Interview mit Von Wegen Lisbeth über “EZ Aquarii”

Pressefoto von Von Wegen Lisbeth.

Die Schanzenstraße schlängelt sich von der geschichtsträchtigen Keupstraße abzweigend etwa 1000 Meter lang an alten Industriegebäuden vorbei durch Köln Mülheim. Heutzutage sind viele der alten Fabrikationsstätten, in denen einst Elektrizität erzeugt, Maschinen oder andere Metallwaren gefertigt wurden, zu neuem Leben erwacht. An einer Ecke hat ein italienischer Spezialitätenmarkt Platz gefunden. An einer anderen brüten Start-Up- und Agenturmenschen unter den hohen Backsteindecken an den „innovativsten“ neuen Ideen. Und so mancherorts wird Kultur lebendig. Das Kölner Schauspiel etwa hat in den Depots 1 und 2 vorläufig Stellung bezogen. Ein paar Meter weiter haben vor einigen Jahren das Carlswerk Victoria und der zugehörige Club Volta ihre Pforten für Live-Musik geöffnet. Und kurz bevor die Schanzen- in die Carlswerkstraße einbiegt befindet sich rechtsseitig das in einer ehemaligen Maschinenfertigungshalle untergekommene Palladium, ebenso Schauplatz so manch denkwürdigem Live-Konzertes. Am Ende ebenjener schlauchigen Halle steht Matthias Rohde an einem viel zu warmen Spätoktobertag an seinem Mikrofonständer, verschränkt die Hände hinter dem Kopf, tritt einige Schritte zurück und blickt fassungslos zur Decke. Verantwortlich für die ungläubige Reaktion zeichnen sich die Fans seiner Band Von Wegen Lisbeth, die jedes Wort hoch zu den die Decke haltenden Stahlträgern schmettern während sich in der Menge Löcher auftun, die flugs mit auf und ab hüpfenden Körpern gefüllt werden wollen. „Wenn Du Tanzt“ heißt das zugehörige Stück und Tanzen tut heute wirklich jede*r der 4000 Anwesenden.

Dreht man die Zeit fünf Stunden zurück, ist dieses Stimmungsspektakel nur schwerlich erahnbar. Idyllisch ruhig schimmert die Schanzenstraße in den wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Köln-typische Wolkengrau brechen. Nur ein paar Handvoll Fans campieren bereits für einen Platz direkt vor den Musikern. Läuft man an der Halle vorbei, wendet sich nach rechts, folgt den Bahnschienen, geht im Bogen um das imposante Backsteingebäude herum, so landet man in einer anderen Welt, einem wuseligen, aber routinierten Treiben. Zwei Nightliner stehen hier ordentlich in Reihe, ein LKW-Anhänger voll Equipment ebenso. Ich bin mit Julian Hölting verabredet, um über das dort bereits einen Monat alte Von Wegen Lisbeth-Album „EZ Aquarii“ zu sprechen. Er spielt Bass bei Von Wegen Lisbeth. Der jedenfalls bildet einen markanten Eckpfeiler des oft luftigen, zunehmend verspielten Indie-Sounds der Band. Eine halbe Stunde lang springen wir in einem engen Nightliner Lounge-Bereich hinter zugezogenen Vorhängen und verspiegelten Scheiben sitzend von der künstlerischen Enteignung durch Streamingdienste und Algorithmen hin zu hochgeschraubten Erwartungen hin zu dem Fakt, dass die Band in Interviews oft eher nach ihrem Lieblingsessen denn nach ihrer Musik befragt wird. Letzteres, das steht fest, möchten wir heute anders machen.

So richtig, Gottseidank, spielt die Pandemie auf „EZ Aquarii“ keine Rolle. Für die Entstehung des dritten Von Wegen Lisbeth-Albums aber ist sie maßgeblich. Und damit auch für dessen Stimmungslage. Ein Gros des Materials wird schon in den Zeiten des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 geboren – da noch mehr als lose Ideen statt fertig auszproduzierter Songs. Wo andere neue Hobbys für sich entdecken, (vermeintliche) Großprojekte beginnen, nämlich schließt sich Rohde, Hauptsongschreiber der Band, Tag für Tag alleine im bandeigenen Proberaum ein. „Da sind extrem viele Songskizzen entstanden“, stellt Hölting rückblickend fest. Diese zwar wandeln sich im Laufe der vielen Monate bis alle jene Arbeit endlich als „EZ Aquarii“ gebündelt wird, erhalten jedoch bleibt das introvertierte, nach innen gerichtete Gefühl, das dieser speziellen Ausgangslage verschuldet ist. Wo die Band einst straighte Schlagzeugspatterns setzte, ruhen nun minimalistische Percussionloops, um die sich wiederum Bass, Keys, Gitarren und Gesang gruppieren. Ein Nebenprodukt dieser Umstände ist auch der Zweiteiler „Augen“. Sind erste Ansätze festgehalten, werkeln die fünf Musiker aus der Einzelisolation heraus getrennt an Rohdes Ideen. Die erste Skizze von „Augen“ spaltet sich von da an in zwei Arbeitsversionen auf, die – das lockere Thema macht es möglich – schlussendlich einfach beide auf dem Album landen. „Vom Text hat sich das angeboten. Am Ende ist der ja unendlich, man kann sich ja an jedem Körperteil abarbeiten“, fügt der Bassist hinzu.

