Momentan hat die Welle eindeutig wieder ein Hoch. Wie bei allen trendigen Sachen geht es erst steil bergauf, bleibt eine gewisse Zeit oben, geht dann runter in die tiefe Talfahrt, aber schließlich irgendwann wieder zurück gen Himmel. Amerikanischer Hip-Hop mag zwar in Deutschland nicht mehr ganz so gefragt sein wie in den 2000ern, aber die Fanbase ist stabil geblieben. Und die ist ausgehungert. 50 Cent ist einer der Beweise.
Ob die Gen Z überhaupt noch weiß, wer 50 Cent ist? Wirkliche musikalische Relevanz hat der fast 47-jährige in Queens in NYC geborene Rapper schon lange nicht mehr, muss man ehrlich zugeben. Seine letzte in den Charts platzierte Single war 2012, der letzte Top 10-Hit sogar 2007. Zwar konnte Curtis James Jackson III, wie 50 Cent bürgerlich heißt, 2019 als Feature-Gast bei einem Ed Sheeran-Song nochmal in den Verkaufslisten landen, aber das lag eben nicht an ihm.
Doch wie bereits gesagt: Die Fanbase stirbt nicht so schnell, und die war vor fast 20 Jahren nahezu unüberschaubar. Mit seinen ersten drei Alben “Get Rich Or Die Tryin'” (2003), “The Massacre” (2005) und “Curtis” (2007) gingen über 30 Millionen Platten über die Ladentheken weltweit. Alle drei machten in Deutschland mindestens Gold, das Debüt schaffte neunfach Platin in den USA. Bei den Singles zu den Alben sieht es nicht weniger gut aus, sodass “In da Club” und “Candy Shop” jeweils zu den erfolgreichsten Songs weltweit in ihren Veröffentlichungsjahren gehörten. Das lag nicht zuletzt mit Sicherheit an der tatkräftigen Unterstützung von 50s Supportern: Eminem und Dr. Dre, die bereits da schon jahrelang die Charts dominierten, waren Entdecker, Pusher und Produzenten.
Wahrscheinlich ist von dem großen Lotterleben nicht mehr ganz so viel übrig geblieben, aber immer noch genug, um zu den namhaftesten Ami-Rap-Acts zu zählen. 50 Cent hat mit seiner Person, seinen Songs und auch seinem etwas trashigen Film über sich selbst Kultstatus erreicht. Deswegen durfte er schon im Frühjahr in der Half-Time-Show des Super Bowls ran – neben anderen Stars der 2000er-Szene wie Mary J. Blige, Eminem und Snoop Dogg. Seitdem ist das Medienecho wieder größer. Das zeigen auch die Ticketverkäufe, wenn der Herr ein Konzert in Deutschland ankündigt. Über eine Dekade mussten die Fans hierzulande darauf warten, endlich wieder eine komplette Show von ihm sehen zu können, dementsprechend ist der Ansturm, wenn lediglich ein Termin angekündigt wird. Das Berlin-Konzert ging erst im März in den Vorverkauf, meldete aber schon einige Wochen später ausverkauft, sodass Köln und Frankfurt als Zusatzshows ergänzt wurden.
Und dann auch noch so große Hallen. Die Lanxess Arena in Köln soll’s sein, in der sich am 28.6., einem Dienstag, über 10.000 Besucher*innen treffen, um Old-School-Hip-Hop zu zelebrieren. Der Innenraum ist voll, der Unterrang fast genauso, im Mittelrang ist aber bestimmt noch rund 40% Luft, der Oberrang komplett dicht. Aber das reicht ja auch, um ordentlich Stimmung in die Hütte zu kriegen. Die Crowd besteht dem Genre und Künstler entsprechend aus vielen People of Color. Die einen haben ihre Baggys wieder ausgegraben, die anderen nie weggepackt.
Trotzdem ist an dem Abend einiges verwunderlich. Der Support-Act ist überschaubar. Bereits zum Einlass gegen 19:35 Uhr betritt der lokalbekannte DJ Jeezy die Bühne und legt lediglich 15 Minuten lang bekannte Tracks aus der guten, alten Zeit auf. Er betont mehrfach, was für eine Ehre es für ihn sei, für 50 Cent den Anheizer zu geben und hat auch zielsicher genau die richtigen Hits im Gepäck. Daraufhin dauert es knapp eine halbe Stunde, bis der Mann die Stage betritt, weswegen man an dem Abend überhaupt da ist.
Um 20:17 Uhr startet die Show, die gar nicht so wenige optische Elemente bereithält. Mehrere Leinwände zeigen sämtliche Clips aus der Schaffenskarriere, eine dreiköpfige Band bestehend aus Drums, Keyboards und Turntables verstärkt die Beats, die Lichtshow ist angemessen gestaltet und obendrauf gibt es gleich mehrfach kleine Pyroeffekte, die an die Decke schießen. Da hätten viele wohl mit einem geringeren Umfang gerechnet. Leider gleicht das aber die generelle Qualität des Gigs nicht aus.
