Interview mit Heisskalt über „Idylle” – Teil 2!

Interview mit Heisskalt über Idylle Teil 2 Foto Ilkay Karakurt

Einen Neuanfang zu wagen kann auf der einen Seite ganz schön unangenehm sein, auf der anderen Seite aber auch unglaublich interessante Dinge hervorbringen. Manchmal ist eine solche Neuausrichtung auch nicht wirklich geplant, da einen äußere Umstände zu einem Wechsel zwingen. Das heißt letzten Endes natürlich nicht, dass das Ergebnis nicht auch etwas tolles, einzigartiges sein kann. Im Falle der Vergangenheits-Stuttgarter Heisskalt heißt das Ergebnis „Idylle“. Als Mitte 2016 Lucas Mayer, der ehemalige Bassist der Gruppe, die Band verlässt, löst das ein Umdenken bei dem Nun-Trio hervor. Sucht man sich nun einen neuen Bass-Bezwinger? Tritt man nun nur noch zu dritt auf? Wie funktioniert die eigene Musik, wenn man alles auf drei Instrumente runterbricht?

Nach der ersten Show Heisskalts als Dreigespann in Wiesbaden, bei der man neben einigen umarrangierten alten Stücken auch seine neue, dritte Platte in Gänze performte, trafen wir uns mit Sänger, Gelegenheits-Bassist und -Gitarrist Mathias Bloech und sprachen über Veränderungen, die Produktion des neuen Albums seiner Band und das Songwriting.

minutenmusik: Lass uns jetzt mal über die Musik und etwas tiefer über die Produktion der Platte sprechen! Wie du bereits eben gesagt hast, habt ihr „Idylle“ komplett in Eigenregie aufgenommen. Das warum fällt jetzt ein wenig weg, weil das ja anscheinend nicht wirklich geplant war, wie du eben erzählt hast.

Mathias: Ich wollte das aber auch.

minutenmusik: Ach, du hast dich vorher nicht getraut das zu äußern oder wie war das?

Mathias: Doch, aber wir haben vorher den Konsens gefunden, dass wir das mit Simon [Jäger, Produzent / Co-Produzent der ersten beiden Platten] machen. Ich fand das dann jetzt so aber ganz geil.

minutenmusik: Wie war die Erfahrung, das nur zu dritt zu machen und dadurch kaum Außeneinflüsse zu haben dann für dich?

Mathias: Sehr schön! Ich mag ja Grenzerfahrungen sehr. Ich weiß aber nicht, ob ich das nochmal so machen würde. Das war für uns voll gut uns so zu finden als Dreierkonstellation, weil wir vorher immer zu viert waren. Das ist aber schon die totale Überforderung. Das ist nur mit wahnsinnig viel Hilfe von Außen möglich, zehn Tage im Studio zu sein und eine Platte live einzuspielen und sich gleichzeitig noch um das ganze Engineering zu kümmern. Also zu spielen, zu texten und alles. Aber das hat schon Bock gemacht, weil ich auch da geschafft habe die ganze Zeit nicht ins Reflektieren zu kommen. Ich musste die ganze Zeit voll im Moment bleiben. Sonst wäre das alles in sich zusammengebrochen. Ich hab von morgens um elf bis nachts um fünf eine Sache nach der anderen gemacht, zehn Tage lang. Das hat mich voll gestärkt. (lacht)

minutenmusik: Aufgenommen habt ihr das Album ja in den „Off The Road“-Studios in Leipzig, wo du ja auch mittlerweile lebst. Die anderen Platten habt ihr in den Toolhouse-Studios aufgenommen, die etwas den Ruf haben teurer zu sein.

Mathias: Ne, die sind gar nicht so teuer! Die Toolhouse-Studios sind einfach richtig geile Studios. Aber wie du bereits sagtest lebe ich ja in Leipzig.

minutenmusik: Hast du da nicht auch gearbeitet?

Mathias: Genau. Ich hatte da einen Raum, in dem ich mit einem Freund ein paar der Off-The-Road-Sessions aufgenommen habe. Deswegen kannte ich die Räume da und fand das geil, dass man da diesen riesigen Raum hat. Du fühlst dich da wie in einem Schloss. Das hat auch etwas mit dem Sound gemacht. Ich weiß jetzt aber nicht, ob wir die nächste Platte da auch aufnehmen. Es ging mir da eher um diesen leeren Raum, in den wir reingehen und nur unser Ding machen, das nur wir drei sind. Das Experiment haben wir jetzt gemacht und da kam „Idylle“ raus. Das nächste Mal machen wir auf jeden Fall wieder irgendwas anders, weil das sonst ja langweilig ist. (lacht)

minutenmusik: Also hatte die Entscheidung keine finanziellen Gründe?

