So war das Way Back When Festival 2018!

Nicht nur ein Blick in den Kalender, sondern auch auf die Temperaturen zeigt: der Herbst ist endgültig angebrochen. Somit endet auch der Festivalsommer 2018. Bevor nun die große Konzertsaison beginnt, begibt sich eine wilde Mischung der großen Indie-Hoffnungen nach Dortmund, zur fünften Ausgabe des Way Back When Festivals. Wenn dieses Wochenende eines nicht ist, dann Kommerz – hier treten erst die Acts von morgen auf. Dementsprechend dicht ist auch die Liste der Neuentdeckungen, von denen wir hoffentlich noch öfter berichten dürfen.

Dieses Jahr kürzt das Way Back When (leider) eine Bühne weg, so dass lediglich Club und Halle des FZW, sowie die Pauluskirche bespielt werden. Als erster Act im Club begrüßt die lokale Newcomer-Band East Ends das Publikum, das nun mit einer Indie-Punk-Mischung empfangen wird. Ein gelungener Einstieg, denn die Band weiß auch jetzt schon, wie man die Massen unterhält.

Nun wird der erste Schritt in die Halle gesetzt. Das Licht verdunkelt sich, ein kleiner Fernseher flackert auf der Bühne, die Band heißt Strange Bones (Foto). Ein junger Mann, adrett in schickem Anzug gekleidet, betritt zu den ersten kühlen Post-Punk-Tönen die Bühne. Es dauert nicht lange, da springt er direkt ins Publikum und schreitet durch die Massen, einzig ein kleines Licht am Mikrofon beleuchtet sein Gesicht. Dabei verzieht er keine Miene und könnte glatt aus “A Clockwork Orange” entsprungen sein. Kaum bricht der erste Hardcore-Part aus den Boxen, platzt es nur noch aus dem Frontmann heraus und er spuckt dem Publikum wütende Worte entgegen, springt dabei auf die Bühne und zurück, dass es ein Wunder ist, dass er sich nicht alle Knochen bricht. Als er schließlich noch mit Gasmaske über die Bühne stapft, sorgt er endgültig für Begeisterungsstürme. Strange Bones klingen wie böse The Clash und waren schon mit Enter Shikari und Frank Carter auf Tour – bald spielen sie mit ziemlicher Sicherheit selbst auf ausverkauften Konzerten. Im Club folgen nun Pabst, die dieses Jahr das Debütalbum “Chlorine” veröffentlicht haben und damit schon eine recht große Fangemeinde einfahren konnten. Mit einem Stimmverzerrer und einnehmenden, kurzen Skatepunk-Songs können sie auch hier schnell überzeugen und machen es einem wirklich sehr einfach, sie ins Herz zu schließen!

 

Als erster Act, den wir in der Pauluskirche erleben, spielt nun Sam Vance-Law (Foto). Moment, war das nicht der Musiker, der erst dieses Jahr ein Album unter dem Titel “Homotopia” veröffentlichte, auf dem er das Thema der männlichen Homosexualität beleuchtet? Ganz genau! Auch der Kanadier muss darüber schmunzeln, dass er nun in einer Kirche auftreten darf, seinen Song “Faggot”, der eben das Verhältnis zwischen Homosexualität und Religion thematisiert, spielt er nur kurz an, die Wirkung ist aber schon deutlich genug. Mit seiner unglaublich lustigen Art präsentiert er imposante Stücke zwischen Pathos-Pop und Soul und Indie und und und. Definitiv ein denkenswerter Auftritt, der den jungen Mann für weitere Konzertbesuche empfiehlt. Ursprünglich sollte Sam erst Sonntag im FZW auftreten, für die kurzfristige Änderung musste er sich einen Ersatz-Drummer organisieren, der einen (!) Tag vorm Konzert davon erfuhr und binnen 24 Stunden das gesamte Set lernte. Auch die Keyboarderin ist ganz frisch mit an Bord. Das hätte wohl niemand vermutet, der Auftritt war musikalisch wirklich phänomenal und makellos!

Als erster Headliner spielt am Freitag Her (Foto), ein französischer Act, der als Duo gestartet war. Letztes Jahr verstarb Sänger Simon Carpentier viel zu jung an Krebs, sein Kollege Victor Solf macht aber für ihn weiter und begeistert mit dem gigantischen Elektro-Soul unverzüglich. Diese Stimme! Diese Beats! Diese Songs! Die gesamte Halle tanzt und das hat definitiv auch im größeren Rahmen Headliner-Qualitäten!

