Mozart!, Freilichtbühne Tecklenburg, 16.06.2023

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Es gibt ein paar News im Kalenderjahr, auf die Musicalfans hierzulande permanent hinfiebern. Das ist einerseits die Gewissheit darüber, welche Stage-Stücke in Hamburg, Berlin und Stuttgart verlängert, noch mehr aber welche ausgetauscht werden – andererseits aber auch, was die Freilichtbühne Tecklenburg für die kommende Saison geplant hat. Im vergangenen Oktober wurde also wieder eine gewisse Anspannung gelöst, indem verraten wurde, dass man sich 2023 unter anderem auf Mozart! freuen darf.

Und sind wir ganz ehrlich: Mit Kreativität und Mut bekleckert sich Stage seit mindestens einer Dekade nur noch selten. Natürlich schleichen sich mal ein „Hamilton“ oder jüngst ein „Romeo & Julia“ dazwischen, aber wir sehen ja, wohin das leider führt. Somit lohnt es sich gleich noch mehr, den eingetragenen Verein der Freilichtspiele Tecklenburg zu unterstützen und die größte und bestimmt auch schönste Freilichtbühne des Landes zu besuchen. Falls jemand eine andere Bühne kennt, die über so einen langen Zeitraum bessere Qualität liefert, möge er*sie sich nun bitte melden. Solange sind wir einfach weiterhin uneingeschränkte Fans.

Auch 2023 wird in der Kleinstadt mit weniger als 10.000 Einwohner*innen nicht enttäuscht. Kann auf der Burg Tecklenburg bereits seit Mitte Mai das Kindermusical „Madagascar“ bestaunt werden, steht nun mit Mozart! die erste der beiden großen Premieren an. Mitte Juli folgt dann „Miami Nights“ – dazu an dieser Stelle mehr, wenn es so weit ist. Stattdessen lieber ein paar Hintergrundinfos zu Mozart!: Das 1999 in Wien uraufgeführte Musical basiert zwar auf dem Leben des weltweitbekannten Salzburger Komponisten, spart aber glücklicherweise seine eigene Musik fast komplett aus. Wer also nun Haare raufend in ablehnende Haltung geht – atmen! Mozart! ist nämlich von Michael Kunze geschrieben und von Sylvester Levay komponiert worden. Es klingelt immer noch nicht? Dann sei an dieser Stelle erwähnt, dass es deren Nachfolger zu dem wohl besten und bekanntesten in Deutschland entstandenen Musical „Elisabeth“ darstellt. Und damit ist dann auch wirklich alles gesagt.

Leider hat es Mozart! nie so ganz aus dem Schatten des wirklich außergewöhnlich guten „Elisabeth“ geschafft. Die Erwartungen waren schlichtweg zu hoch. Leider ist es auch wirklich das schlechtere Stück von beiden. Es ist sogar ein Stück weit schlechter als der abermals gemeinsam erschaffene nächste Hit „Rebecca“, der 2006 erstmals zu sehen war und 2017 auf der Freilichtbühne Tecklenburg mehr als nur begeisterte. Mozart! ist somit das Sandwichkind zwischen zwei absoluten Mammutwerken. In Deutschland lief es erstmalig 2001, dann äußerst selten und zuletzt 2016 für gerade einmal fünf Aufführungen in Duisburg. Es ist eben eher ein Insider, ein Fanliebling. Tecklenburg selbst zeigte es bereits 2008 und holt es nun 15 Jahre später wieder zurück. Eine verdammt gute Entscheidung.

Die Auswahl an Stücken ist riesig, die Wahl damit umso schwerer. Aber mit einem gewissen Händchen für Stil und dem genauen Einschätzen des Publikums, klappt das. So kommen zur Premiere am 16.6., einem Freitag, Scharen von Menschen. Darunter sogar einige asiatisch gelesene Personen – dort ist Mozart! nämlich seit Dekaden ein absoluter Dauerbrenner, insbesondere in Japan. Die Zuschauenden reisen also aus mehreren Ecken an und zeigen, dass die „Festspielstadt“ ihren Namen nicht umsonst trägt. Pünktlich auf die Minute genau um 20:00 Uhr startet der Zweiakter, der erst fast 80, dann gute 70 Minuten dauert.

Es liegt auf der Hand: Knapp 60 Menschen auf der Bühne, über 20 noch einmal darunter im Orchestergraben. Das allein verspricht ein Erlebnis, das bei einem Ticketpreis von gerade einmal 50 Euro die Erwartungen immer übertrifft. Selbst wer schon mehrmals in Tecklenburg war und weiß, dass es wieder einmal großes Kino wird, staunt aufs Neue. Mozart! ist nicht „Elisabeth“ und nicht „Rebecca“, aber wirklich nur Nuancen schlechter. Das absolute Highlight in der diesjährigen Produktion ist neben der Quantität der Mitwirkenden die wirklich unglaublich gute Besetzung. Mal wieder.

Warum hat man Jan-Philipp Rekeszus bisher so wenig auf dem Schirm? Der 31-jährige spielt sich mit seiner Performance als Hauptfigur hiermit in die Oberliga der neuen Musical-Superstars. Sowohl gesanglich, aber tatsächlich auch schauspielerisch mimt der Wiesbadener die facettenreiche, fragile Persönlichkeit des legendären Komponisten absolut fantastisch. Ob „Ich bin Musik“ oder „Wie wird man seinen Schatten los?“, das ist ganz exzellent. Seine großen Augen wirken besonders im zweiten Akt, wenn er psychisch komplett freidreht, fast schon paranoid. Thomas Borchert als sein Vater Leopold ist – oh, was eine Überraschung – wieder so überragend, dass man sich über jedes Solo freut, was er singen darf. Konnte er auch im letzten Jahr bei „Der Besuch der alten Dame“ am selben Ort voll auffahren, scheint ihm auch diese Rolle wieder erschreckend leicht zu fallen. Er ist eben zurecht eines der ganz großen Aushängeschilder des Genres hierzulande.

