…und wieder neigt sich ein Jahr dem Ende. Auch musikalisch. Ein Jahr, in dem vieles veröffentlicht wurde, vieles – auch qualitativ und handwerklich Hochwertiges – irgendwie vorbeirauschte, wie man im Rückblick feststellen musste. Aber einige Alben blieben glücklicherweise dann doch hängen und führten zu dieser Top Ten der Alben 2018, angefangen mit Platz 10. Dazu noch das Konzert des Jahres (in dem Falle als Top 1).
10. L’âme Immortelle – Hinter dem Horizont
Die Feststellung, dass – im „düsteren“ Bereich – beständig die alteingesessenen Acts wiederkommen, mag bei mir inzwischen langweilen, aber auch dieses Jahr war es mal wieder so. Beispielsweise dann, als im Februar mit Hinter dem Horizont L’âme Immortelle rund 22 Jahre nach ihrer Gründung ein neues Album auf den Markt brachten. Erneut gab es melancholischen Elektro zu hören, der mit Abwechslungsreichtum und Dynamik glänzen konnten. Überwiegend melancholischer Gesang von Sonja Kraushofer findet seinen Konterpart in Thomas Rainer, der gerne mal die Deutlichkeit in seiner Stimme herausstellt. Ein gelungenes Album, das einige Anläufe brauchte, aber dafür dann umso mehr zünden konnte.
09. Smash Into Pieces – Evolver
Immer wieder erfreulich, auch mal neue Bands kennenzulernen. So wie Smash Into Pieces, die auf Evolver von den ersten Tönen an überraschen konnte. Hatte ich vom Label Uncle M eher Klänge in die punkige Richtung erwartet, begegnete hier plötzlich ein Saxofon am Beginn des Stücks. Die Schweden beweisen hier, dass sie es gerne haben, wenn die Leute mitgehen. Auch eine verhältnismäßige ruhige Nummer wie The Game (Womanizer) hat diesen Mitgeh-Appeal. Eingängigkeit wird immer wieder großgeschrieben (vgl. auch In Need Of Medicine), das Album hat das Potenzial für eine große Zielgruppe, ohne dabei im Mainstream zu wildern. Alternative Rock mit Einflüssen aus Elektro und Pop, der eine angenehme Überraschung darstellte.
08. Kim Wilde – Here Come The Aliens
Nicht nur im „düsteren” Bereich kommen sie wieder, das kommt auch im 80er-Pop schon einmal vor. Und da wären wir auch schon beim Thema Überraschung. Während andere 80er-Ikonen bei Comeback-Versuchen einen lauwarmen Aufguss ihrer einstigen Qualität präsentieren, zeigte Kim Wilde auf Here Come The Aliens, dass das alles so fremdartig dann doch gar nicht ist. Pop Don’t Stop, so ein Titel auf dem Album – und zwar einer, der programmatisch ist. Ihren treibende Pop-Sound hat Kim Wilde erfolgreich bis ins Jahr 2018 mit herein nehmen können. Dafür großer Respekt!
07. Erik Cohen – III
An siebter Stelle aber jetzt mal keine Überraschung. Diese wäre es eher gewesen, wenn das Album nicht in dieser Auflistung aufgetaucht wäre. Seinen deutschsprachigen „Hit-Rock“, wie er ihn selbst gern bezeichnet, hat der Dirigent in Blau auf Album Nr. 3 weiter vorangetrieben, verfeinert, um Nuancen angereichert. Das zeichnet sich schon beim Opener Mexikanische Lieder ab, der mit mexikanischen Sounds spielt, aber den ganz eigenen Stil nicht beeinträchtigt. Seine Liebe zu Holstein Kiel hat er in Englische Wochen mit Tempo wieder zur Geltung gebracht („Leidenschaft kennt keine Liga“), auch ruhige Töne finden dazu ebenfalls Einzug, wie die Fettnäpfchen-freie Rock-Ballade Altes Feuer zeigt. Da hat einer seinen Stil gefunden, eindeutig!
