Junior Eurovision Song Contest 2022: Ergebnisse & Meinungen

banner zum junior eurovision song contest 2022

Aufgeben ist… eine Option! Schade. 2020 debütierte Deutschland beim Junior Eurovision Song Contest, zwei Ausgaben später macht man schon eine – wie die Verantwortlichen es selbst nennen – „kreative Pause“. Eine besonders schicke Umschreibung, um seinen Unmut und seiner Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, gab es 2020 eben nur einen letzten und 2021 einen drittletzten Platz. Stattdessen ging Frankreich mit dem zweiten Sieg nach Hause.

Dabei wäre die 20. Ausführung der Kinder-Edition von dem größten Musikwettbewerb der Welt doch durchaus eine Teilnahme wert gewesen. Nach einer Corona-Sparflammen-Variante 2020 und einem größeren Comeback 2021 ist in diesem Jahr beim Zuschauen kaum noch ein Unterschied zu der regulären ESC-Variante zu sehen. Der Junior Eurovision Song Contest nimmt seine Arbeit ernst und fährt in Sachen Bühnenbild und Technik voll auf. Auch im Wettbewerbsablauf gibt es kaum Unterschiede – nur das Teilnehmer*innenfeld ist erneut weit unter seinen Möglichkeiten. War man letztes Jahr noch mit 19 Ländern unterwegs, sind es 2022 nur 16. Neben Deutschland gehen auch Aserbaidschan und Bulgarien in eine Pause. Und Russland aus bekanntlichen Gründen.

Aber sind’s dann nicht 15? Zumindest 15, die auch beim letzten JESC dabei waren. Ein Land kehrt zu dem bunten Treiben zurück, das stets zum Ende des Jahres ausgeführt wird und 2022 am 11.12., dem 3. Adventssonntag, stattfindet. Großbritannien war bei den ersten drei Austragungen in den Jahren 2003, 2004 und 2005 dabei und verweilte dann ganze 16 Runden lang in seinem Dornröschenschlaf. Doch nachdem man in diesem Jahr schon beim großen ESC mit einem fulminanten zweiten Platz das beste Ergebnis seit Ende der 90er erzielte, musste man den „Europa mag uns wieder“-Bonus nutzen. Schafft man’s hier wohl auch?

Hier ist übrigens 2022 Jerewan, die Hauptstadt Armeniens. Kanntet ihr bisher nicht? Wir auch nicht. Generell ist Armenien beim ESC eher ein Nebenschauplatz. Dass der große Eurovision dort mal ausgetragen wird, ist bisher wenig absehbar, schaffte man lediglich zweimal den vierten Platz. Beim JESC hingegen steht man 2021 schon zum zweiten Mal auf dem Sieger*innentreppchen ganz oben. Maléna trat mit ihrem catchy-futuristischen „Qami Qami“ in die Fußstapfen von Wladimir Arsumanjan, der schon 2010 für das Land die Goldmedaille und den beliebten Pokal erzielen konnte. Jerewan ist somit sogar zum zweiten Mal die Gastgeberstadt.

Nächstes Jahr könnte Paris ebenfalls zum zweiten mal hosten. Lissandro, 13 Jahre jung, erreicht mit seinem Electro-Swing „Oh Maman!“, das bis auf wenige Zeilen komplett auf Französisch gesungen wird – zur Erinnerung: Beim ESC ist die Sprache frei wählbar, beim JESC muss hingegen mindestens zu 60 Prozent Landessprache zu hören sein – erneut den Sieg für unsere Nachbar*innen – und das bei nur sechs Teilnahmen bisher. Darunter zwei Gewinne, ein zweiter, ein dritter, ein fünfter und ein sechster Platz. Verkacken sieht anders aus. 2020 konnte das verträumt-kindliche „J’imagine“ überzeugen und war im Folgejahr sogar Pate für das Motto, das daraufhin „Imagine“ lautete. Ist das Motto 2023 dann „Maman“? Der Song jedenfalls wurde groovend und mit viel Tempo vorgetragen, da gibt’s nix groß zu meckern. Ein wenig verwunderlich ist der Gewinn jedoch trotzdem.