Aber letztendlich interessiert die meisten Fans wohl nur eines: Wie war „Gold von den Sternen“? Es gibt eben jene Stücke, die so beliebt, so groß, so intensiv sind, dass an ihnen eine schier außergewöhnlich hohe Erwartungshaltung hängt. Das sind Songs wie „Das Phantom der Oper“ im gleichnamigen Webber-Musical, ein „Erinnerungen“ aus „Cats“, ein „Ich gehör‘ nur mir“ aus „Elisabeth“, ein „Frei und schwerelos“ aus „Wicked“. Das ist natürlich auf der einen Seite ganz toll, dass oft schon dieser Titel reicht, um ein Ticket kaufen zu wollen, auf der anderen Seite hat aber jene Person, die es singen darf, wirklich mehrere Hinkelsteine auf dem Rücken zu tragen. Es muss nicht weniger als perfekt sein. Wietske van Tongeren darf diese riesige und ehrenvolle Aufgabe übernehmen. Nach 50 Minuten Spielzeit ist es dann so weit – und sie scheitert nicht. Was ein Glück. Stattdessen ist es das einzige Mal im gesamten Stück, dass mehrere Personen aus dem Publikum für Standing Ovations und Begeisterungsstürme aufspringen. Etwas, was äußerst selten passiert.

Dabei ist „Gold von den Sternen“ nicht mal unbedingt der beste Augenblick an diesem wirklich rundum tollen Frühsommerabend. Denn eine andere Darstellerin hat heute ihren „Moment to shine“. Katia Bischoff gehörte auch letzte Saison zur Tecklenburg-Cast. Was sie aus ihrer Constanze rausholt, ist gigantisch. Schon bei ihrem Duett mit der Hauptfigur in „Wir zwei zusammen“ gibt es ganz genaue und berührende Harmonien zu hören, bei ihrem großen Solo „Irgendwo wird immer getanzt“ liefert sie aber den einen Showstopper. Das ist gesanglich, tänzerisch und inszenatorisch so toll – das nimmt man mit nach Hause. Genauso die von eben fast 60 Menschen vorgetragene finale Ensemblenummer „Mozart! Mozart!“, die einfach Gänsehaut macht.

Ganz viel berechtigtes Lob. Mozart! zeigt in etwas überspitzter, drastischer Form den Werdegang des jungen Wiener-Klassik-Komponisten und präsentiert sein kurzes Leben – Mozart wurde gerade einmal 35 Jahre alt – mit all seinen ruhmvollen wie dreckigen Seiten. Das unterhält über 150 Minuten lang ohne auch nur stellenweise zu langweilen. Auch schon bei der Premiere funktioniert der Ablauf bis auf minimale Kleinigkeiten – zwei oder dreimal werden hörbar Mikros zu spät angeschaltet, an einigen Stellen bleibt mal ein Rollstuhl oder ein Marktstand beim Rollen an Ecken der Bühne hängen. Ansonsten kommt alles wie aus einem Guss. Kritikpunkte? Eigentlich nur einen. Das Bühnenbild ist selbst für eine Freilichtbühne und für Tecklenburger-Verhältnisse doch sehr spärlich. Es braucht nicht immer viel, um zu erzählen, aber hier wäre etwas mehr doch wirklich etwas mehr gewesen. Wenig Farben, sehr wenig optische Abwechslung in den Szenen. Auch wenn das Kostüm erneut detailreich und authentisch wirkt, ist die Kulisse das einzige Manko. Oh, und eine sehr merkwürdige inszenatorische Entscheidung im allerletzten Bild (Stichwort: Superstars). Aber mehr wollen wir an der Stelle nicht spoilern, außer dass es eher skurril und deplatziert wirkt.

Doch Tecklenburg bleibt Tecklenburg, Mozart! bleibt Mozart!. Viele große Songs, die sich (wieder) zu entdecken lohnen. Eine Produktion die ihren Eintrittspreis in dem, was geboten wird, mehr als doppelt überbietet. Ein Musical, auf das man danach wohl wieder mehrere Jahre warten muss. In diesem Sommer ist es aber ein Muss im Kalender.

Und so hört sich das an (Aufnahme von der Wiener Inszenierung 2015):

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Bild von Christopher

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4 Kommentare zu „Mozart!, Freilichtbühne Tecklenburg, 16.06.2023“

  1. Wir fanden das Bühnenbild von MOZART in diesem Jahr genial. Es verlor sich nicht, wie bei vielen anderen vorherigen Inszenierungen, in zu vielen Details. In meinen Augen hatte es etwas von den grandiosen Bühnenbildern der Bregenzer Seebühne. Mehr davon!

  2. Wir hatten einen tollen Abend, das Bühnenbild war genau richtig und lenkte nicht von der Handlung und den Darstellern ab. Großartige stimmliche und darstellerische Leistung, bei der ab und zu ein paar Tränen flossen. Eine insgesamt stimmige Veranstaltung, die für uns bestimmt nicht die letzte war.
    Danke für den fantastischen Abend.

    1. Hi Andrea, das klingt ja wirklich nach einem richtig gelungenen Abend 🙂
      Sehr schön! Mir hat’s auch richtig gut gefallen.

      VLG Christopher

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