„Die größte Österreichische Rockband aller Zeiten werden“, so die Antwort auf Christian Hummers Frage, was Wanda so machen wollen mit der Band, noch bevor er einstieg. Denn genau das war es: Marco Wanda schwebte etwas vor, das für immer ist. Frei nach dem Turtles-Motiv, die stets gemeinsam durch dick und dünn gehen. Kein Plan B. Genau das ist es, wovon Marco Wanda in dieser Biografie erzählt, in einer Mischung aus persönlicher Erzählung und der Geschichte der Band Wanda – wobei das sowieso nicht voneinander zu trennen ist. Denn, auch wenn es Marco Wanda gar nicht immer recht ist, ist alles, was er macht, auch irgendwie Wanda. Zumindest in der Außenwahrnehmung. Was ihn mitunter so sehr nervt, dass er im Ausland auf die Frage nach seinem Beruf stets „I’m an accountant“ antwortet, um nicht über seine Musik reden zu müssen.
Das Verschwinden des Privaten führt im Endstadium zur skurrilen Situation, dass er nach der Tour den Busfahrer bittet, ihn mit nach Berlin zu nehmen, weil er nicht mehr weiß, wo sein Zuhause ist. Und ob es eines gibt. Aber bis es dazu kommt, ist es ein weiter Weg, den der Autor hier sehr gut nachzeichnet. Er schafft es, auf der einen Seite deskriptiv genug zu sein, um sich das Geschehen vorzustellen, auf der anderen Seite aber so viel Emotion einzubringen, dass man mitfühlen kann, soweit es möglich ist für jemanden, der es nicht selbst erlebt hat. Selbst irrational anmutende Dinge wie zerstörte Hotelzimmer und völlig „verdrogte“ Shows erhalten hier eine gewisse Plausibilität (natürlich unter dem selbstredenden Vorbehalt „don’t try this at home“).
Bevor es so richtig Gestalt annahm mit Wanda, wird zunächst ein kurzes Intermezzo in Berlin thematisiert, dazu kommt ein Aufenthalt in Kairo inmitten des arabischen Frühlings, den Marco Wanda in der Tradition seines Vaters als Kriegsberichterstatter verortet. Beides lässt sich schon früh einige der Wanda-Stücke besser verstehen und erklärt beispielsweise die Entstehungsgeschichte von „Weiter, weiter“. Dieses Motiv der Selbstfindung taucht später wieder auf, doch zunächst folgte der steile Aufstieg: von Auftritten vor hundert Leuten, die damals mit Unterstützung von Freunden aus dem Studium der Sprachkunst auf die Beine gestellt wurden, bis hin zu „Bologna“, das die Band landesweit bekanntmachte. Marco Wanda schildert den schnellen Aufstieg und den großen Erfolg, aber auch die Schattenseiten, die damit einhergehen, wenn Menschen vom eigenen Ruhm überrumpelt werden. Das schlägt sich in den zertrümmerten Hotelzimmern nieder, aber auch in starken Dämpfern wie einem äußerst ernüchternden Auftritt im Kölner Palladium als Support von Kraftklub.
Auch wenn der Weg immer weiterging und die Richtung stets „nach oben“ lautete, kam es zu Überforderungen, Zerreißproben und zu Exzessen. Alkohol sowieso, aber auch Ecstasy und Kokain. Ebenso Versuche der Selbstfindung, die jedoch scheiterten – etwa mit einem Aufenthalt in Paris, wo Marco Wanda just zu dem Zeitpunkt war, als dort Anschläge auf das Stadion und das Bataclan stattfanden. Doch: Es musste weitergehen. Und was nach außen wie „Funktionieren“ aussah, führte nach innen zu zunehmenden Zerreißproben. Und in all dem spielte zudem die tragische Krankheit Christian Hummers, der häufig ersetzt werden musste und Schuldgefühle bei der Band hinterließ: Wie können wir hier die großen Erfolge feiern, während ein Gründungsmitglied mit dem Leben ringt? Gerade das Album „Ciao!“ entstand in diesen Zeiten. Von der Band selbst wird es nicht als Highlight gesehen, erst im Rückblick schätzt es Marco Wanda differenzierter.
Diese „Bubble“ des Funktionierens zeigt sich auch in der Corona-Pandemie. Die Band war munter auf Tour, spielte noch riesige Shows in der Olympiahalle in München und war dabei fernab vom weltlichen Geschehen, bevor die Tour abrupt abgebrochen werden musste. Eine Stelle, an der es erneut sehr persönlich wird, denn im Gegensatz zu vielen Künstlerkollegen war es für den Autor eine wohl dringend gebrauchte Auszeit. Tragisch bleibt jedoch, dass 2022 Christian Hummer seiner Krankheit erlag. Es sind viele schwere Zeiten für die Band und deren Frontmann, die es zu durchleben galt. Faszinierend ist zu lesen, wie sie diesen langen Weg zurück geschafft haben, wie Marco Wanda sich seinen Süchten entledigt hat und wie es am Ende so wirkt, als läse man zwischen den Zeilen neuen und – im Gegensatz zu den oft geschilderten „vernebelten“ Zeiten – klaren Mut
Für geneigte Wanda-Hörer ist dieses Buch Pflichtlektüre. Doch auch Leserinnen und Leser, die einfach gerne gute (Musik)-Biografien mögen, finden dieses Buch eine sehr runde Sache. Nicht nur, um den Wanda-Kosmos zu verstehen, sondern auch das, was im Umfeld eine Rolle spielt. Das stärker aufkommende Umfeld mit Musikern wie Voodoo Jürgens, Der Nino aus Wien sowie auch den gerne als Konkurrenten stilisierten Bilderbuch, die Wiener Beisel-Kultur, dazu die scharfe Beobachtungsgabe des Autors – all das ist hier gut vereint. Darüber hinaus ist es spannend zu lesen, weil es kein abgeschlossenes Kapitel ist, denn sowohl die Band selbst als auch die musikalische Welt drumherum sind weiterhin aktiv. Ein starkes Debüt des Literaten Marco Wanda und ein äußerst lesenswertes Buch.
Und so hört sich das an:
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Die Rechte am Cover liegen beim Paul Zsolnay Verlag.
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