Mathias: Das war natürlich auch billiger, was natürlich auch geil ist. Das war ein angenehmer Nebeneffekt, dass ich kein Geld dafür bekomme, dass ich Kabel schleppe oder Phil [Koch, Gitarre / Bass] da kein Geld für bekommt, dass er nebenher unser geiles Artwork zeichnet. Das ist halt DIY. Das ist geil. Du machst Arbeit und hast direkt etwas davon. Das ist voll schön. Auf der anderen Seite ist es aber auch geil das Leuten abzugeben, denen man vertraut und die dafür fair zu bezahlen.

minutenmusik: Dafür muss man dann aber auch viel Vertrauen haben, oder?

Mathias: Genau. Ich bin in der Hinsicht jetzt auch befriedigt. ich weiß, wie das ist und musste das wissen. Jetzt ist das ok. Ich finde das gut, aber wir können jetzt wieder etwas anderes machen.

minutenmusik: Musikalisch wirkt das auf mich so, als seien deine Elektro-Einflüsse da stark mit reingeflossen. Es gibt viele Parts, die sehr mantraesk sind. Viele etwas einfachere Drumbeats. Gibt es diesen Einfluss oder bin das ich?

Mathias: Den gibt es total. Ich höre den auch total krass. Ich mache in Leipzig die ganze Zeit auch super viel Techno für mich und mit meinem Techno-Kollektiv „MyTripIsMyTrip“. Da gibt es aber nur Scheiße im Internet, die Shows machen aber immer total Bock!

Dieser Minimalismus im Songwriting, im Arrangement, kommt auf jeden Fall viel daher. Es hat sich bei uns aber auch ein bisschen herauskristallisiert, dass die Songs zusammenhält, dass das eigentlich immer eine ähnliche Tonart ist.

Bisher war es immer so, dass wir sehr viele Bögen innerhalb der Songs gemacht haben – von sehr leise bis sehr laut. Wir hatten jetzt die Idee, dass alle Songs unterschiedlich sind und für sich alleine stehen, sich aber trotzdem irgendwas durchzieht. Das wollten wir mal ausprobieren. Das ist ja auch ok. Ich finde die Platte geil. Gefällt mir!

minutenmusik: Ich auch!

Mathias: Schön!

minutenmusik: Ich glaube um das Album komplett zu verstehen braucht es aber auf jeden Fall ein paar mehr Durchgänge, was vor allem daran liegt, dass es sehr wenige „richtige Refrains“ gibt.

Mathias: Das wurde mir vorhin schonmal gesagt. Voll interessant! Das ist mir gar nicht aufgefallen.

minutenmusik: Krass. Es gibt ja schon auch Hooks, die sind nur etwas versteckter.

Mathias: Das mag sein. Ich hatte auf jeden Fall auch eine Krise mit Chorus. Die war aber eigentlich viel früher. Ich habe eigentlich viel früher beschlossen, dass ich keinen Bock mehr auf Chorusse habe. Dann hat sich das da vielleicht niedergeschlagen. Das ist mir aber gar nicht so aufgefallen.

minutenmusik: Also war das keine bewusste Rebellion gegen den Mainstream?

Mathias: Ne. Ich mag Songwriting als Forschungsgebiet total – so mit Erwartungen zu brechen oder die zu bedienen. Mir macht das riesigen Spaß. Diesmal wollte ich zum Beispiel, dass man zu jedem Track tanzen kann, sich dazu geil bewegen kann.

minutenmusik: Das ist tatsächlich ja kein Hüpf-Tanzen oder so, sondern echt eher ein „Für-Sich-Tanzen“.

Mathias: Stimmt. Ich wollte, dass man sich dazu härter bewegen kann, aber auch einfach so tanzen kann – dass man sich das aussuchen kann und die Musik das nicht so krass vorgibt. Das war noch ein Experiment.

Ansonsten auch das immer wieder hinzukriegen, dass Leute sich „Ach geil“ oder „Ach witzig“ denken. Ich wollte immer wieder Momente, in denen ich mich, wenn ich bei einem Konzert stehen würde, freuen oder lachen würde. Das waren so die Sachen, die ich im Songwriting mehr ausprobieren wollte. Ich wollte auch die Deepness weniger krass in die Musik legen, sondern die mehr im Text und der Performance und darin, wie man die Sachen macht, haben. Indem man mit Erwartungen bricht, sagt man ja auch was aus.

minutenmusik: Mir ist aufgefallen, dass „Idylle“, als der Track, zumindest live – ich weiß nicht, wie das auf dem Album ist – der erste Track ist, in dem ihr keine Gitarren, sondern nur Bass habt. Wie kam das?

Mathias: Ich habe den Song in einer Session in dem Off-The-Road-Studio alleine aufgenommen in einer Demo-Version. Ich glaube da hatte ich tatsächlich einfach keinen Gitarren-Amp zur Hand oder hab meinen Bass da gerade neu gekauft. Ich hab auf Tour von so einem Typen einen alten Schecter gekauft. Dann habe ich von unserem Tonmischer Jonas [Stricker] ein Schlagzeug ausgeliehen bekommen und saß da mit diesen beiden Instrumenten und wollte einen Song schreiben. Das habe ich dann auch gemacht. Deswegen sind das zwei Bässe.

