die Bühne und für gute 35 Minuten spielen. Wie gut es sein kann, wenn der Support musikalisch zum Hauptact passt, beweist die sehr sympathische, junge Indie-Pop-Rock-Vorband, die genau das richtige Händchen für stimmigen, aber herrlich unkitschigen zweistimmigen Gesang besitzen und dazu ein paar sehr genaue Beobachtungen in Lyrics verpackt haben. Ganz starker Einstieg, der sicherlich einige im Publikum dazu gebracht hat, der Band auf Instagram oder Spotify zu folgen. Höchstambitioniert hält Sänger Brent sämtliche Ansprachen auf Deutsch, auch wenn er von seinen Skills so gar nicht überzeugt ist. Anyway: Die Zwei zum ESC für Belgien? Go!

Dank fixem Umbau geht es für den Headliner um 21:30 Uhr los. K’s Choice spielen 100 Minuten und insgesamt 22 Songs. Darunter das komplette „Paradise In Me“-Album in der originalen Tracklist-Reihenfolge plus eine Auswahl an acht weiteren Songs. An Hits orientiert man sich so gar nicht. Wer eher eine Singles-Party erwartet, geht hier wahrscheinlich enttäuscht nach Hause. Von den fünf Songs, die überhaupt irgendwelche Singlecharts jemals gesehen haben, gibt es exakt einen: „Not An Addict“, und den gleich zum Anfang.

Stattdessen fokussieren sich Sam und sein „Big Brother“, wie er Gert nennt, auf das Feeling des Albums, das hier seinen 30. Geburtstag feiert. Sogar fast auf den Tag! Am 29.9.95 kam „Paradise In Me“. Zwar sind viele Songs in tieferen Tonarten gespielt, um der heutigen Stimme von Sam gerecht zu werden, ansonsten klingt aber die erste Stunde des Gigs, die sich mit der LP beschäftigt, wie eine kleine Zeitreise. Wie wirklich perfekt gespielter, perfekt gesungener und auch sehr gut abgemischter 90s-Rock ohne unnötige Frischzellenkur. K’s Choice wissen, wie sie Retro wirken und lassen sich auf das klassische Arrangement ein, zu dem die unglaublich gut spielende Band – allen voran: Der Herr an den Drums – ein treibendes Klangbett aufstellen, das gar nicht selbstverständlich ist. Schließlich lebt Sam in den USA, Proben sind also eine Seltenheit, die Konzertreihe umfasst gerade einmal eine Hand voll Shows, beinhaltet aber zig Songs, die schon ewig nicht mehr auf der Setlist standen. Und dafür funktioniert alles wirklich richtig gut.

30 Jahre schlagen sich in vielen Details nieder. Sam outete sich kurz vor der Pandemie als trans, seine Stimme ist seitdem nochmal einige Töne tiefer geworden – was aber dem Erlebnis gar keinen Abbruch tut. Klar, die Songs klingen etwas anders, als man sie vielleicht in der Erinnerung ganz safe gespeichert hat, aber gerade deswegen macht es einem das klassische Arrangement der Titel wieder einfacher. Sam liefert über anderthalb Stunden tonal ausnahmslos genau auf den Punkt, sämtliche Noten sind wunderbar mittig und technisch super angesungen – und mit enorm viel Gefühl und Lebensweisheit transportiert. Er selbst erzählt, wie komisch und gleichzeitig schön die Arbeit der letzten Wochen war, in denen er sich plötzlich mit Titeln beschäftigt hat, die er ewig nicht gesungen hat, nun aber von ihm neu betrachtet und interpretiert werden. Da kann man auch mal über seine eigenen Lyrics erschreckt drüberstolpern: Im letzten Albumtrack „Something’s Wrong“ heißt es „When your girlfriend’s got a penis – something’s wrong“. Er betont lächelnd und auch ein wenig selbstironisch, dass die offizielle Stellungnahme von K’s Choice im Jahre 2025 besagt, dass nichts mit Freundinnen, die einen Penis haben, falsch ist. Word. Paar Zeilen also abwandeln und gut ist! Rhythmisch mitgewinkt und laut mitgesungen wird bei dem Song weiterhin.

