Miami Nights, Freilichtbühne Tecklenburg, 21.07.2023

miami nights tecklenburg 2023

Wer 2023 in Deutschland aufregende, neue Musicalproduktionen sehen will, fährt in keine große Metropole. Die üblichen Verdächtigen bieten nämlich entweder nur Altbekanntes oder was, was man für den dreistelligen Eintrittspreis nichts zwangsläufig braucht. Stattdessen lohnt es sich aber, sich im Münsterland etwas genauer umzuschauen und für eines der kommenden Wochenenden ein Hotelzimmer in Tecklenburg zu buchen. Dann kann man nämlich beide, womöglich sogar alle drei aktuellen Shows mitnehmen.

Die Freilichtbühne Tecklenburg zieht uns jährlich in ihren Bann. Um nicht zu langweilen, halten wir uns heute mit den Schwärmereien etwas kürzer, außer: Wer’s noch nicht kennt, muss es bitte möglichst sofort nachholen. Süßes Örtchen, schönes Panorama auf dem Weg zur Spielstätte, feine Gastro rundherum und einfach eine Bühne mit allem, was man braucht. Und natürlich wirklich tollen Stücken. Neben dem Kindermusical „Madagascar“, das seit Mitte Mai zu begeistern weiß, läuft seit über einem Monat das Levay/Kunze-Dark-Horse „Mozart!“ , das oft neben „Elisabeth“ und „Rebecca“ vergessen wird. Tecklenburg hat es endlich wieder entstaubt und in einer sehr guten, fast perfekten Inszenierung im aktuellen Programm.

Doch zu einem Trio gehören schließlich Drei. Nun reiht sich die dritte und damit letzte Show der aktuellen Saison ein: Miami Nights – Das Tanzmusical. Wahrscheinlich erscheinen in vielerlei Köpfen prompt Fragezeichen. Noch nie gehört? Gar nicht so verwunderlich, handelt es sich nämlich – genauso wie „Mozart!“ – um ein deutschsprachiges Stück, die es bekanntlich per se nicht ganz einfach haben. Zwar gibt es allgegenwärtige Flaggschiffe wie „Tanz der Vampire“ oder „Elisabeth“, von denen auch Musical-Nulpen schon einmal mitbekommen haben, aber das sind doch eher Ausnahmen. Ein Großteil geht schnell unter.

So gehört auch Miami Nights zu den Werken, für die man sehr gut die Augen aufhalten muss, wenn man sie mal sehen möchte. Gerade das jüngere Publikum dürfte hier etwas Neues entdecken. Die Uraufführung war 2002 im Düsseldorfer Capitol. Fast zwei Jahre spielte die Geschichte, die im Miami der 80er angesiedelt ist, in der NRW-Hauptstadt, bis es anschießend für kurze Zeit nach Wien zog. Ein paar Jahre Pause, dann startete eine Tour durch acht deutschsprachige Städte, die teilweise nur wenige Tage, teilweise aber auch gut einen Monat bespielt wurden. Seit 15 Jahren wartet das Musical aber auf ein Revival. Und das folgt jetzt! Tecklenburg zeigte es schon 2007 bei der Tourproduktion und präsentiert nun einen Gegenentwurf zum anspruchsvollen, klassischen, teils düsteren „Mozart!“. Miami Nights setzt nämlich auf gute Laune und sogar Mitmachaktionen. Unterschiedlicher könnten zwei Shows wohl kaum sein.

Doch worum geht es denn nun überhaupt in dem zwar in Deutschland konzipierten, aber in Florida spielenden Stück? Jimmy ist Turniertänzer und mit seiner sehr ehrgeizigen, aber auch verdammt biestigen Partnerin Jessica kurz vor dem Sieg beim wichtigsten Wettbewerb, auf den eine Prämie von 10.000 $ gesetzt ist. Allerdings verkrachen sich beide dermaßen, dass Jessica beschließt, fortan mit Jimmys hochtrabendem Rivalen Roy anzutreten. Währenddessen lernt Jimmy die Kubanerin Laura kennen, die mit ihrem lateinamerikanischen Temperament nochmal ein ganz anderes Flair in seine Tanzschritte einfließen lässt…