Doch das Positive zuerst: 50 Cent tritt mit zwei weiteren Rappern auf, wovon einer sogar ein paar anständige Gesangsskills mitbringt. Alle Drei sind größtenteils gut abgestimmt und tragen das dichte Programm, das nur aus sehr wenigen Momenten ohne Songs besteht. Im Sound gibt es bis zum Ende der Show mal wieder einige Schwierigkeiten, so klingen viele Backing Tracks arg übersteuert und ein wenig breiig. Trotzdem ist die Stimmung in der Arena sofort gut, sodass fast jede*r hier die Arme nach oben wirft. Viele rappen mit, filmen sich mit 50 im Hintergrund für ihre Social Medias. Einige konzentrieren sich irgendwann aber doch mehr aufs Feiern mit ihrer eigenen, kleinen Crew statt auf die Show. Die wird zum Teil für manche zur Nebensache.
Und das liegt ein wenig an dem Konzept. Unglaubliche 36 (!) Songs ballert der Rapper einem um die Ohren. Auf den allerwenigsten Konzerten kann man wohl so viele Tracks von seinem Lieblingsartist hören. Und ja, riesiger Pluspunkt: Wirklich vermissen kann man hier nichts. An alle Hits wurde gedacht, sogar einige Cover obendrauf gepackt, sodass man mit Classics der 2000s-Black-Music-Szene regelrecht erschlagen wird. Gut so, denn nur so entsteht eben jener Retrorausch, den sich alle hier so wünschen. Allerdings geht die Show gerade einmal 77 Minuten inklusive Abspann auf Leinwand. Kommt man nach dem Ende aus der Halle wieder heraus, ist die Sonne nicht mal untergegangen. 36 Tracks in 77 Minuten? Jawohl. Heißt somit, dass mit Ansagen und allem Zipp und Zapp jeder Titel gerade einmal zwei Minuten dauert.
Das passt einerseits total zur schnelllebigen Smartphone-Ära, immerhin skippt man permanent Songs weiter, sobald sie einem zu lang gehen, generell geht eh kaum ein neuer Track länger als 2:30 Minuten und man möchte einfach ganz viel in möglichst kurzer Zeit mitnehmen. Gleichzeitig hat man aber kaum die Chance, überhaupt in irgendeinen Song auf den man sich freut, so richtig reinzukommen. “Ayo Technology” und “In da Club” laufen etwas länger, dafür bestehen andere gerade einmal aus einer Strophe und Hook. Sogar “Candy Show”, der womöglich bekannteste neben den zwei genannten, ist so schnell vorbei, wie er eben kommt, nämlich als Fünftes in der Setlist. Schwupps, hat man gerade sein Handy gezückt und den Refrain mitgesungen, ist das Ding auch schon gestrichen von der “To Do”. Irgendwer drückt in irgendeinem Moment die “Stopp”-Taste und danach mit Doppelklick auf den nächsten.
Dadurch verschwimmt ein wenig das Gefühl zwischen Konzert und Clubbesuch von damals. Hier wird etwas reingemischt, da wird etwas vorzeitig abgekürzt, jetzt geht man mal eben zu den Homies, dann macht man gemeinsam ein Gruppenselfie, bei dem Sound fragt man sich, ob eine Box vielleicht durchgeknallt ist, final ist die Zeit verflogen. Das ist alles kein wirkliches Drama, aber auch eben nicht so richtig gut. Als 50 Cent nach bereits 55 Minuten die Bühne verlässt, um für die Zugaben zurückzukommen, sagt ein Besucher: “Das war’s doch aber jetzt noch nicht, oder?”. Nö, aber viel mehr kommt halt auch nicht.
Die Setlist ist eindeutig das stärkste Element an diesem Abend. Die hat Power. “How We Do” (feat. The Game), “Wanksta”, “P.I.M.P.”, “21 Questions”, “Outta Control”, “Just A Lil Bit”, “Baby By Me” sind zwar textlich alle nicht mehr wirklich 2022 und durch ihr sehr prolliges Gehabe etwas unabsichtlich lustig, aber machen mit dem richtigen Augenzwinkern und der Nostalgie voll Spaß. Hüfte schwingen, Hand wippen, Teenie sein, ein Stück Unbeschwertheit genießen. 50 Cent geht zwar nur für kurze Momente in den Austausch mit der Crowd, wirkt aber zumindest nice und motiviert.
Den Kultstatus behält der Typ, der vor zwei Dekaden für coolen Hip-Hop gesorgt hat, wohl noch einige Zeit inne. Dauert es nun aber keine zwölf Jahre bis zu den nächsten Deutschland-Konzerten, sondern vielleicht nur zwei oder drei, muss an den einen oder anderen Ecken etwas mehr gefeilt werden. Sonst ist nämlich der “Hab ich den endlich mal live gesehen”-Bonus aufgebraucht und das “Ich will ein richtig geiles Old-School-Black-Music-Konzert genießen”-Verlangen nicht ganz befriedigt.
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Foto von Christopher.
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