Mit „Not An Addict“ als Einstieg gibt es den größten Hit, der immer wieder mit diversen Neuauflagen und Auftritten die Millionenmarke auf YouTube knackt, gleich zu Beginn. So geht die Stimmungskurve schon nach wenigen Sekunden spürbar nach oben. Die Atmo, welche das Lied, das Drogensüchte thematisiert, erzeugt, holt unmittelbar ab. Berührend wie treffsicher. Nach rund fünf Minuten Konzert wird es in der Tracklist weniger populär, aber nicht weniger qualitativ.

Stattdessen entstehen mehrere ähnliche, aber dennoch nie gleichklingende Soundkonstrukte, die zwischen sehr emotionaler, äußerst persönlicher und intimer Klavierballade („Dad“), ballernden Skaterrock-Interludes („Old Woman“) oder auch Country-Flair switchen („The Phantom Cowboy“). Bei „Song for Catherine“ erzählt Sam etwas zur Entstehungsgeschichte, nämlich, dass damals eine enge Freundin einen sehr wichtigen Menschen verloren hat und er so Anteilnahme zeigte. Bei „I Will Carry You“ darf Bruder Gert einige Takte allein singen, was durchaus auch an anderen Stellen gerne hätte passieren dürfen. Außergewöhnlich: Die letzte Zugabe „We Are Glaciers“ funktioniert instrumental. Statt erneut Sam zu lauschen, baut die komplette sechsköpfige Gruppe einen richtigen Sturm an epochalem, filmartigem Rock auf, der mit Guitarlele beginnt und in einem richtigen Gewitter aus ohrenbetäubendem, sphärischen Bass, E-Gitarren und fetten Drums endet. Erfrischend anders und mitreißend. Untermalt werden die Songs mit den für K’s Choice bekannten fantasievollen Landschaften und comicartigen Figuren, die in ruhigen Visuals auf die Leinwand im Hintergrund projiziert werden.

Fast zehn Jahre dauerte die Rückkehr der Belgier*innen in die NRW-Metropole, rund acht Jahre dauerte sowieso die Rückkehr nach Deutschland. Sam verspricht, dass der nächste Abstand kleiner wird. Allen sieht man ihren Spaß, noch mehr aber ihre Dankbarkeit an. Über solch treue Fangemeinden darf man sich auch wirklich freuen. Ein musikalisch starkes Konzert mit einer untypischen Setlist wird dazu führen, dass die Fans bis zum nächsten Gig sicherlich auch nicht weniger werden.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher Filipecki

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2 Kommentare zu „K’s Choice, Bürgerhaus Stollwerck Köln, 08.10.2025“

  1. Hallo Christopher, danke für deinen Konzertbericht!
    Bei mir hat das Konzert bleibende Spuren hinterlassen. Wenige Stunden vorher ist eine Verwandte von mir gestorben, und beim Lied über den Vater habe ich zum ersten Mal meiner Trauer freien Lauf lassen können. Seit dem Konzert habe ich auf der anderen Seite vier weitere Personen in meinem Freundeskreis…
    Was ich ungewöhnlich fand war, dass „Not an addict“ gleich zu Anfang kam – normalerweise bringt man ja die erfolgreichste Single erst kurz vor Schluss eines Gigs. Das mit der Tracklist erklärt allerdings die Sortierung.
    Ja, und dann der Schluss. Ungefähr 1995 habe ich K’s Choice im Kölner E-Werk schon mal gesehen. Nun hatte ich ein Handy dabei und habe die Tracklist fotografiert. „We are Glaciers“ bekomme ich seit den Konzert nicht mehr aus dem Kopf.
    Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Konzert in einer Kölner Halle.
    Beste Grüße
    Thomas

    1. Hi Thomas,

      solche Ereignisse kurz vor einem Konzert sind natürlich immer super schwierig.
      Schön, dass du dich trotzdem dazu entschieden hast, hinzugehen und anscheinend ja auch eine wirklich tolle Zeit hattest.
      Das freut mich für dich.
      Genau, die Setlist richtete sich nach der Tracklist des Albums. Schau gerne mal auf setlist.fm, da kann man oft viel finden.
      So oder so wünsche ich dir eine gute Woche!

      Beste Grüße aus Dortmund
      Christopher

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