Alex Vargas, Kulturkirche Köln, 18.05.2018

Alex Vargas Kulturkirche

Eine evangelische Kirche als Veranstaltungsort für Popkonzerte sieht man auch nicht alle Tage. Umso erfreulicher, dass die Kulturkirche in Köln genau dafür regelmäßig zur Verfügung steht und neben Musik auch Kabarett, Comedy, Filmvorführungen und andere schöne Dinge bietet. Am 18.5. darf Alex Vargas auf die christlich-geweihten Bretter treten und sein Publikum begeistern.

Doch bevor das geschieht, passieren einige andere Dinge. Das Publikum, das sich irgendwo zwischen Studenten in den 20ern und Musikbegeisterten um die 40 einpendelt, steht auch um kurz vor acht noch gemütlich vor der Kirche. Es wird geraucht, Kölsch getrunken und das leichte Maiwetter genossen. Pünktlich zur besten Sendezeit sind aber alle Plätze in den Reihen und an den Seiten belegt und auch locker 50 Stehplätze ungewollt eingenommen. Der Support – das DJ-Duo Dyrtbyte – legt für 40 Minuten Clubbing-Mucke auf und eckt bereits nach wenigen Minuten damit ordentlich an. Kein Wunder! Wer dachte, dass ein Chillhouse-Mix genau das richtige Warmup für ein Konzert in einer Kirche ist, bei dem 90% der Leute sitzen und Bier trinken, hat offensichtlich gar nicht gedacht. Die meisten in der Crowd sind am Handy, unterhalten sich lautstark oder gehen noch mal eine rauchen.

Um 21h beginnt aber pünktlich der Act, weswegen man hier ist. Alex Vargas betritt allein die Bühne und bleibt dies auch bis zum Ende. Der Däne ist vor wenigen Monaten 30 geworden und scheint neben Musik auch viele Geschichten mitzubringen. Zu fast jedem Song präsentiert er auf kluge, ironische und stets unterhaltende Art die Entstehung dahinter oder eine Anekdote aus seinem Leben, unter anderem von einem Clubbesuch, bei dem er fast Leonardo di Caprio gesehen hätte oder wie die kaum vorhandene Beziehung zu seinem Dad ihn musikalisch inspiriert. Das stellt einen guten Kontrast dar zu der eher schwermütigen, fesselnden und hypnotisierenden Musik, die er präsentiert.

Dass Alex Vargas bisher so wenig Aufmerksamkeit bekommt, gleicht schon fast einer Frechheit. Tatsächlich ist das, was der Herr aus dem Nachbarland mit Wurzeln aus Uruguay gesanglich präsentiert, nicht weniger als 1+ mit Stern. Wer eine derartige Menge an Druck in seiner rauchigen Stimme aufbauen kann, mit Leichtigkeit ungeahnte Kopfstimmhöhen erreicht und innerhalb Millisekunden äußerst gekonnte Registerwechsel präsentiert, hat es definitiv verdient, von einem breiten Publikum gehört zu werden. Nicht selten gibt es bei den passenden Momenten ein beeindrucktes „Wow“ aus allen Ecken zu hören. Gänsehautalarm ist vorprogrammiert. Der ein oder andere schluchzt auch mal ganz tief.

Als Unterstützung dienen neben E- und Akustikgitarren nur ein Loopgerät und diverse Backing-Rhythmen, die häufig nur für einige Takte abgespielt werden und dafür sorgen, dass die Kirche ordentlich bebt. Das funktioniert hervorragend. Bereits nach dem ersten Song ist der Applaus sehr frenetisch – die Meute ist sichtlich euphorisiert. Trotz des überschwänglichen Klatschens und Schreiens wird während der Lieder sitzen geblieben, wenig geredet und auch gar nicht so viel mit dem Handy festgehalten. Alles andere hätte auch schnell die Atmosphäre zerstört, die wirklich gut ist. Es wird innerhalb und außerhalb der Kirche minütlich dunkler, der Hall sorgt für passende Stimmung und nach anfänglichen Schwierigkeiten im Sound ist alles so perfekt, dass es Momente gibt, in denen man kurzzeitig denkt, das beste Konzert 2018 zu sehen. Und ja, kurz vor Schluss wird auch einmal zum Aufstehen bewegt und für einige Minuten gedanct.

Die Setlist setzt sich auch für Fans so zusammen, dass Überraschungen gesichert sind. Vom Debütalbum „Cohere“ werden nahezu genauso viele Songs gespielt wie neue Kompositionen. Außerdem trumpft das Talent mit einer eigenwilligen Rockinterpretation des Beyoncé-Klassikers „Baby Boy“ auf (seht einen kleinen Ausschnitt auf unserer Instagram-Page genau HIER). Generell erscheinen die meisten Songs im Vergleich zum Album in einem akustischen oder rockigen Gewand. Die Studioversionen sind wesentlich elektronischer, mystischer oder träumerischer. Begeisterungsstürme gibt es aber auch so en masse. Besonders gefreut wird sich über die beiden bisher größten Hits „Higher Love“ und „Solid Ground“. Letztes gibt als Finalsong einfach den perfekten Nachhall.

Bereits nach 55 Minuten erwähnt Alex, dass er das Prinzip der Zugaben total blöd findet. Zugaben sind in fast allen Fällen fest eingeplant und stehen schon vorher auf der Setlist. Genau das möchte er nicht. Stattdessen sagt er, dass das eigentliche Set jetzt zu Ende sei (schon?), er aber noch ein paar Songs in petto hätte. Ein Paar ist wörtlich zu nehmen: Nach 65 Minuten Bühnenpräsenz und zwei weiteren Tracks ist Schluss. Und zwar komplett. Wirklich jetzt? Das Publikum zeigt sich auf der einen Seite äußerst beflügelt und watschelt noch ein wenig in Trance Richtung Ausgang, auf der anderen Seite hört man aber einige Male „Er hat gar nicht (…) gespielt!“. Etwas mehr als eine Stunde ist auch arg frech. Selbst wenn man erst ein Album veröffentlicht hat, hat man die Möglichkeit eben dieses komplett zu spielen, ein paar neue Songs einzustreuen und mit Cover aufzustocken. Wahrscheinlich ist Mr. Vargas aber aufgrund seines sehr energiegeladenen Gesangs nicht dazu fähig, so lange durchzuhalten und das in einer Woche häufiger zu wiederholen.

Dafür gibt es die Chance am Merch mit ihm ein paar Fotos zu machen und sich Autogramme geben zu lassen. Ein netter Ausgleich, der wiederum von völlig überteuerten Artikeln zerstört wird. Für einen Newcomer sind die Produkte extrem teuer. Aber nun gut…

Fazit: Alex Vargas in der Kulturkirche Köln ist ein sehr intensives Erlebnis, das tief berührt, an den richtigen Stellen derbe knallt und gleichzeitig durch sehr hohe Qualität beeindruckt. Musikalisch ist das volle Punktzahl – nur in der B-Note muss abgezogen werden.

Und so hört sich das an:

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https://www.youtube.com/watch?v=RGiuBvDghMM

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Foto von Christopher F.

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