Dabei ist vor gar nicht allzu langer Zeit noch gar nicht daran zu denken, dass Von Wegen Lisbeth an einem neuen Album arbeiten. Im Verlauf des Sommers 2021 erscheinen zunächst eine Handvoll Einzel-Singles, die auf dem ein oder anderen Picknick-Konzert-Format auch bereits Bühnenluft schnuppern dürfen. Ein Album hat die Band zu dem Zeitpunkt noch nicht im Blick. Zu unsicher sei gewesen, ob man das auch der Musik würdig betouren könne, betont Hölting. Die Band aber arbeitet trotzdem weiter an neuem Material, zunächst ohne festes Ziel. Im anschließenden Winter aber zeichnet sich dann ab: „Das wird ein Album.“ Wie schon für die vereinzelt in die Streamingwelt entlassenen Singles schnappen sich Von Wegen Lisbeth Aaron Ahrends von Say Yes Dog, um gemeinsam im bandeigenen Proberaumstudio sowie dem im genossenschaftlich organisierten Holzmarkt gelegenem Studio 25 aus Ideen fertige Song zu machen. „Über die Jahre haben wir fürs Live-Spielen sehr viel Equipment angeschafft. Der positive Nebeneffekt davon ist, dass wir eigentlich ein komplettes Studio bei uns im Proberaum haben“, liefert Hölting prompt die Erklärung dafür, warum „EZ Aquarii“ bis auf die Schlagzeugspuren komplett im Proberaum Form annimmt. Und dort, das betont der Bassist, fühle man sich so richtig zuhause.

Maximiert die Band hinsichtlich der Aufnahmekontexte Komfort, so verabschiedet sie sich an anderer Stelle voll Euphorie von eingeschlafenen Routinen. Nach einer EP und zwei Alben mit Produzent Robert Stephenson soll diesmal jemand anderes an den Reglern stehen. Jemand, der für jegliches Unterfangen zu haben ist. „Aaron hat uns überzeugt, weil er in seiner Arbeit sehr offen ist. Er ist okay damit, vieles erstmal am Computer auszuprobieren, auch wenn das dann nicht unbedingt High Quality-mäßig klingt“, erklärt Hölting. Eine gemeinsame Basis – das wird im Verlauf der Unterhaltung deutlich – haben beide Parteien auch hinsichtlich der präferierten Soundästhetik. „EZ Auqarii“ nämlich klingt streckenweise nicht mehr so direkt greifbar und zugänglich wie die Vorgänger. Hölting blickt vor dem Hintergrund im Gespräch auch durchaus selbstkritisch auf die eigene Diskographie zurück. Ein Sprung in die Konversation:

minutenmusik: Ich würde als nächstes mal an die Substanz gehen und über Musik und Songs sprechen. Was würdest du sagen, macht „EZ Aquarii“ soundmäßig anders als die Vorgänger?

Julian Hölting: Bei den Arbeiten mit Aaron haben wir gemerkt, dass wir uns in der Ästhetik sehr nah sind. Wir wollten uns ganz bewusst von diesem Deutschpop-Kosmos abgrenzen. „Grande“ war im Nachhinein schon ein sehr poppiges Album. Natürlich hat uns das total weit gebracht, aber wir sind im Grunde trotzdem noch eine Nischenband. Wir sind jetzt nicht Kraftklub oder AnnenMayKantereit – dafür holen wir dann doch nicht alle Leute ab. Wir haben versucht nicht dagegen anzukämpfen und die Stärke darin zu sehen.

Wir hören sonst viel verspielte, verspulte Musik. Dementsprechend hat uns das interessiert. Soundmäßig ist das deshalb viel selbstbewusster das, was wir machen wollen. Bei „Grande“ hatten wir noch viel weniger eine Idee, wie alles klingen soll.

minutenmusik: Vielleicht kann ich da direkt anschließen. Ich habe den Eindruck, dass ihr schon auf eurem zweiten Album „sweetlilly93@hotmail.com” nicht versucht habt die großen Hits eures Debüts „Grande“ zu reproduzieren. Würdest du sagen diese Widerspenstigkeit vielleicht nicht ein „Wenn Du Tanzt 2“ schreiben zu wollen spiegelt sich in dem, was du gerade gesagt hast, wider?