Dann haben wir das zu dritt gespielt und das hat viel mehr gewirkt. Das war halt die Komposition. Bei „Dezemberluft“ live jetzt hatten wir gerade „Idylle“ gespielt und ich habe vorgeschlagen wir könnten das ja auch mal probieren den Song so zu spielen. Das mit zwei Bässen war voll schön. Diese volle Ruhe. Man hat die ganze Zeit einfach voll seine Ruhe.

minutenmusik: Ich fand das interessant, wie ihr den Song umgesetzt habt, weil das ja schon eher wie ein Remix des Songs ist oder so.

Mathias: Wir sind gerade auch Remix von uns selbst.

minutenmusik: Mir ist beim Hören der Platte auch aufgefallen, dass ihr das für euch fast schon kennzeichnende DD-20 von Boss auf dem Album kaum verwendet. War das auch Zufall oder eine bewusste Entscheidung?

Mathias: Um das vielleicht zu erklären: Das DD-20 macht diesen Delay-Effekt, das wiederholt also, was man spielt in einer bestimmten Frequenz – meistens sind das die BPM des Songs. Wenn man dann auf dem Taster draufbleibt, dann warped das. Das heißt das steht für immer und man kann diese krassen Soundwolken bauen, deren Verschachteltheit und Ausgechecktheit Phil und ich auf „Vom Wissen Und Wollen“ auf das Maximum getrieben haben. Deswegen hatten wir da nicht mehr so viel Bock drauf und haben stattdessen dadurch gesungen oder so. Diese ganzen Gesangseffekte sind eigentlich auch alle durch Gitarreneffekte aufgenommen. Wir haben versucht den Kram, den wir bislang immer gemacht haben, komplett anders zu machen, um rauszufinden, was dann passiert. Was dann übrig bleibt und was anders ist. Das soziale Experiment-Band.

minutenmusik: Heisskalt Band 2.0.

Mathias: Es wäre halt auch total logisch gewesen ein Pleaser-Hardcore-Album zu machen – da auf sichere Nummer zu gehen. Das stand so gar nicht zur Debatte, weil der Ausstieg von Lucas [Mayer, ehemaliger Bassist] so ein krasser Bruch für uns war. Davon ausgehend hat sich so wahnsinnig viel verändert mit dieser Band und dem ganzen Drumherum. Das fühlt sich auch überhaupt nicht mehr an, wie die Band, die „Vom Wissen Und Wollen“ eingespielt hat.

minutenmusik: Eigentlich hättet ihr die Platte als Statement „Heisskalt 2.0“ nennen müssen.

Mathias: Wir hätten uns einfach neu gründen können. So fühlt sich das gerade an für mich. 

Der erste Auftritt in neuer Bandkonstellation hinterließ in jedem Fall auch ein nicht von der Hand zu weisendes Aufbruchsgefühl. Das sah eine knappe Woche später bei Deutschlands größtem Festival Rock Am Ring bereits ganz anders aus. Übergänge funktionierten viel flüssiger und das Zusammenspiel innerhalb der Band wirkte eingependelt. Da steht einer harmonischen Zukunft ja nichts mehr im Wege! Der dritte Teil unseres Heisskalt-Interviews dreht sich um die Texte der Band und um Möhren.

Hier geht es zu Teil 2 des Interviews.

Hier zu Teil 1.

Das Album kannst du dir hier kostenlos downloaden.

Und so hört sich das an:

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Heisskalt live 2018:

06.-07.07. – Happiness Festival
19.-22.07. – Deichbrand Festival
27.-29.07. – Eier Mit Speck Festival
27.-29.07. – Trebur Open Air
18.10. – Solothurn, Kofmehl (CH)
19.10. – St. Gallen, Grabenhalle (CH)
20.10. – Zürich, Bogen (CH)
30.11. – Bremen, Schlachthof
01.12. – Münster, Sputnikhalle
02.12. – Erlangen, E-Werk
05.12. – Essen, Weststadthalle
06.12. – Kiel, Die Pumpe
07.12. – Jena, Kassablanca Gleis 1
08.12. – Marburg, KFZ
09.12. – Dresden, Beatpol
11.12. – München, Backstag
12.12. – Bielefeld, Forum
13.12. – Hannover, Musikzentrum
14.12. – Freiburg, Jazzhaus
21.12. – Stuttgart, LKA Longhorn

Heisskalt live 2019:

14.02. – Leipzig, Werk2 (Tickets)
15.02. – Frankfurt, Sankt Peter (Tickets)
16.02. – Köln, Live Music Hall (Tickets)

Foto von Ilkay Karakurt.

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