Deutschland hat beim Junior Eurovision Song Contest 2023 den neunten Platz gemacht! Frankreich hat zum zweiten Mal in Folge gewonnen, aber viel wichtiger: Deutschland belegt Platz 9! Frankreich hat außerdem das dritte mal innerhalb von vier Jahren gewonnen, aber egal: Deutschland belegt einen einstelligen Platz und bekommt einige Punkte von der Jury und noch viele mehr aus der gesamten Welt. Da muss man schon genauer lesen und bekommt kurz Schnappatmung, aber tatsächlich ist das das beste deutsche Ergebnis bei der kleineren Ausgabe des größten Musikwettbewerbs überhaupt – ok, Deutschland hat bisher erst dreimal teilgenommen – und eine einstellige Platzierung gab’s beim großen Vorbild auch zuletzt 2018. Genießen wir doch diesen Moment.
Ok, genug. Leider muss der 9. Platz – in Worten: neunte – beim 21. JESC ein wenig relativiert werden. 16 Länder haben teilgenommen, es handelt sich also um den besten Platz in der rechten Hälfte der Punktetafel. Des Weiteren bekommen, eben wie beim großen ESC, immer zehn Länder Punkte. Somit war die Wahrscheinlichkeit, Punkte zu bekommen, 62,5%, bei dem Wettbewerb für Erwachsene treten aber meist 26 Länder an, wodurch die Wahrscheinlichkeit auf 38,5% sinkt. Und letztendlich müssten diejenigen, die sich etwas intensiver mit dem beliebtesten Musikwettstreit auseinandersetzen, wissen, dass Deutschland für gewöhnlich nie als besonders schlecht angesehen wird – es reicht halt nur bei den Votings nie, um in die Top 10 zu kommen, was dann final null Punkte bedeutet.
Aber für diverses Genörgel ist im kommenden Mai bestimmt genug Anlass – oder der NDR zieht aus dem wirklich akzeptablen und auch fairen Ergebnis beim JESC im französischen Nizza eine Bilanz und probiert zu erschließen, wie man wohl im kommenden Jahr auch wieder bei der Big Show etwas besser funktioniert. Für Deutschland in diesem Jahr angetreten ist FIA. Die hat schon Showerfahrung, da sie vor einem halben Jahr zu den zwölf Kindern gehörte, die im Finale von “The Voice Kids” stehen durften. Die Berlinerin ist 12, mitmachen darf man beim Junior Eurovision im Alter von 9 bis 14. Es lohnt sich, auch im Nachhinein nochmal in den Auftritt reinzuschauen. Auffälligkeiten: Ihre Stimme klingt noch recht kindlich, trotzdem singt sie schön und richtig. Die Choreo ist kreativ und nicht zu einfach, das generelle Bühnenbild hübsch ausgearbeitet. Doch das Wichtigste ist einerseits, dass sie ihren Song “Ohne Worte” auch in Gebärdensprache präsentiert, thematisiert er nämlich die Beziehung zu ihrer gehörlosen Schwester, andererseits ist er komplett auf Deutsch. Ja, das geht, und offensichtlich auch noch gut.
Denn Musik funktioniert über mehr Kanäle als nur über einen komplett verständlichen Text. Sowieso zeichnet sich der Trend immer mehr ab, dass Songs auf Landessprache bei den Shows wirklich super ankommen. Beim JESC ist 60% Landessprache sowieso Pflicht – beim großen ESC darf weiterhin freigewählt werden. Aber gerade Deutsch, das oft als weniger schön klingende Sprache im Gesang gilt, führt zu einem viel besseren Ergebnis als die zwei vorigen Versuche, bei denen der Englischanteil so hoch war wie eben erlaubt. “Ohne Worte” ist eine solide Komposition, aber schlichtweg eine sehr schöne Message, die Kinder wie Teenager*innen verstehen. And that’s what it’s about, right?
