Angelo Kelly, Freilichtbühne Burgtheater Dinslaken, 03.08.2023

angelo kelly dinslaken 2023

Seit wann gibt es eigentlich Open-Air-Konzerte im Herbst? Wer hat sich das denn ausgedacht? Ach, ist gar nicht Herbst. Ist Sommer 2023, stimmt. Sorry. Und zumindest bei den Kurzentschlossenen bedeutet das eher Kino statt Freilichtbühne. So rettet „Barbenheimer“ nicht nur die gesamte Filmindustrie, sondern lockt bei den schrecklichen Wetterlagen die Leute lieber ins Trockene. Darunter leiden aber viele Festivals und Konzerte, die eh wegen Warnungen des deutschen Wetterdienstes der Reihe nach ins Wasser fallen – der kommt flach – oder für die kurz vorher keinerlei Tickets mehr verkauft werden. Das macht auch Angelo Kelly ein wenig zu schaffen.

Der hat sich für 2023 mit 17 Shows im Frühjahr und 17 im Sommer in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Niederlande aber auch ordentlich viel vorgenommen. Leg 1 der Tour lief auch richtig gut, der zweite kämpft mit widrigen Umständen. Zumindest in Dinslaken. Dort tritt der Jüngste in seiner Generation der berühmtesten Musikerfamilie des Landes am 3.8., einem Donnerstag auf. Von allen Seiten wird bis kurz vor knapp gehofft, dass es über den Köpfen nicht wieder einbricht und Regenschauer Laune und Technik zerstören. Aber Angelo und Fortuna schütteln sich die Hände – bis auf kleine Tropfen bleibt es während des Einlasses und der gesamten Show safe und ohne Nässe.

Angelo Kelly hat 2016 viele Menschen extrem glücklich gemacht. Er war ausschlaggebend dafür, dass er und seine Geschwister einige Monate später gemeinsam zurück auf die Bühne kommen. Die zweite goldene Ära der Kelly Family sollte beginnen und hat weite Kreise gezogen. Allerdings wird es mit der einen Kultband und parallel der Band mit der eigenen gegründeten Familie irgendwann doch zu viel. Angelo entscheidet sich für Frau und Kinder und verlässt 2020 die erfolgreichste Gruppe der 90er hierzulande, die 2022 erstmalig ohne ihn auftritt.

Doch selbst die eigene Familienband ist zumindest vorübergehend auf Eis gelegt. Seine Kinder sind eben nicht wie er zwischen Straßenmusik und Hausboot aufgewachsen – sie haben ihre eigenen Köpfe, leben in Zeiten von Social Media und finden nicht mehr so ganz den gleichen Nenner. Angelo selbst ist aber Musiker aus Überzeugung, nicht nur aus Gewohnheit. So zieht es ihn in diesem Jahr nach vielen sehr turbulenten Zeiten mal wieder allein auf die Bühne. Ok, nicht ganz allein. Matthias Krauss ist als langjähriger Freund fest an seiner Seite. Zu zweit sind sie noch bis Anfang Oktober auf Mixtape-Tour. Die gab es übrigens schon 2014.

Also auch vor dem Kelly Family-Comeback. Angelo fragt während der Show, wer sich noch daran erinnert, in den 90ern Mixtapes aufgenommen zu haben. Kassetten, auf denen man die Lieblingssongs zusammengesucht, aufgenommen und anschließend vielleicht an jemand Besonderen verschenkt hat. Das Publikum grinst und nickt zustimmend. Bis auf ein paar Kinder, die viele Mamas, aber auch einige Papas begleiten, ist hier niemand unter 30, viele eher knapp über 40. Sie sind loyale Fans, ebenfalls also Relikte aus den 90ern und wollen Nostalgie, nicht unbedingt Neues. Die überschaubare, aber wirklich schöne Location im Burgtheater besitzt einige Stände mit leckerem Essen, sehr angenehmen Preisen und freier Platzwahl auf gemütlichen Bänken. Leider sind die Bänke aber nicht einmal zur Hälfte voll. Wie gesagt, 34 Shows in nahezu jeder Ecke des Landes – das ist mutig. Wer bis zuletzt überlegt, ob er Dinslaken mitnimmt, hat sich wetterbedingt wohl dagegen entschieden. Gibt ja noch andere Optionen, für die man gar nicht weit fahren braucht.