Denn Kinder haben doch meist ein etwas anderes Gehör als Erwachsene. Das fällt auch auf, wenn man sich die beiden Ergebnisse im Einzelnen anschaut. Auf der Seite der nationalen Jurys, die zur Mehrheit aus erwachsenen Menschen bestehen, die mit Musik ihr Geld verdienen, führt Lissandro das Feld an. 132 Punkte sind seine, das sind 18 Vorsprung zu dem moderneren, gewagteren und auch anspruchsvolleren Beitrag aus Georgien. Allerdings fällt das kantige – das macht Georgien übrigens sehr gerne – „I Believe“ mit LadyGaga-Bad-Romance-Gedächtnis-Kostümierung beim Onlinevoting gnadenlos durch, das die restlichen 50 Prozent ausmacht und von insgesamt 178 unterschiedlichen Ländern in Anspruch genommen wird. 47 Punkte, Platz 12 – Endwertung: Platz 3.

Armenien ist nicht nur das Land, in dem ausgetragen wird, sondern erneut ein äußerst heißer Kandidat, um 2023 nochmal ran zu dürfen. „Dance!“ von Nare ist auch einfach das, was man unter einem aktuellen Dance-Pop-Song versteht, dem jedoch vor allen Dingen die gesangliche Leistung fehlt. Gerade die Jury scheint viel Wert aufs Gesamtpaket zu legen: Gesang, Performance, Komposition. Doch ein zweiter Jury- und ein vierter Online-Platz genügen für den natürlich immer besonders ärgerlichen Zweiten am Ende.

Man mag bei Kindern immer ein Auge zudrücken. Muss man jedoch beim Junior Eurovision Song Contest 2022 zum Glück nur selten. Viele zeigen gut einstudierte Choreos, allerdings auch schlicht einstudierte Kommentare. Bei nahezu allen Moderationen und Gesprächen, die mit den Teilnehmenden funktionieren, wird auffällig, dass hier nichts spontan passiert und alle entweder ablesen oder das Frage-Antwort-Spiel x-mal vorab geübt haben. Warum? Gerade hier wäre doch mehr Authentizität toll und weniger „Wir müssen super professionell wirken und 2000x „Thank you Europe and Armenia“ sagen“. Da sind einem diejenigen, die sich versprechen, doch gleich am sympathischsten.

Weiterer Verbesserungsvorschlag: Weniger Kompositionen, bei denen sich die Minderjährigen in Höhen belten müssen, die sie eh nicht können. Gleich mehrfach gibt es tonale Schwierigkeiten in den hohen Lagen. Absolutes Horrorexempel: Kasachstan versemmelt’s, und zwar so richtig. So viele schiefe Töne konnte man schon lange nicht mehr beim ESC und beim JESC hören. Ayayay. Das tat weh, lag aber vor allen Dingen an der viel, viel zu anspruchsvollen Komposition, die man eben nur schreien und nicht schön singen kann.

Das Ergebnis von Großbritannien zeigt on point, was Sache ist: Die beste Punktzahl im Onlinevoting – 80 Punkte, sind allerdings nur neun mehr als der Gewinner aus Frankreich und zwei mehr als Spanien, die online Platz 2 holen – jedoch gleichzeitig nur einen 5. Platz bei den Jurys. „Lose My Head“ von Freya Skye klingt nicht nach weniger als dem nächsten großen DuaLipa-Hit. Wow, ist das hookig. Ultra Chartpotenzial, völlig im Hier und Jetzt. Das entspricht den Hörgewohnheiten der Kids, reicht aber der Jury nicht im Gesamtpaket, weil es eben gesanglich zwar voll auf die Sängerin zugeschnitten ist, nur nicht beeindruckt. Bester Song des Abends, sollte so im Radio laufen und Leute zum Staunen bringen, dass die Stimme dahinter 13 Mal erst Geburtstag hatte.

Nicht zuletzt zeichnet sich das Onlinevoting auch dadurch aus, dass es eben weltweit läuft und jedes Land auch für sich selbst abstimmen kann. Bekommen beim großen ESC Länder regelmäßig null Punkte – hust – sind in dieser Runde bei den Kleinen 33 das Minimum und 80 das Maximum, also mehr gegebene Ausgewogenheit.

Was sonst noch los ist im Junior Eurovision-Land? Das Typische. Glücklicherweise strahlt der ARD-Partnersender KiKA weiterhin den Wettbewerb im deutschen Fernsehen aus. Das ist nämlich erst seit dem Debüt von Deutschland so und wurde nun nicht wieder eingestellt. Danke. Constantin Zöller ist weiterhin einer der unangenehmsten Menschen, die beim Eurovision arbeiten dürfen, und droppt einen abwertenden, arroganten, nicht lustigen Spruch nach dem nächsten. Vielleicht einfach die 2023-Show im Original ohne Kommentar gucken? Ist sicherlich empfehlenswerter.