Zurück im Club dürfen wir den sympathischen Musikern von Rikas (Foto) mit ihren sommerlichen Rhythmen zuschauen. Auch in den 60er Jahren hätten die Jungs schon am Strand alle Herzen höher schlagen lassen – das klingt nach Kalifornien und so gar nicht nach Stuttgart. Wenn die Texte dann um Tortellini kreisen und die Choreos zum Schmunzeln bringen, ist man einfach verliebt in diese Band! In der Halle beendet die brasilianische (!) Musikerin Dillon den Abend mit elektronischen, kühlen Klängen und einer sehr leiernden Stimme. So ganz überragend kommt die Musikerin dabei leider nicht an, der Auftritt wirkt etwas zu durchdacht und zu gewollt episch. Wer möchte, kann den Abend noch mit dem Set von Kid Simius oder der Party im Sissikingkong ausklingen lassen.

Ganz euphorisiert vom ersten Tag starten wir den Samstag wieder mit einer lokalen Band – dieses Mal mit den Dortmundern Walking On Rivers (Foto). Mit den Folk-Klängen erinnern die Musiker doch stark an Mumford & Sons und lassen auf das Debütalbum hoffen. Wir behalten die Band definitiv im Auge!

Anstelle von M.I.L.K. spielt Frere, der von seinem Glück nur ein paar Stunden zuvor erfährt – der Van der Band hatte technische Probleme. Frere bietet entspannte Singer-Songwriter-Klänge und eine unglaublich witzige Art – neben der Musik scheint Frere auch trockene, lockere Comedy zu beherrschen! Überhaupt nicht locker geht es währenddessen im Club bei Jamie Isaac weiter, der seeehr zurückgelehnte Lounge-Musik spielt.

Für meinen Geschmack etwas zu zurückgelehnt, deswegen geht es wieder zur Kirche und Fenne Lilly (Foto). Diese ist nicht gerade in guter psychischer Verfassung – erst an diesem Tag wurde in ihrem Haus eingebrochen. Das übertüncht Lilly jedoch mit einem Set voll von schönen Indie-Gitarren und kleinen Ohrwürmern. Zudem erzählt sie so trocken die witzigsten und teils auch ziemlich dreckigen Geschichten, dass der Saal Tränen lacht.

Und schon ist der nächste Headliner auf der Bühne: Fil Bo Riva spielt eingängigen Indie-Folk und ist wohl kein Geheimtipp mehr. Das Set könnte ohne Frage genau so auch auf größeren Bühnen funktionieren, das Publikum dankt es dem Italiener mit großem Applaus.

Danach geht es auch schon für nahezu das gesamte Publikum wieder in die Kirche, denn die Iren von All The Luck In The World dürfen dort den Tag abschließen. Dabei bleibt es durchgehend so zart und zerbrechlich, dass man bei einer Stunde Spielzeit auch langsam gemütlich ins Bett steigen könnte. Das Publikum ist begeistert von so viel Zärtlichkeit und bietet – wie bei jedem Konzert in der Kirche – Standing Ovations.

Eigentlich sind wir schon bettfertig, aber da hat das Publikum die Rechnung natürlich ohne Fjørt gemacht. Der mit Abstand härteste Act des Festivals rüttelt die Massen noch ein mal richtig auf. Das führt in den ersten Reihen zu vielen begeisterten Gesichtern und natürlich wird auch mitgesungen. Beim restlichen, doch eher Indie-freundlichen Publikum erntet die Band eher zurückhaltenden Applaus, womit die drei Musiker jedoch gerechnet haben. Sie danken dennoch für die Aufmerksamkeit und spielen ein gewohnt umwerfendes Post-Hardcore-Set mit den besten politischen Ansagen und einer markerschütternden Atmosphäre. Zumindest einigen ist bewusst, dass das zu den größten Auftritten des Festivals gehörte.

Zum Abschluss füllt Findlay den Club mit Indie-Pop, Riot-Grrl-Momenten und Rock – eigentlich scheint die Musikerin alle Spielarten aus dem Stehgreif zu berrschen. Das haut nicht nur uns komplett um – obwohl es schon 1 Uhr ist, stehen die Menschen sogar noch vor der Tür, um wenigstens einen kleinen Fetzen von diesem bahnbrechenden Auftritt zu erleben. Ganz groß!