Julian Hölting: Ich glaube das liegt eher daran, dass es uns musikalisch nicht mehr so interessiert. Diese Standard-Pop-Formel fanden wir nicht mehr spannend. Es ist aber auch nicht so, dass wir uns dagegen wehren. Das kann auch nochmal kommen irgendwann. Soundmäßig würden wir bei „Grande“ heutzutage wohl auch Vieles anders machen. Man verändert sich eben. Aber es ist ja voll schön, dass man diese Entwicklung durchmacht und jedes Album dadurch seinen eigenen Charakter hat.

Diesen Struggle einen Hit zu haben, den hatten wir bei „sweetlilly93@hotmail.com“ viel mehr. Beim zweiten Album fühlt sich das mehr so an als müsse man anknüpfen. Davon haben wir uns diesmal freigemacht. Also: Ich würde nicht sagen, dass wir uns bewusst gewehrt haben. Wir haben uns einfach nicht mehr so dafür interessiert.

minutenmusik: Du hast recht, dass „Grande“ auf jeden Fall cleaner und aufgeräumter klingt.

Julian Hölting: Auch von den Songs ist das schon poppiger. Und textmäßig hat sich Matze [Anmerkung: Gemeint ist Sänger Matthias Rohde] ebenfalls weiterentwickelt. Ich glaube in diesen simplen Aussagen ist er sehr viel differenzierter geworden. Songs wie „Auf Eis“ oder „Elon“ zeigen das voll. Sich mit Leuten auseinandersetzen, die vielleicht sogar einem Feindbild entsprechen – Claudia Pechstein ist in der CDU und Polizistin – und zu schauen, was man gemein hat, finde ich viel spannender als platt „scheiß Bulle“ oder „kack CDU“ zu sagen. Diese etwas kindlichere Art Dinge zu sehen war auf „Grande“ noch viel mehr vertreten.

minutenmusik: Lass uns zum Schluss mal auf ein paar Songs kommen. „Elon“ ist vom Text her durchaus memeig. In der Hinsicht sticht der schon raus. War das etwas, über das ihr im Entstehungsprozess des Songs gesprochen habt?

Julian Hölting: Wir haben uns nur über die Situation an sich unterhalten. Matze meinte, der Text hätte sich fast von allein geschrieben, weil man eine sehr komplexe Sache in einem so kleinen, starken Bild ausdrücken kann. Der reichste Mensch der Welt wird genauso behandelt wie jeder andere Vollidiot in Berlin, scheiß egal wie viel Geld er hat. Da steckt so viel Gesellschaftskritik drin, aber eben auch Freude, wie es anders laufen könnte. Das hätte man anders so einfach niemals in einem Text ausdrücken können.

Musikalisch ist der super stumpf, fast schon ein Punk-Song. Das schafft wohl diesen Meme-Effekt, unterstützt die Absurdität aber sehr gut. Es geht bei dem Song weniger um die Musik als um den Text – und das ist schon auch ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Album.

minutenmusik: Über „Fundbüro“ featuring Longus Mongus würde ich gerne abschließend sprechen. Generell kommt das schon seltener vor, dass deutsche Indie-Bands Rapper*innen auf ihre Songs holen. In Amerika ist das schon üblicher. Wie kam das zustande?

Julian Hölting: Das Interesse an Rap ist schon immer da gewesen. Weil es ihn musikalisch interessiert, hat Matze für sich selbst zum Beispiel eine Zeit lang Hiphop-Beats produziert. Der Song ist dann einfach aus einer gemeinsamen Session entstanden, die vorher gar kein festes Ziel hatte. Mit anderen Leuten haben wir das auch gemacht – mit 01099 oder Schmyt etwa. Longus Mongus fanden wir spannend, weil BHZ zu den Berliner Rapcrews gehört, die wir musikalisch und textlich am interessantesten finden. Uns gefällt, was die machen. Matze hat ihm deshalb geschrieben und er hat sofort zugesagt. Longus Mongus kam dann komplett verballert in unseren Proberaum, meinte er habe nur eine Stunde geschlafen. (lacht) Dann hat er sein T-Shirt ausgezogen, weil er meinte er fühlt’s so mehr. Und anschließend hat er seinen Teil in zehn Minuten runtergeschrieben und uns voll gecatcht. Die Ergebnisse der anderen Sessions fanden wir zwar auch gut, aber das hat die Songs nicht in so einer Weise weitergebracht. Das war hier anders. Deshalb haben wir entschieden, den auf die Platte zu nehmen.

Dann sind alle drängenden Fragen gestellt. Hölting und ich verlieren noch ein paar Worte über Konzerte und die sich immer höher schraubenden Erwartungen vieler Besucher*innen. Dann verabschieden wir uns. Und ich laufe die immer noch selig ruhige Schanzenstraße hinab in Richtung Keupstraße.

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