Miami Nights ist nicht sonderlich komplex. Muss es aber ja auch nicht sein. Stattdessen setzt man für 20 Vorstellungen, die bis Mitte September besucht werden können, auf seichte Unterhaltung, die mehr Augen und Ohren schmeichelt als storytechnisch groß aufzufahren. Bei dem Stück handelt es sich um ein Jukebox-Musical, also ein Musical, das bereits komponierte, meist erfolgreiche und der breiten Masse bekannte Songs im Arrangement etwas anpasst und eine Geschichte drumherum konzipiert. Das geht sowohl mit Musik von nur eine*r Künstler*in bzw. einer Band wie „Mamma Mia“ mit Musik von ABBA, „We Will Rock You“ mit Musik von Queen oder „Tina“ mit Musik von Tina Turner, aber auch mit Musik, die eher einem Genre oder einem Jahrzehnt entnommen wurden. Beispiele hierfür wären „Ich will Spaß“ mit NDW-Songs, 80s-Rock in „Rock of Ages“ oder gleich eine total wilde Mischung wie in „Moulin Rouge!“ .

Miami Nights geht ebenfalls in das Jahrzehnt zurück, dass die allergrößten Superstars ausspuckte, nämlich die 80er, und setzt die Titelliste aus vielen groovigen Latin-Sounds zusammen, verfeinert mit Pop, der immer etwas erotisch prickelt. So bilden gleich zwei Songs von Gloria Estefan den Rahmen – „Conga“ eröffnet, „The Rhythm is Gonna Get You“ schließt ab. Dazwischen darf man sich auf wirklich große All-Time-Favorites wie „Material Girl“ von Madonna freuen, zu „Let’s Dance“ von David Bowie auf dem Sitz mitschwingen, volle Power spüren, wenn „Holding Out For A Hero“ von Bonnie Tyler ertönt und bei „What a Feeling“ aus Flashdance und „I Wanna Dance With Somebody“ von Whitney Houston sind wohl auch die letzten Tanzmuffel bereit, um das Parkett zu betreten. Lediglich zwei Titel sind ausschließlich für das Musical komponiert worden, darunter das Jimmy-Solo „Miami Nights“, das der Show ihren Namen gibt. Die Dialoge sind übrigens auf Deutsch, die Songs im englischen Original.

Man muss bei Jukebox-Musicals natürlich immer etwas kritischer sein, schließlich machen sie es sich mit ihrer Musik recht einfach. Gute Songs, die Welthits wurden, wissen immer zu begeistern und reißen automatisch mit. Da haben es eigene Kompositionen viel, viel schwieriger. Aber Miami Nights funktioniert auch auf anderen Ebenen gut, besonders im Tanz, nennt es sich schließlich auch „Das Tanzmusical“. Packt man diese zusätzliche Bezeichnung in den Titel, darf man mit starken Choreographien rechnen. Till Nau zeigt sich dafür zuständig und entlockt dem Ensemble einige wirklich anspruchsvolle Figuren. Keine Person kommt hier weg, ohne ihre Hüften bewegt zu haben. Viele Darsteller*innen der rund 35-köpfigen Cast wechseln zwischen Jazz-Dance, Ballett, Standard-Tanznummern und Latein. Besonders viel dabei: Cha Cha Cha, Salsa, Bachata, Contemporary. Handelt die Story eben von einem Tanzwettbewerb, benötigt es auch einen Moderator, der mit Sicherheit nicht zufällig aussieht wie Daniel Hartwich. „Let’s Dance“, you name it.

Viele Hebefiguren, viele Kostümwechsel, ordentlich Requisite – Miami Nights ist fürs Auge auf jeden Fall sehr appetitlich. Wie abzusehen wird bei der Auswahl der Cast auch etwas mehr auf tänzerisches Können statt auf Gesang geachtet. Tecklenburg hat aber wieder genug Leute zu bieten, die beides entweder gut oder eins von beidem sehr gut können. Andrew Chadwick als Jimmy hat in jedem Falle eine schwierige Rolle, trägt er sowohl den Großteil der Geschichte, muss er aber auch tänzerisch einige Male sowohl mit seinen Partnerinnen als auch solo voll abliefern. On top gibt’s stimmige Gesangsnummern, darunter der Inbegriff von sexy Saxophonsolo, nämlich „Careless Whisper“ von George Michael. Macht er alles super, obwohl er hörbar kein deutscher Muttersprachler ist und somit auch bei den Dialogen fokussiert bleiben muss. Endlich kann auch der oft nur in Nebenrollen besetzte Christian Schöne zeigen, was er drauf hat. Zwar ist seine Figur Roy alles andere als sympathisch, aber das extreme Overacting hat der 43-jährige Hesse absolut drauf. Shownummern, die das Publikum anheizen, dazwischen ein Spagat und guter Gesang runden seine queere Interpretation fantastisch ab.