Doch die Fans, die da sind, sind mit dem Herzen da. Regencapes in der Tasche, Inbrunst in den Stimmbändern. Angelo Kelly ist ein Sympathieträger. Spätestens seit seiner entscheidenden Arbeit, die Truppe 2017 wieder zusammenzutrommeln, noch viel mehr. Mit Kelly-Nostalgie ist heute aber nicht. Bis auf eine Ausnahme schmeißt der 41-jährige alle Hits aus dem Programm, auch die Songs mit seiner Frau und seinen Kindern bleiben daheim. Angelo macht etwas anderes, er sucht sich heute seine Lieblingssongs zusammen.

Er spielt Gitarre, Schlagzeug und singt die Leadstimme. Matthias Krauss sitzt am Piano, spielt ebenfalls Gitarre und singt Backings. Ansonsten gibt es ein paar schöne Lichter, ein großes Banner im Hintergrund. Ende. Es wird sich auf die Musik konzentriert. Ganz besonders stimmlich ist Angelo wirklich in Topform. Seine eh schon immer recht prägnanten Vocals setzt er heute im Singer/Songwriter-Stil ein. Viel Gefühl, viel Fokus. Dabei ist die Songauswahl äußerst wild und nicht limitiert. Sie erinnern fast schon ein wenig an Partyclassics.

„Dancing Queen“ von ABBA, „Proud Mary“ von Creedence Clearwater Revival, „Titanium“ von David Guetta & Sia, „Gangsta’s Paradise“ von Coolio . Interessant. Den Letzten zum Beispiel gibt es, weil Angelo damit 2020 bei „The Masked Singer“ antrat. Aber auch auf Deutsch zu singen, steht auf der Agenda. Besonders das niemals überhörte „Flugzeuge im Bauch“ von Herbert Grönemeyer interpretiert er sehr fragil. Neben seiner reduzierten intimen Version von „Don’t Look Back in Anger“ von Oasis ist das heute das Highlight. Zwei richtig gute Momente. „99 Luftballons“ von der hochkontroversen Nena braucht man jetzt nicht unbedingt, insbesondere wenn die unverkennbaren Synthies fehlen. Zwei Leute können eben nicht alles ersetzen.

Denn direkt zu Beginn betont der Künstler, dass alles komplett live ist und nichts vom Band kommt. „Schade, dass man so etwas überhaupt sagen muss“, betont er, aber so ist es 2023 wirklich. Außerdem gibt es zum Start der Show die Bitte, nicht permanent zu filmen und Fotos zu machen, sondern mehr zu genießen und zu tanzen, woran sich ein Großteil auch wirklich sehr vorbildlich hält. Und wer war nicht schon von hochgehaltenen Handys genervt? That’s why.

Eine persönliche Show mit vielen persönlichen Geschichten. Er lobt die Bodenständigkeit von Phil Collins, von dem er daraufhin „In The Air Tonight“ spielt. Er erzählt, dass er und seine Geschwister fast U2 kennengelernt hätten, von denen er „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ aussucht. Bei „Purple Rain“ von Prince darf die Crowd das verträumte Outro singen. In der Zeit wechselt er von Akustikgitarre zu den Drums, um nochmal alles laut werden zu lassen. Natürlich gibt es auch ein Drumsolo, das bei allen Kelly-Gigs unentbehrlich ist. Auch sein Partner Matthias Krauss bekommt einige Minuten allein und spielt eine sphärische, instrumentale Eigenkomposition am Piano.

Die Tour ist ein Best of aus mehreren Tourneen, die alle seit 2014 dasselbe Konzept hatten. Angelo spielt Songs, die er liebt, aber nicht geschrieben hat. Als letzte Zugabe gibt es dann aber doch noch eine Hommage an die Hochzeit seiner Band. „Take My Hand“ ist solch ein wichtiger Song, zu dem alle sich die Hände reichen und völlig euphorisch werden. Das war immer so, das bleibt immer so. Das einzige Kelly Family-Lied an jenem Abend.

Mal etwas ganz anderes. Angelo Kelly zeigt viel Musikalität und wirklich äußerst guten Gesang. Eine Covershow ist selbstredend nicht die revolutionärste Idee dieser Welt. Hier kann man selten viel falsch machen, solang man bekannte Klassiker liefert. Trotzdem unterhält der kultige Publikumsliebling erst 45, dann 50 Minuten auf sehr kurzweiligem Wege und mit einem fantastischen Sound. Ein „I Can’t Help Myself“ wäre dennoch sehr schön gewesen. Beim nächsten Mal wieder.

Und so hört sich das an:

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Bild von Christopher

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