06. Richard Ashcroft – Natural Rebel
Wie bewertet man einen Künstler objektiv, der Sänger in der ersten Lieblingsband im Bereich der „ernstzunehmenden“ Musik war? Gute Frage, aber er hat es ja schließlich auch diese Jahrescharts geschafft. Und womit? Nicht nur mit Recht, sondern eben auch mit gelungenen Indie-Klängen, die dem BritPop-Hörer auch in der 2018-Ausgabe noch zu gefallen wissen. Bekannt wirkende Gitarren-Sounds, hintergründig auch mal Streicher, die eingängige Stimme Richard Ashcrofts dazu, fertig ist ein begeisterndes Werk. Eines, bei dem er zum Ende noch einmal richtig aufs Pedal tritt und mit Money Money gar eine sägende Gitrarrenrock-Nummer zum Besten gibt.
05. Peter Heppner – Confessions & Doubts
Einer von zwei Acts in dieser Auflistung, die in diesem Jahr zwei Alben veröffentlicht haben. Im Sinne der gleichen Chancen für alle, ist von beiden Künstlern jeweils nur ein Album mit dabei. Sechs Jahre Pause zwischen zwei Alben, dafür gab es jetzt zwei auf einmal. Eines davon: Confessions & Doubts, das mit eingängigem Elektro alles das präsentiert, was Peter Heppner im Laufe der Jahres, auch zuvor schon mit Wolfsheim, ausgezeichnet hat. Tanzbare Stücke, ruhigere Nummern, ausgefeilte Texte und natürlich die einmalige Stimme des Sängers. Frühes Highlight ist die Zusammenarbeit mit Joachim Witt, 20 Jahre nach Die Flut jetzt mit Was bleibt. Gib mir doch ‘n Grund schafft es, unpeinlich Zeilen wie „Jetzt sitz‘ ich wieder mal allein in Carlos Eck, mit ‘ner Menge Alkohol schieß‘ ich mich weg“ vorzutragen, zum Ende hin wird es mit Theresienstadt: Hinter der Mauer noch einmal sehr nachdenklich. Ein starkes Album!
04. Project Pitchfork – Fragment
Hier die zweite Band mit zwei im Jahr 2018 veröffentlichten Alben. Mit Akkretion und Fragment veröffentlichten Project Pitchfork in diesem Jahr zwei Teile einer Trilogie, die im Jahr 2019 abgeschlossen wird. Auch wenn das Konzept, Fragmente zu sein, die zu einem großen Ganzen gehören und dennoch das Universum in sich zu tragen, verkopft klingt: Die Musik klingt abwechslungsreich arrangiert, treibend und tanzbar, auch mal melancholisch und nachdenklich, mit A Fragment ist auch mal wieder ein Titel auf Deutsch vertreten. Die Band um Peter Spilles hat auf diesem Album so einiges richtig gemacht. Und das fast 30 Jahren nach der Gründung nun wahrlich keine
03. In Strict Confidence – Hate2love
Kommen wir zum Siegertreppchen und einer abwechslungsreichen Top 3. Auf Platz 3 zum letzten Mal das leidige Thema Urgesteine. Aber auch In Strict Confidence näheren sich inzwischen den 30 Jahren Bandgeschichte an. Die Musik aber ist dabei stets frisch geblieben, wie Hate2Love abermals belegt. Beim verhaltenen Opener Flashover hat man bei den ersten Durchläufen noch so seine Zweifel, aber nach und nach ziehen die Stücke einen in den Bann. Aggressiv-melodischer Elektro ist zu hören, dazu die raue Stimme und das Tempo variiert wie gewohnt. Used & abused beispielsweise ist eine treibende Nummer, aber auch das bei dieser Band häufig anzutreffende mittlere Tempo glänzt auf diesem Album wieder. Und das auch inhaltlich, wie bei No one remembers: „Do something right, no one remembers // do something wrong, no one forgets”. Mit Abwechslung und Tiefgang ist der Band hiermit das Elektro-Album des Jahres gelungen.