Weiterer Beweis: Frankreich hat bisher sieben Mal mit fast ausschließlich französischsprachigen Songs teilgenommen und darunter ganze dreimal gewonnen. Weitere Plätze sind 2, 3, 5 und 6. Und Französisch kann ja auch nicht jedes Kind. Gab es im Corona-Jahr 2020 schon für unsere Nachbar*innen die Goldmedaille, sodass der Wettbewerb daraufhin in Paris stattfand, konnte man letztes Jahr erneut gewinnen. Nizza war erstmalig die Austragungsstadt – und tatsächlich darf man 2024 wieder ran. Offensichtlich hat man genau den richtigen Mittelweg zwischen “Geht so ins Ohr, dass es jede*r checkt” und “Ist auf kindlichem Niveau genug talentiert” gefunden und perfektioniert ihn nun Runde für Runde. Dieses Mal hat das von vorne bis hinten gut abgelieferte Mädel Zoé Clauzure mit ihrem Titel “Cœur” den Sieg geholt, und man versteht auch, warum man so mindestens die Top 5 entert. Da können einige andere Länder mal genauer hinschauen, die immer wieder denken, dass man junge Menschen so auf die Bühne stellen muss, als wären sie eigentlich schon zehn Jahre älter.
Große Negativbeispiele bei der Show, die am 26.11. und damit einige Wochen früher über die Bühne geht als die letzten Ausgaben: Schrecklich übertriebene Belting-Leiern aus Malta, die weder der jungen Sängerin noch dem Publikum in die Karten spielen. Falsche Töne, kaum erkennbare Melodie – welches Kind mag das? Ach so, quasi keins. Ein ähnliches Debakel liefert sich das Trio aus Georgien, das zwar mehrstimmig singt, aber eben auch so singt, wie Kinder nicht singen. Unauthentisch, aufgesetzt, over the top, bye bye! Irland wagt zwar mit einem rein irischen Song einiges, aber auch hier wird eher auf Tradition und ganz viel Brimborium in den Tonfolgen gesetzt, statt einfach den jungen Talenten Spaß zu gönnen.
Somit nochmal eine Message an alle: Die Show ist immer dann gut, wenn sie freier, witziger und mit mehr guter Laune funktioniert. Alle Songs mit etwas mehr BPM schaffen es nach vorne, darunter die armenische Antwort auf Blackpink namens Yan Girls, was viel Power und frischen Wind beweist. Platz 3. Genauso das optische Trickfeuerwerk aus UK, die schon im letzten Jahr einen wahren Megastomper lieferten, der immer noch nachklingt, und auch dieses Mal wieder richtig nach vorne düsen und abreißen wollen. Platz 4. Spanien dürfen sich mit Platz 2 über das beste Ergebnis seit 2005 freuen. “Loviu” ist genauso wie der französische Beitrag ausgewogen süß wie hookig. Mehr erhofft hat sich mit Sicherheit die Niederlande, die eine David–Guetta-Hommage namens “Holding On To You” schickt, die auch so ohne Veränderung beim großen ESC klappen könnte, aber ein paar Jahre wohl zu spät kommt. Gut unterhalten hat’s dennoch. Platz 7.
Wahnsinnig positiv ist das Voting: Ist es beim ESC mittlerweile immer wieder üblich, auch null Punkte zu bekommen, ist zumindest im Onlineabstimmverfahren, das von jedem Land der Welt kostenlos getätigt werden kann, die geringste Punktzahl eine 34 und die beste eine 92, also eine wirklich überschaubare Spannweite. Es gibt eben keine Musik, die niemandem gefällt. Hier hat’s für FIA und “Ohne Worte” sogar für einen phänomenalen vierten Platz gereicht. Die nationalen Jurys hingegen vergeben für die moderne, interessante Ballade aus Estland, das 2023 debütiert, gerade einmal sechs Punkte, für die Siegerin aus Frankreich gleich 136.