Auf der Bühne gibt es neben den Teilnehmenden leider sowohl im Opening „Spin The Magic“ – angelehnt an das diesjährige Motto, das für Musik, Zauberei und Spielerei mit Kreiseln und damit entstehende Verbindungen und Erinnerungen aller Kinder untereinander steht – als auch im Pausenfüller. Dabei beweisen genug der jungen Nachwuchstalente, dass sie live was können. Traurig. Maléna, wegen der Jerewan austragen darf, darf gleich mehrfach ran. Als erste Person, die man mit Mikro sieht, als Pausenfiller mit neuem Song, in der Rückschau mit allen Gewinner*innen und die Punkte für Armenien liest sie auch noch vor. Rosa Linn hat zwar beim ESC im Mai nur einen der hinteren Felder sehen dürfen, allerdings ist ihr „Snap“ durch TikTok zum weltweiten Hit geworden. Ein somit völlig berechtigter Act, währenddessen die Stimmen ausgewertet werden.

Etwas befremdlich ist, dass neben den drei Hosts – darunter Karina Ignatyan, JESC-Teilnehmerin Armeniens aus 2019 und Iveta Mukuchyan, die man in Deutschland von „The Voice of Germany“ kennt und beim ESC 2016 für Armenien Siebte wurde – auch ein Roboter namens Robin mitmoderiert, der aber immer wieder den Gag reißt, er sei kein Roboter. Leider nervt das arg langsame und statische Gequatsche schon nach wenigen Sekunden. Zukunft? Please not.

Oh, einen Gänsehautmoment gab es dann noch beim Vorlesen der Punkte: War die Ukraine in diesem Jahr mit einem Rekordabstand beim ESC unaufhaltbar, schafft es Zlata Dziunka nicht, nur mit reiner Solidarität zu siegen. Kinder haben eben – zum Glück – noch ein ganz anderes Verhältnis zu Politik. Für sie war mit einer uninteressanten Bombastballade nur Platz 9 möglich. Dafür löst der ukrainische Junge, der die Punkte vorlesen darf mit seinem „Greetings from unbreakable Ukraine“ so viel Mitgefühl aus, dass man aufspringen, klatschen und ihn umarmen möchte.

Im Dezember 2023 müssen deutsche Fans also erneut nicht so weit fahren, um live vor Ort zuschauen zu können. In welcher Stadt Frankreich hosten wird, steht gegenwärtig noch nicht fest. Sollten wir auch wieder teilnehmen, dann gern mit etwas mehr Mühe bei der Vorauswahl. Beim JESC sind Überraschungen durchaus möglich, auch wenn sie nicht so viele mitbekommen.

Hier nochmal alle Ergebnisse im Überblick:

01. Frankreich: „Oh Maman!“, Lissandro (132 Jury-Punkte, 71 Onlinevoting-Punkte, 203 gesamt)
02. Armenien: „Dance!“, Nare (110 Jury, 70 Online, 180 gesamt)
03. Georgien: „I Believe“, Mariam Bigvava (114 Jury, 47 Online, 161 gesamt)
04. Irland: „Solas“, Sophie Lennon (88 Jury, 62 Online, 150 gesamt)
05. Großbritannien: „Lose My Head“, Freya Skye (66 Jury, 80 Online, 146 gesamt)
06. Spanien: „Señorita“, Carlos Higes (59 Jury, 78 Online, 137 gesamt)
07. Niederlande: „La Festa“, Luna (58 Jury, 70 Online, 128 gesamt)
08. Portugal: „Anos 70“, Nicolas Alves (51 Jury, 70 Online, 121 gesamt)
09. Ukraine: „Nezlamna“, Zlata Dziunka (47 Jury, 64 Online, 111 gesamt)
10. Polen: „To The Moon“, Laura (42 Jury, 53 Online, 95 gesamt)
11. Italien: „Bla Bla Bla“, Chanel Dilecta (42 Jury, 53 Online, 95 gesamt)
12. Albanien: „Pakëz Diell“, Kejtlin Gjata (51 Jury, 43 Online, 94 gesamt)
13. Serbien: „Svet Bez Granica“, Katarina Savić (41 Jury, 51 Online, 92 gesamt)
14. Nordmazedonien: „Životot E Pred Mene“, Lara feat. Jovan & Irina (12 Jury, 42 Online, 54 gesamt)
15. Kasachstan: „Jer-Ana“, David Charlin (5 Jury, 42 Online, 47 gesamt)
16. Malta: „Diamonds In The Skies“, Gaia Gambuzza (10 Jury, 33 Online, 43 gesamt)

Und so klingt der Gewinnersong aus Frankreich:

Website / Facebook / Instagram / Twitter

Die Rechte fürs Bild liegen bei der EBU.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert