Am Ende ihres Konzerts verteilt Joss Stone einige Sonnenblumen ans Publikum. Mit Sonne ist ja im Juli 2023 nicht so viel. Das scheint allerdings kein großes Hindernis zu sein, denn selbst bei gar nicht so leichtem Regen tanzt die Musikerin barfuß auf der Bühne und genießt den Moment, wie er eben gerade geschieht.
Monheim ist eher selten die Stadt, die man ins Navi eingibt, wenn man ein Konzert im Rheinland besucht. Recht mittig zwischen Düsseldorf und Köln fährt man für gewöhnlich eben entweder in die Dom- oder in die Landeshauptstadt. Dabei ist die Bürgerwiese Baumberg, die ebenfalls nur wenige Meter vom Rhein entfernt liegt, eine perfekte Location für Open-Air-Shows mit herrlich sommerlichem Ambiente. Das kleine Festivalgelände bietet einige Foodtrucks mit sehr appetitlichen Snacks. Vor der Bühne ist massig Platz, um sich nicht zu nahe kommen zu müssen.
So ist es auch noch weit nach Einlass und kurz vor dem offiziellen Beginn der Show um 20 Uhr nicht überfüllt und es finden sich leicht Plätze nur wenige Meter von der Absperrung entfernt, ohne zu drängeln. Sowieso ist der Graben zwischen Bühne und Publikum vergleichsweise schmal. Musiker*innen zum Fast-Anfassen. Aber Joss Stone zeigt sich sowieso als außergewöhnlich nahbar, schrecklich sympathisch und bodenständig. Die 36-jährige Künstlerin aus Dover – die Stadt, in der man fast landet, wenn man vom französischen Calais den Eurotunnel durchquert – bringt so viel Leichtig- und Nahbarkeit mit, dass man sich doch wundern kann, wie so viel davon auch nach 20 Jahren Musikbiz noch übrig bleibt.
20 Jahre? Die ist doch erst 36! Ja, und!? Tatsächlich wurde das Ausnahmetalent schon mit 14 bei einem Wettbewerb entdeckt. Kurz danach hat man ihrer souligen Stimme, die schon als Teenie ausgebildet und unglaublich erwachsen klang, Songs aus der guten alten Zeit vorgesetzt, die sie ohne große Anstrengung zu interpretieren wusste. Ein paar Aufnahmen später war das Debüt “The Soul Sessions” fertig und die 5-Millionen-Verkäufe-Marke geknackt. Das war 2003 im September. Seitdem hat Joss acht Alben veröffentlicht, wovon zwar ein Großteil nicht die Aufmerksamkeit erhaschen konnte wie zu Beginn, aber besonders an ihrem gesanglichen Talent hat man wohl so gar keine Zweifel.
Trotzdem hat sich die immer noch junge Sängerin etwas vom Mainstream weg und eher Richtung anspruchsvollere Musik hin entwickelt, was sich auch im Publikum in Monheim bemerkbar macht. Das Durchschnittsalter liegt geschätzt bei Mitte oder gar Ende 40. Lauscht man einigen Gesprächen im Vorfeld, bekommt man gar von Ü70-Besucher*innen mit. Diese tauschen sich voller Vergnügen über ihre liebsten Konzerte aus, die sie gesehen haben. Darunter viel Blues, Jazz, Rock, aber immer handgemacht. Somit könnte man wohl zunächst vermuten, dass ein Konzert im Sitzen, bei dem man konzentriert zuhört, passender wäre.
Doch die rund 95-minütige Show, die nach einer kurzen Ansage des Veranstalters um 20:10 Uhr beginnt, überrascht an vielen Stellen. Ist der Regen, der kurz vor Beginn einsetzt und besonders in den ersten 20 Minuten ganz schön niederprasselt, eine eher negative, sind an anderen Ecken die unvorhersehbaren Momente durchweg positiv. Oder war das im Vorfeld klar, dass man bei Joss Stone eigentlich ziemlich viel tanzt?