02. Leichtmatrose – Heile Welt
Da ist er wieder, der Erfinder des Elektro-Chanson. Oder besser: die Band von ebendiesem. Denn mit Frontmann Andreas Stitz, Thomas Fest, Tom Günzel und Rick J. Jordan (genau, dem Gründungsmitglied von Scooter) heißt es inzwischen auch auf der Bühne: „Wir sind Leichtmatrose“. Musikalisch ist man teils etwas mehr ins Rockige gelangt, was der Band gut steht. Und auch drei Jahre nach dem Vorgänger haut uns die Band erneut bitterböse Texte um die Ohren, die natürlich mit einer heilen Welt recht wenig zu tun haben. Beispielsweise das harmlos wirkende Titelstück, das vom unguten Dasein als graue Maus auf dem Schulhof erzählten („und jeden Morgen diese Sorgen vor dem Sportunterricht“), die Abrechnung mit Bands, die immer mehr in den Schlager driften in Chill Indianer („und all die Schlageromis waren plötzlich deine Homies“), chansonesque wird es bei Wenn es Nacht wird in Paris, aufs Tempo gedrückt wird bei Jasmin. Immer abwechslungsreich, nie orientierungslos, so präsentiert sich die Band auf dem dritten Album.
01. Blackout Problems – KAOS
Nachdem ich mich beim Schreiben dieses Textes schon wie ein musikalischer Methusalem fühlte, freue ich mich, auf Platz 1 dann doch noch eine relativ junge Band, „erst 2012“ gegründet, positionieren zu können. KAOS hat vom ersten Hören an eingeschlagen, dieses Weg aber auch in vielen vielen weiteren Durchgängen beibehalten. Vom Opener How Are You Doing an begeistert der Alternative Rock mit punkigen Einflüssen weiterhin. Hohes Tempo beispielsweise gibt es dann auch in 911, aber auch druckvolle Nachdenklichkeit wird geboten, wie es Kontrol beweist. Die Atmosphäre bleibt, Mario Radetzky sorgt auch in diesem Tempo für Gänsehaut und man merkt auf Albumlänge, wie sehr sich die Band nach dem – ebenfalls schon sehr guten Debüt-Album – weiterentwickelt hat. Wer auf diese Art von Musik steht und dieses Album nicht mag, der hat es vermutlich schlichtweg noch gar nicht gehört. Bitte schnell ändern! (Rezension von Marie und Jonas hier)
Konzerte – Top 1
01. Seigmen – Berlin, Lido (20.05.2018)
Warum jetzt hier eine Top 1 Konzerte? Nun, auch wenn ich dieses Jahr auf vielen Konzerten war, so gab es diesen einen magischen Konzert-Moment, der wirklich besonders war und eine magische Atmosphäre ausstrahlte, wie es auch die sonstigen Lieblingsbands in diesem Jahr nicht schafften. Seigmen spielten zwei Tage nach einem Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen die erste Club-Show seit 19 Jahren in Deutschland. Grund genug für viele, den Weg auf sich zu nehmen. Nicht nur aus der ganzen Republik, sondern unter anderem auch aus Norwegen, Russland und den USA. Auch wenn sie als Zeromancer eine große Fanbase erspielt haben, sind Seigmen für viele einfach unvergessen und das gab es mit einem Publikum aus aller Welt zu feiern. Atmosphärische Klänge in einem atmosphärischen Licht eingetaucht und eine Performance, bei der es eine Barriere zwischen Band und Fans nicht zu geben schien. Bemerkenswert auch, wie viele Leute die Texte mitsangen. Klingt nicht ungewöhnlich für ein Konzert – für die Show einer Norwegisch singenden Band dann jedoch schon. Eine Reise nach Berlin, die sich durch und durch gelohnt hat!
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