Über Humor zu schreiben, ist eine ganz schön schwierige Aufgabe. Schließlich ist Humor einfach unglaublich individuell. Da können selbst die besten Freund*innen, die seit Jahrzehnten eng sind, über dieselbe Veranstaltung zwei sehr unterschiedliche Meinungen haben. Kombiniert man Humor mit Musik, macht es das Ganze eigentlich noch mal komplexer, weil die Musik dann ja eben auch noch gefallen muss. Alexander Marcus hat sich damals getraut und einen ziemlichen Volltreffer gelandet. Seitdem sind fast 16 Jahre vergangen.
Der 51-jährige Berliner hat 2008 für ein wahrhaftiges Internetphänomen gesorgt. Da war Social Media bekanntlich noch in den Anfängen, Facebook gerade erst in Deutschland verfügbar und YouTube ein Schlaraffenland aus Versuchen. Alexander Marcus erfindet zu der Zeit quasi ein neues Genre, für das es bis heute gar keinen so richtigen Begriff gibt. Im Instrumental klingt seine Musik nach Electro, eindeutig clubbig. Doch der Gesang und die Texte führen das vermeintlich Normale ad absurdum. Seine Stimme klingt wie ein Schlagerstar aus den 70ern auf Autotune, seine Lyrics sind romantischer Kitsch. Das ist zunächst nur befremdlich, dann enorm lustig und bescheuert und irgendwann einfach cool.
Das hinzubekommen, ist eine starke Leistung. Ganz ernsthaft. Schaff erstmal was Neues! Überleg dir erstmal was Kreatives, was so noch nicht da war! Kurz danach entwickeln sich mit HGich.T, Christian Steiffen oder auch später mit FiNCH ASOZiAL ähnliche, aber auch eigene Acts, die Ironie mit Musik stark verzahnen. Nicht alle finden denselben Anklang. Wie gesagt, Humor ist individuell. Auch wenn das eine gefällt, hat das andere nicht automatisch dieselben Pluspunkte. Irgendwo sind Grenzen – oder schlimmer: Irgendwo ist das Potenzial aufgebraucht, der Zenit überschritten.
Womit wir im Hier und Jetzt angekommen wären. Am 22.2., einem Donnerstag, tritt Alexander Marcus im Rahmen seiner “Robotus”-Tour zum gleichnamigen Album aus dem vergangenen September in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf auf, die gerade erst zur besten Konzerthalle Europas gewählt wurde (nein, kein Scherz). 100 Minuten lang geht seine Show, die ohne Support eine Viertelstunde zu spät, dafür zur perfekten deutschen Primetime um 20:15 Uhr beginnt. Und offensichtlich ist der Künstler mit seinen Ideen ein wenig am Ende, denn gut ist das Konzert leider so gar nicht.
Obwohl der Gig kurz vorher noch nicht ausverkauft meldet, ist die Halle sehr gut ausgelastet. Zwar sind die Oberränge abgehängt, einige Besucher*innen nehmen aber dennoch entspannt Platz im Unterrang, der Großteil versammelt sich aber zum Dancen im Innenraum. Bei einigen könnte Dancen aber schon zum Start schwierig werden. Eindeutig nüchtern im Raum sind die Allerwenigsten, viele sind angetrunken, einige gar so voll, dass es mit Stehen und Runterschlucken des Mageninhalts minütlich herausfordernder wird. Ein bisschen fühlt sich das Happening an wie in einem Club am Ballermann. Es wird enorm viel gegrölt, einige haben schräge Kostüme an, die Security hat ganz schön zu tun, der Anteil männlich gelesener Menschen ist eindeutig höher und alles ist anstrengend.
Doch dafür kann Alexander Marcus ja nix. Allerdings geht der Eindruck, ein Ballermann-Konzert zu besuchen, exakt genau so weiter. Der stärkste Positivaspekt: Die vergleichsweise ganz schön aufwändige Bühnenshow. Gerade im Licht wird hier ordentlich abgefeuert, gibt es starke Installationen aus Röhren und Lasern, aber zusätzlich auch kleine Feuerwerksfontänen auf der Bühne, kleinere Bildschirme, die hin- und hergeschoben werden – die Mitarbeitenden, die das tun dürfen, sind oft klar erkennbar – und eine Art Mülldeponie aus Technikschrott. Da sieht man doch oft viel weniger. Das Auge bekommt also Reize, die auf einem Konzert absolut notwendig sind, um der Livedarstellung von Musik einen Mehrwert zu bieten.
Zweiter guter Aspekt: Die Setlist. Auch wenn das geniale “1, 2, 3” von dem Debüt “Electrolore” fehlt, ist ansonsten die 22 Tracks umfassende Show mit quasi allem gefüllt, was man von Alexander Marcus kennt und liebt oder eben hasst. “Papaya”, “Homo Dance”, “Hawaii Toast”, “Mega”, “Hundi”, “Disco La Cola” und “Ciao Ciao Bella” als Rausschmiss sind moderne Classics der deutschen Musikszene und machen einfach beim Hören wahnsinnig viel Spaß. Aufgestockt wird das Ganze durch die Hälfte der neuen Albumtracks und einem Best of aus allen fünf vorigen LPs.