Den Sonntag lassen wir in der Gaming-Lounge im OLAFs beginnen – einer der vielen kulturellen Angebote rund ums Festival. Neben dem Konsolen-Paradies werden zum Beispiel ein Streetart Workshop, ein Interview-Café und eine Vinyl Talk-Runde mit Findlay geboten. Das erweitert das Festival um eine unterhaltsame Komponente und bietet Unterhaltung, falls mal ein Act nicht gefallen sollte. Zuerst schauen wir uns den entspannten Indie von Burkini Beach an, die für Malena Zavala eingesprungen waren – und zusätzlich mit Sam Vance-Law den Platz getauscht hatten. Hier nochmal Hut ab an die Veranstalter*innen für so schnellen Ersatz und so viel Organisationstalent!

In der Kirche geht es ans nächste Highlight: Kat Frankie ist natürlich einigen bekannt und füllt die heiligen Hallen dementsprechend schnell. Ihre Stimme umgarnt das Publikum bis in die letzten Reihen, sie beherrscht die ruhigen Songs, aber auch die schnelleren Nummern. Eine Loop-Station wird benutzt und sorgt endgültig für frenetischen Jubel. Zur letzten Nummer “Home” springt Frankie durch die Reihen und animiert das ganze Publikum zum Aufstehen und nach vorne Kommen – eine Ausnahmesituation. Ohne Frage ist Kat Frankie eine großartige Sängerin, ein wunderbarer Mensch und dazu auf jeden Fall eins der absoluten Highlights des Festivals.

Der letzte Headliner ist nun Tom Grennan, dessen Stimme zu den besten männlichen des Festivals gehört. Musikalisch begibt sich der Musiker auf poppigen Wegen und könnte wohl mit James Arthur und George Ezra die Fahne für anspruchsvollen Pop hochhalten. Hier spielen sogar zwei Background-Sängerinnen mit, so dass das Ganze ohnehin viel mehr nach großer Bühne als kleinem Indie-Festival schreit.

Viel besser passt da Selah Sue, die als letzter Act in der Kirche noch ein Mal etwas ganz anderes spielt. Mit Cello und Flügel untermalt beginnt das Set doch eher klassisch, die rauchige Stimme der Belgierin ist durchweg beeindruckend. Plötzlich wird die Loop-Station bedient und mit Beatbox-Elementen eine einzigartige Hip-Hop-Reggae-Klassik-Mischung gespielt. Die Beats sitzen, die Stimme sorgt für Gänsehaut und euphorischen Jubel. So eine Musik gehört bisher nicht in meine eigene Plattensammlung, so dass ich diesem Festival definitiv für solche Grenzüberschreitungen danken kann – denn was hier fernab von gängigen Band-Konstrukten geboten wurde, werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Ein derartig großer Applaus sorgte schließlich auch noch für eine Zugabe – definitiv verdient!

In der Halle beenden Die Höchste Eisenbahn das Festival und spielen deutschsprachigen Indie mit ganz starken Lyrics, was die Halle ein letztes Mal füllt. Im Club machen Cold Years den Sack zu. Selten schreit eine Musik so förmlich nach ihrem Vorbild. Im Tourbus läuft wohl viel The Gaslight Anthem – live gefällt das den Anwesenden wohl ziemlich, der Merchandise verkauft sich rasant.

Wer nicht schon bei den Early Bird Tickets zugegriffen hat, bezahlt für das Wochenend-Ticket 85 Euro. Das ist für die doch eher unbekannten Acts natürlich nicht wenig – aber jeden einzelnen Euro wirkt. Das Way Back When glänzt mit durchweg grandiosen Auftritten, sympathischen Musiker*innen und einem ganz toll ausgewogenen Genre-Konzept. Stumpfe Acts, die man sonst auf Kommerz-Festivals sieht, gibt es hier einfach nicht. Wer sich also überraschen lassen und vielleicht auch mal eigene Konventionen hinter sich lassen möchte, kann ohne groß nachzudenken in das nächste Festival investieren. Wir würden uns jedenfalls sehr freuen, immer wieder interessante neue Acts im Rahmen dieses einzigartigen Festivals kennen lernen zu dürfen!

Und so sah das letztes Jahr aus:

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Rechte an den Beitragsbildern liegen bei Julia Köhler.

 

 

 

 

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