Und weil wir ihm in den letzten Beiträgen immer wieder eins auf die Mütze gegeben haben: Kommentator Constantin Zöller hat sich erstmalig in seiner Kommentator-Laufbahn nicht blamiert, sondern anscheinend nun verinnerlicht, dass es überhaupt nicht cool ist, Menschen abzuwerten, die über 20 Jahre jünger sind als er. Weniger Bashing, dafür mehr sympathische Funfacts – gute Richtung. Da geht zwar noch ein wenig mehr, aber die Verbesserung zum Vorjahr ist wirklich gigantisch.
Als Motto stand in der 2023-Ausgabe das schöne Wort “Heroes” im Mittelpunkt, was auch in den Postcards erkennbar war. Hier wurden viele Talente auch neben der Musik gezeigt, wovon einigen auf jeden Fall Beifall gebührt. Zur Eröffnung der Show konnte man ebenso eine Nummer hören, die das Motto im Namen trug und von allen Teilnehmenden gesungen wurde. Als Pausenact gab es sowohl ganz klassisch den Vorjahressieger Lissandro, dann ein wenig random Amir, der 2016 beim ESC dabei war, und ein “We Are The World”-Cover von der ganzen Truppe. Zugegeben: Totgedudelter Song, aber die Message ist ja nie aus der Mode.
Wir nehmen mit: Wie cool wäre es, wenn kommenden Mai endlich nach 17 Jahren Deutschland wieder mit einem deutschen Song antritt? Außerdem ist die Theorie “Alle hassen Deutschland” hinfällig, dürfen nämlich beim JESC auch Erwachsene abstimmen. Es braucht einfach mehr Mut, mehr Originalität – und ein wenig mehr Wir. Aber kriegen wir schon hin. Glückwunsch an Frankreich, das nun mit Georgien gleichzieht, was ebenfalls drei Gewinne sein Eigen nennen darf. Und: 9. Platz! NEUNTER PLATZ!
Hier nochmal alle Ergebnisse im Überblick:
01. Frankreich: “Cœur”, Zoé Clauzure (136 Jury-Punkte, 92 Onlinevoting-Punkte, 228 gesamt)
02. Spanien: “Loviu”, Sandra Valero (115 Jury, 86 Online, 201 gesamt)
03. Armenien: “Do It My Way”, Yan Girls (116 Jury, 64 Online, 180 gesamt)
04. Großbritannien: “Back To Life”, STAND UNIQU3 (102 Jury, 58 Online, 160 gesamt)
05. Ukraine: “Kvitka”, Anastasia Dymyd (45 Jury, 83 Online, 128 gesamt)
06. Polen: “I Just Need A Friend”, Maja Krzyżewska (69 Jury, 55 Online, 124 gesamt)
07. Niederlande: “Holding On To You”, Sep & Jasmijn (52 Jury, 70 Online, 122 gesamt)
08. Albanien: “Bota Ime”, Viola Gjyzeli (70 Juryy, 45 Online, 115 gesamt)
09. Deutschland: “Ohne Worte”, FIA (33 Jury, 74 Online, 107 gesamt)
10. Malta: “Stronger”, Yulan (51 Jury, 43 Online, 94 gesamt)
11. Italien: “Un Mondo Giusto”, Melissa & Ranya (37 Jury, 44 Online, 81 gesamt)
12. Nordmazedonien: “Kazi Mi, Kazi Mi Koj”, Tamara Grujeska (37 Jury, 39 Online, 76 gesamt)
13. Portugal: “Where I Belong”, Júlia Machado (30 Jury, 45 Online, 75 gesamt)
14. Georgien: “Over The Sky”, Anastasia & Ranina (21 Jury, 53 Online, 74 gesamt)
15. Estland: “Hoiame Kokku”, ARHANNA (6 Jury, 43 Online, 49 gesamt)
16. Irland: “Aisling”, Jessica McKean (8 Jury, 34 Online, 42 gesamt)
Und so klingt der Gewinnersong aus Frankreich:
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