Sprachen wir mit Heisskalt-Sänger Mathias Bloech bereits über die Veröffentlichungsstrategie hinter dem neuesten Album seiner Band, das den Titel „Idylle“ trägt, die Musikindustrie und die Produktion, sowie das Songwriting der Platte, so dreht sich der dritte Teil unseres Interviews mit der Band vor allem um die textliche Ebene. Woher kommt also die Möhrenmetapher und warum hat die Platte einen derart gesellschaftskritischen Fokus? Nun aber erstmal kurz zu etwas anderem:
minutenmusik: Wenn so eine Platte erscheint finde ich es immer interessant, mir die Kommentare von Fans in den sozialen Netzwerken durchzulesen. Da haben sehr viele Leute geschrieben, dass sie dachten eure Stücke würden jetzt noch verschachtelter werden, ihr wärt nun aber simpler geworden und hättet an Härte eingebüßt. Nachdem ich das Album das erste und zweite Mal gehört hatte, dachte ich mir tatsächlich, dass das alles noch viel unkonventioneller klingt, als all euer voriger Stuff. Die Leute haben teilweise also genau das Gegenteil von dem, was ich gefühlt habe, gedacht.
Mathias: Ja, das muss man wahrscheinlich checken. Das kommt drauf an, was man beobachtet. Wenn man auf das Musikalische hört, klar – inhaltlich spielen wir jetzt nicht so krassen Scheiß. Das ist auch alles ziemlich easy zu spielen.
Ich finde auch, dass das eine besondere Platte ist. Das ist auch alles so Absicht. Wir wollten das so. Aber klar, man kann auch einfach hören, dass wir einen Song lang immer nur die gleichen Akkorde im Kreis spielen – wenn man das hören will. So höre ich auf jeden Fall nicht Musik. Viele tun das vielleicht. Das ist auch ok. Die können dann ja andere Musik hören.
minutenmusik: Genau. Jetzt würde ich gerne etwas über die Texte auf „Idylle“ sprechen. Und zwar ist mir aufgefallen, dass du textlich immer öfter den Blick von deinem Innenleben nach außen auf die Gesellschaft richtest. Das hat auf „Vom Wissen Und Wollen“ mit „Lied Über Nichts“ ja bereits angefangen, wurde diesmal aber eindeutig noch mehr. Glaubst du das liegt an der Umwelt, in der wir leben?
Mathias: Ich glaube das liegt schon an dem, was mich umgibt. Das war aber auch eine bewusste Entscheidung, die ich getroffen habe. Ich finde es wichtig, Verantwortung für den Raum, in dem man lebt, zu übernehmen. Ich finde politische Arbeit wichtig und möchte gerne ein politischer Mensch sein. Ich möchte vor allem in meinem eigenen, persönlichen Leben politisch Handeln. Das habe ich vor allem in letzter Zeit viel getan. Gemeinsam mit Freunden und meiner Freundin haben wir ganz viele Dinge politisiert. Das ist auf jeden Fall auch ein Experiment. Deswegen ist das viel mehr in meinen Texten und wird mir wichtiger.
Außerdem finde ich, das ist ein ganz guter Ort für Frustration, weil man ganz viel Frust, mit dem man konfrontiert ist, persönliches Versagen unterstellt. Sei das, dass man selber nicht kompatibel ist und nicht in diese Welt passt, alle einem komisch vorkommen oder man nicht so richtig weiß, ob man ein Mann oder eine Frau ist, die ganze Zeit super krassen Erfolgsdruck und Existenzängste hat oder seinen Körper hässlich findet. Das sind alles ganz typische Ängste, mit denen ganz viele konfrontiert sind, über die aber so wenig richtig gesprochen wird. Je mehr ich mich politisiere und mit Menschen zu tun habe, die da auch aktiv sind, desto mehr merke ich, dass das einfach strukturell ist. Das ist dieses Kacksystem und überhaupt nicht du selbst. Das System, in dem man sich befindet, ist einfach an vielen Stellen scheiße. Das war total wichtig für mich, da hin zu finden – so ganz persönlich. Deshalb ist das so auch in meinen Texten drin.
minutenmusik: Du hast jetzt schon relativ häufig davon gesprochen, dass ihr Experimente gewagt habt. Kannst du schon ein erstes Fazit ziehen, ob diese ganzen Experimente geglückt sind?
Mathias: So weit bin ich glaube ich noch nicht. Eigentlich ist das alles total gut. Ich bin total Fan davon etwas nicht zweimal gleich zu machen. Klar ist das auch geil eine Routine zu haben, das merke ich auf jeden Fall auch – ich hab auch ein Kind bekommen mit der Frau, mit der ich lebe, Das ist auf jeden Fall ein krasses Experiment! Danach hab ich mir gedacht, dass wenn das funktioniert, kann ich ja auch alles probieren, was ich tun möchte. Ja, das machen wir jetzt gerade. Ich bin aber noch nicht so weit, dass ich das bewerten will, sondern eher mal gucken, wie sich das so anfühlt.
Es sind aber schon viele geile Sachen passiert! Es geht vor allem echt um das Gefühl, das wir dabei haben. Ich glaube da müssen wir noch ein bisschen einen Kompromiss finden. Mir ging es damit in letzter Zeit aber sehr gut.
minutenmusik: Das ist schön! Ich würde dir gerne eine kleine Geschichte erzählen, bevor wir zu meiner letzten Frage kommen. Und zwar stelle ich mir das so vor:
Der Mathias geht eines Morgens mit seinem Kind auf dem Arm in Leipzig über den Markt und möchte die Einkäufe für die Woche erledigen, denkt sich als er den Stand des Gemüselieferanten sieht, wie schön es jetzt wäre ein, zwei Möhrchen zu snacken. Gesagt, getan und ab zum Stand. Leider entgegnet der Gemüseverkäufer nur: „Zwei Möhren? Das gibt’s nicht. Die gibt es nur im Bund oder als Kilo!“ Wie kam es zu dieser Zeile?
Mathias: Das war fast so! Nur, dass ich nicht mit meiner Tochter auf dem Arm im Supermarkt stand, sondern mit Phil und Marius im Netto um die Ecke beim Studio und wir versucht haben nicht nur Scheiße zu kaufen. Vor uns wollte jemand zwei Möhren kaufen und da hat die Kassiererin das laut gerufen. Ich fand das irgendwie cool. Dann habe ich mich ins Studio gestellt und „Bürgerliche Herkunft“ mehr oder weniger einfach so gespielt. Kein Song der Platte wurde so schnell geschrieben. Der war in fünf Minuten fertig.
minutenmusik: Musikalisch wirkt der durch das Arrangement gar nicht so super simpel.
Mathias: Die Zeilen waren auch schon länger da. Das war voll der schöne Moment, da hat es dann einfach so „Klick“ gemacht. Wir haben den auch in einer Stunde oder so aufgenommen.
minutenmusik: Er wirkt auf jeden Fall sehr vielschichtig! Ich weiß nicht, ob das an der Produktion oder sonstworan liegt.
Mathias: Vielleicht, weil wir so vielschichtige Typen sind. (lacht)
minutenmusik: Genau! Der kam, wie ich finde, heute aber sehr schön rüber. Das ist so ein Track, bei dem ich dich vor meinem inneren Auge in einem halben Jahr das Mikro in die Menge halten sehe und alle prügeln sich darum, wer da jetzt reinbrüllen darf.
Mathias: Das geht jetzt ja leider nicht mehr, weil wir jetzt nur noch zu dritt sind. Aber vielleicht finde ich dafür noch eine Lösung (lacht)
minutenmusik: Wenn du das vor dem letzten Break machst, müsstest du auf jeden Fall sehr schnell sein.
Mathias: Stimmt. Wir versuchen jetzt auf jeden Fall erst mal unser Album ordentlich zu spielen, dann die alten Songs ordentlich zu spielen und dann spielen wir Rock Am Ring ordentlich und dann überlege ich mir mal, ob ich mal mit dem Mikro ins Publikum gehe. Das ist dann der nächste Schritt ins Rockstar Olymp.
minutenmusik: Fiel dir das schwierig die alten Songs auf drei Leute runterzubrechen?
Mathias: Das ist noch ein Prozess! Das muss man jetzt mal ein bisschen ausprobieren, was da gut funktioniert. Im Proberaum kann man das auch immer nicht so richtig checken. Da probiert man immer nur ein bisschen aus, so richtig merken, ob das auch live knallt, merkt man erst live.
minutenmusik: Ich muss sagen, „Absorber“ fand ich heute richtig stark.
Mathias: Ja? Das ist schön!
minutenmusik: Bei „Nicht Anders Gewollt“ hat mir in den Strophen hingegen etwas die Power der Gitarre gefehlt, weil der Bass das ja gespielt hat. Vielleicht war das aber auch einfach nur ungewohnt.
Mathias: Das ist eigentlich auf der Aufnahme aber sogar auch ein Bass. Das fanden wir witzig. Aber vielleicht müssen wir das Umdrehen. Das habe ich heute auch gedacht. Das wäre eigentlich cooler, wenn wir das so spielen.
minutenmusik: Dadurch, dass der Bass eben wie ein Bass und nicht wie eine Gitarre klang, wirkte der Song halt etwas anders.
Mathias: Ja, voll. Aber genau das ist auch das Dilemma, beziehungsweise die Frage, die wir uns stellen. Wollen wir die Songs spielen oder wollen wir andere Songs spielen? Können wir die Songs überhaupt noch so spielen, wie wir sie gespielt haben oder ist das einfach immer nur der Song und es fehlt was? Das müssen wir jetzt mal rausfinden.
minutenmusik: Bei „Dezemberluft“ habt ihr das aber ja schon ganz gut hingekriegt. Dann wären wir jetzt fertig. Vielen Dank für das Gespräch.
Mathias: Ja, ich danke auch!
Dann erhebt sich Bloech und verschwindet in die kühle Sommernacht und wir haben ein 40-minütiges Gespräch zum Transkribieren. „Idylle” ist aber auch eine polarisierende Platte, über die man reichlich in Erfahrung bringen kann. Davon zeugen auch schon unsere ersten zwei Interviewteile. Bis bald Heisskalt!
Hier geht es zu Teil 1.
Hier zu Teil 2.
Das Album kannst du dir hier kostenlos downloaden.
Und so hört sich das an:
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Heisskalt live 2018:
06.-07.07. – Happiness Festival
19.-22.07. – Deichbrand Festival
27.-29.07. – Eier Mit Speck Festival
27.-29.07. – Trebur Open Air
18.10. – Solothurn, Kofmehl (CH)
19.10. – St. Gallen, Grabenhalle (CH)
20.10. – Zürich, Bogen (CH)
30.11. – Bremen, Schlachthof
01.12. – Münster, Sputnikhalle
02.12. – Erlangen, E-Werk
05.12. – Essen, Weststadthalle
06.12. – Kiel, Die Pumpe
07.12. – Jena, Kassablanca Gleis 1
08.12. – Marburg, KFZ
09.12. – Dresden, Beatpol
11.12. – München, Backstag
12.12. – Bielefeld, Forum
13.12. – Hannover, Musikzentrum
14.12. – Freiburg, Jazzhaus
21.12. – Stuttgart, LKA Longhorn
Heisskalt live 2019:
14.02. – Leipzig, Werk2 (Tickets)
15.02. – Frankfurt, Sankt Peter (Tickets)
16.02. – Köln, Live Music Hall (Tickets)
Foto von Ilkay Karakurt.
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