Joss bringt eine achtköpfige Truppe mit. Sechs männlich gelesene Menschen an den Instrumenten, darunter auch zwei Bläser, um ein wenig Motown-Feeling in den viel zu kühlen NRW-Juli zu bringen. Zusätzlich aber auch zwei verdammt gute Backgroundsängerinnen, die beide sogar ein Solo erhalten. Sowieso überlässt die Frontfrau ihrer Band viele Momente, in denen jede*r sein*ihr Talent unter Beweis stellen kann. Soundtechnisch ist schon nach wenigen Sekunden alles fein, auch wenn es insgesamt ruhig noch ein wenig lauter sein dürfte.
Über anderthalb Stunden trägt die Sängerin in insgesamt drei Outfits – ein Wechsel erfolgt mitten im Song während eines Instrumental-Parts – den Gig mit äußerst viel Spiel- und Redelaune. Zu fast jedem Titel gibt es die Entstehungsgeschichte. Ihr Tourmotto, 20 Years of Soul, wird dahingehend umgesetzt, dass sie aus jeder LP etwas herausgesucht hat. Sie beschreibt, wie sie von dem kleinen Mädchen zu der Person wurde, die selbstbestimmt im Business agieren möchte, ihren eigenen individuellen Klang sucht, manchmal trotzig agiert, aber stets viele tolle Begegnungen erleben durfte. Ihre Stimme hat sich besonders im Vergleich zu den Anfängen verändert, ist klarer und heller geworden. Allerdings technisch auch nochmal um einige Ligen besser. Falsche Töne sucht man hier vergeblich. Gab es einen? Nicht mitbekommen.
Stattdessen gibt es mit “Super Duper Love” einen der großen Klassiker ziemlich zu Beginn. Obwohl hier der Regen seinen Höhepunkt findet, bewegt sie sich entspannt, wahnsinnig gut gelaunt und lässt minutenlang das Publikum als Chor mitsingen. Das ist so frei von Starallüren und einfach so stark auf Spaß an der Arbeit aus, dass man sich wirklich wünscht, so etwas viel, viel öfter sehen zu dürfen. Aber auch “Fell In Love With A Boy” kommt bei der Crowd hervorragend an, genauso wie eher untypische – wir sagten es ja schon, es gibt Überraschungen – Coverversionen von “The Look of Love” und “Son of a Preacher Man” von Dusty Springfield, “You Got The Love” von Florence + The Machine oder “Piece of My Heart” von Janis Joplin. Dazwischen gibt es irrsinnig schnelle Wechsel zwischen den Registern und sensationelle Runs bei “The Love We Had (Stays On My Mind)” und sogar richtig laute Rockmomente gen Ende. Und ein ausgiebiges Reggae-Medley im Mittelteil.
Das ist wohl die stärkste Waffe der Show, dass es eben gar nicht so soulig und lean back ist, wie man es erwarten könnte. Stattdessen spaziert Joss Stone mit ihrer gut eingespielten Band, mit der sie nun seit einem halben Jahr durch die Welt reist, easy durch mehrere Genres, wird von Minute zu Minute gesanglich immer mutiger und druckvoller und bringt kurz vor Schluss noch einmal die Sonne zurück an den Himmel. Auf der Bühne gibt es schickes Licht und zwei Konfettikanonen, ansonsten aber keinerlei Elemente, die von der eigentlichen Kunst ablenken könnten. Kritisieren könnte man wenn überhaupt wohl, dass man aus den Anfangszeiten, aus denen wohl die meisten die Alben im Regal stehen haben, nur eine Hand voll zu hören bekommt. Der Rest ist ein wilder Mix inklusive Album- statt Singletracks, aber dadurch auch spannend.
Frei von jeglichem Druck scheint die zweifache Mutter komplett ihr Ding zu machen. Denn das macht ihr auch nach 20 Jahren noch sichtlich Bock. Joss Stone groovt, tanzt, zeigt sich in stilvollen Kleidern, bringt warmen, britischen Humor mit und macht locker auch die nächsten 20 voll. Ein echt musikalischer Abend in einem wohl oft zu unrecht übersehenen Monheim.
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Bild von Christopher
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