Gemächlich strömt die Bonner Indie-Schickeria auf das schlauchige Konzertgelände nahe des Rheinufers. Die meisten in den späten 20ern oder frühen 30ern. Kurze Hosen. Offene Schuhe (Birkenstock, nicht hochhackig). Viele Mützen. Bauchtäschchen (manchmal auch schicker). Allesamt bereit sich im Sonnenuntergang von Mücken zerstechen zu lassen. Es wird den Minimalschmerz wert sein, denn alle Anwesenden erwartet ein Konzert, das es in dieser Intensität nur selten zu erleben gibt. Geladen haben Bon Iver.
Leise trällert Jazz aus den Boxen, es herrscht bedächtiges Gemurmel. Straßenfeststimmung (eher Südstadt, nicht Holzlar). Männer in schwarzen Shirts wandern mürrisch über die Bühne, stimmen Gerät und prüfen Signale. Zu bester Zeit, um 19:45 Uhr, haben sich dann endlich alle an Ort und Stelle eingefunden. Licht kann nicht erlischen, denn es ist noch lange hell. Unspektakulär schreiten also Justin Vernon und seine fünf Kolleg*innen zu ihrem Instrument. Spannung wird die folgenden 105 Minuten eh die Musik errichten.
Da steht er nun, Justin Vernon, und konstruiert mit seinem markanten Falsett präzise und minutenlang Vocalflächen. Über ihm blauer Himmel mit Schäfchenwolken. Er in schwarzem Tanktop, weiter Schlaghose, weißen Sneakern. Die arme tätowiert und trainiert. Riesige Kopfhörer über den Ohren, ein Bandana als Stirnband über der Halbglatze. Vollbart. Einer der zur Zeit einflussreichsten und renommiertesten Pop-Musiker. Zwei Grammys gewonnen. Schon mit Taylor Swift, James Blake, The National, Jay-Z und Kanye West (Achtung: Nur eine Auswahl) gearbeitet. Sucht aufmerksam subtile Interaktion mit der lauschenden Menge. Ein Star der anderen Art. Fesselnd in der Kreation, nicht im Auftreten.
Es dauert nicht lange, da tritt er zurück, überlässt seinen Kolleg*innen die Aufmerksamkeit. Es ist Zeit für ein Saxophon-Solo. Später werden mehrere Schlagzeug-Intermezzos folgen. Gleich zwei Percussionisten sind links und rechts von Vernon platziert. Äußerst präzise klingt das. Und groß. Die Dynamik deshalb ist von einer anderen Welt. Mal steht Vernon nur mit Akustikgitarre ganz einsam auf der großen Bühne. Spielt einen Song, einst Ausdruck seiner Gefühle in einer einsamen Jagdhütte im Norden der Vereinigten Staaten. Gigantisch klingt das dennoch. Alle 5000 Anwesenden hängen an seinen Lippen. Ein andermal erklimmen Vernon und Band weite Hügel, schrauben sich hoch in musische Ekstase. Der introvertierte Folk der Anfangstage ist da nur eine vage Erinnerung.
Nur Lob hat Vernon für sein Publikum übrig. “Good job”, etwa sagt er nach dem vollakustischen “re: Stacks”. Zur Belohnung folgt im Anschluss der melancholische Überhit “Skinny Love”. Eine Umarmung für die Seele. Hunderte Stimmen im Chor, die Übrigen gespannt lauschend. Anschließend Applaus bis hoch zum Posttower.
Standen zu Beginn vor allem die elektronisch-anmutenden, Vocoder- und Autotune-lastigen Stücke der letzten Alben, so entwickelt sich das Set im Verlauf hin zum organischen. Grandios ist das jederzeit. Egal, ob kraftvoll und laut oder in sich gekehrt und leise. Egal, ob ausschweifend und kunstvoll oder simpel und on point. Ein Konzert, das lange nachhallen wird.
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Beitragsfoto von Jonas Horn.
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