Jessica wird gespielt von Rachel Marshall, die man auch schon nach wenigen Minuten ziemlich hasst – gut so. Fies und mit vielen unschönen Aktionen probiert sie stets ihren eigenen Vorteil herauszuholen. Marshall zeigt sowohl bei „Holding Out For A Hero“ als auch bei „Material Girl“, dass sie tänzerisch noch besser ist als gesanglich, aber beide Skills besitzt. Absolutes Highlight ist jedoch mal wieder Katia Bischoff als sympathische, schüchterne Laura. Schon in „Mozart!“ sowie letztes Jahr in „Sister Act“ hat sie uns vollends überzeugt, aber auch in Miami Nights spielt sich die 27-jährige nun in die absolute Oberliga deutscher Darstellerinnen. Jeder Moment, in dem sie mit Jimmy agiert, ist richtig groß. So werden das romantische Duett „All Through The Night“ – im Original von Cyndi Lauper – mit Jimmy und der richtig heiße und wahnsinnig toll inszenierte Tanz zu „The Rhythm Is Gonna Get You“ – übrigens stark gesungen von Julia Waldmayer als Mercedes – im zweiten Akt zu Bildern, die man mit nach Hause nimmt.

Ohr und Auge haben hier wenig zu meckern. Viele kleine Einfälle, zum Beispiel eine Superheld*innen-Szene zu Beginn, wundervolle Lichtspiele auch mit den angrenzenden Bäumen und sehr catchy Clap-and-Snap-Moves zeigen Tecklenburg wieder in Höchstform. Doch leider fällt final Miami Nights gegen „Mozart!“ in diesem Jahr doch um einige Punkte ab. Daran ist nicht die Inszenierung schuld, auch nicht die Cast, sondern leider das Stück. Als Hommage an die Musikfilme der 80er konzipiert, fallen wirklich sehr starke Parallelen zu „Dirty Dancing“ auf, und das immer wieder. Sowieso ist die Story arg dünn, durchweg vorhersehbar und endet zum Finale völlig abrupt. Schwieriger ist aber der teils äußert platte Humor. Einige Gags zünden super, darunter ein immer wieder auftretender Fake-Hund, anderen merkt man aber an, dass sie vor zwei Dekaden geschrieben wurden. Nicht wirklich zeitgemäß, nicht schlau, albern, wenig subtil. Das macht die hohe Qualität der Tanz- und Gesangsnummern etwas kaputt. Außerdem wird im zweiten Akt das Opening „Hey Mambo“ von Barry Manilow gegen Lou Begas „Mambo No. 5“ getauscht. Definitiv die viel bekanntere Nummer, die auch musikalisch super reinpasst, aber eben nicht aus den 80s und auch nicht aus Amerika kommt. Nicht zuletzt fällt auf, dass sich das Laien-Ensemble, welches in Tecklenburg immer mitmachen darf, mit den Choreos zumindest bei der Premiere noch echt schwer tut.

Tecklenburg macht alles richtig und wählt mit Miami Nights ein 140-minütiges Musical, das sich in zwei Akten à 75 und 65 Minuten unterteilt, was Fans schon ewig nicht mehr gesehen haben und viele neuere Musical-Anhänger*innen nicht kennen. Das ist wirklich ganz hervorragend. Mit einer spielfreudigen Cast, die bei der Premiere am 21.7., einem Freitag, auf nahezu keinen freien Platz mehr blicken kann, wurden alle Hausaufgaben gemacht. An dieser Stelle sei auch die tolle Orga des Hauses erwähnt, muss nämlich aufgrund eines starken Regenschauers nach 20 Minuten die Show für 20 Minuten unterbrochen werden. Zum Glück aber eben nur für 20 Minuten, weil so schnell aufgeräumt und gewischt wird. Bei den Dialogen muss man schon über einige Niveau-Ausrutscher hinweghören, dafür darf man aber bei den Songs alle Ohren weit aufmachen. Und bei den Tänzen? „The rhythm is gonna get you – tonight“, das kann man trotzdem so festhalten.

Und so sieht das aus (Ausschnitt aus der Düsseldorfer Inszenierung 2003):

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Bild von Christopher

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