Joa. Leider ist an dieser Stelle dann aber auch mit positiven Aspekten vorbei. Alles andere ist entweder underwhelming, technisch nicht gut, wenig mitreißend oder – und das ist wirklich das Allerschlimmste – schlichtweg langweilig. Wir sollten an dieser Stelle erwähnen, dass wir bisher noch nicht bei Alexander Marcus auf einem Konzert waren, aber seinen Songs durchaus einiges abgewinnen können – aber am Ende reicht es wirklich völlig, die Musik einfach privat im Auto, beim Sport oder auf Partys zu feiern.
Eigentlich ist nach zehn Minuten das gesamte Konzert auserzählt. Da hat man alles schon gesehen und gehört. Dass man zu einem Konzert des Artists nicht geht, weil man sich hochanspruchsvolle musikalische Ergüsse erhofft, ist klar. Aber zwischen “hochanspruchsvoll” und “qualitativ mies” gäbe es ja auch noch Abstufungen. Hier liegt dann das erste Problem, dass die Instrumentals komplett ausschließlich vom Band kommen und zusätzlich sogar viele der Gesangsparts. Ja, Alexander singt immer irgendwie mit. Aber nicht selten fällt auf, dass sein Mikrofon in einigen Momenten aus ist, obwohl man seine Stimme hört, oder er nicht rechtzeitig einsetzt, obwohl es gesanglich schon weitergeht. Das hat eben diesen bereits erwähnten Ballermann-Charme, bei dem die Musik als solches nahezu egal ist, Hauptsache, man kennt die Songs und der Künstler ist da. Für ein Konzert dieser Größenordnung wäre da aber etwas mehr musikalische Qualität nicht verkehrt. Etwas zumindest.
Doch selbst darüber könnte man noch irgendwie mit einem zugekniffenen Auge hinwegsehen, wenn die Show wenigstens richtig gut unterhalten würde. Das tut sie nur leider auch nicht. Stattdessen läuft Alexander Marcus permanent vom linken zum rechten Bühnenrand, erzählt ziemlich wenig, hat keinerlei weitere Personen auf der Bühne, die zum Beispiel tänzerisch etwas darstellen könnten und inszeniert fast jeden Song exakt gleich. Sowieso schleicht sich schon beim dritten oder vierten Einsatz der Beats das Gefühl ein, dass man doch genau das Lied gerade erst gehört hätte – aber dass man dann einfach optisch auch so wenig bietet, ist schon richtig lame. Schnell kann man Leute um sich herum beobachten, die entweder mit Alkohol, ihrem Handy, Gesprächen oder nur mit sich selbst beschäftigt sind. Einige verlassen vorher den Saal, manche schlafen auf den Sitzplätzen ein, andere entertainen sich mit einer Polonäse. Richtig fokussiert ist man hier nicht, man ist eben einfach zusammen und verhält sich so, wie es gerade der Impuls vorgibt. Ballermann-Club, wir sagten es schon.
Ein paar Mal zieht sich Felix Rennefeld, wie er gebürtig heißt, um. Da gibt es dann, wenn man Glück hat, ganz schön schräge Videos auf Leinwand – zum Beispiel ein Gespräch mit seiner vermeintlichen Mutter oder eine sich wiederholende Szene, die ihn beim Essen am Mittagstisch zeigt – wenn man Pech hat, passiert aber auch einfach gar nichts. Es ist dunkel auf der Bühne und still. Warum? Warum wird einfach für Minuten die gesamte Atmosphäre gestört, indem nichts geschieht? Auch ein ganz schönes No Go.
In vielen Dancebreaks zeigt Alexander Marcus seine Moves. Die sind mal herrlich bescheuert, dann aber auch schon cool. Er schöpft aus diversen Streetstyles wie Robot, Crip- oder auch Moonwalk. Das ist auf jeden Fall top, nur im Kontext zum dahingeklatschten Rest auch wieder irgendwie nicht stimmig. Sowieso hat man den Eindruck, dass er sich jetzt nicht so richtig stark anstrengt. Gesanglich nicht, das wissen wir schon, aber eben auch in der Performance nicht. Dadurch springt auch der Funke zum Publikum nicht ganz über, die natürlich in manchen Momenten auch mal die Arme nach oben werfen und winken, aber insgesamt eher so wirken, als ob sie eben nur feiern wollen und nicht so viel Wert darauf legen, dass Alexander Marcus gerade auftritt.
Super schade. Ein Konzert, das mit seinen Effekten und seinem Bühnenbild total viel Potenzial bietet, eine ganze Batterie an Hits mitbringt und nichts davon richtig nutzt. Musikalisch ballert es nicht, der organisatorische Ablauf stockt hier und da und der Unterhaltungsgrad ist durch das sehr geringe Angebot an Abwechslung auch schmal bemessen. Mag sein, dass Alexander Marcus zu Anfangszeiten live eine Bombe war, können wir nicht beurteilen. 2024 ist er aber eine Enttäuschung. Ein Konzert, das der Musik keinen zusätzlichen Anreiz gibt? Schwierig.
Und so hört sich das an:
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Bild von Christopher
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