Sister Act, Freilichtbühne Tecklenburg, 24.06.2022

Sister Act 2022 Freilichtbühne Tecklenburg

Nun sind endlich auch die restlichen Bühnen, die es durch Corona hart getroffen hat, wieder in ihrem Element zurück: Die Freilichtbühne Tecklenburg, zweifelsohne die wohl schönste, märchenhafteste und stimmigste Musical-Open-Air-Location im gesamten Bundesland, darf endlich wieder ran an die Arbeit. Obwohl es zwar in den zwei vergangenen, schwierigen Jahren stets im Sommer irgendwo paar Shows zu sehen gab, hat es das größte Freilichtmusiktheater des Landes aus organisatorischen Gründen nicht geschafft und vorzeitig zweimal die Notbremse gezogen. Doch besser spät als nie. So steht eben dann 2022 im Rahmen von drei bereits für 2020 angekündigten Musicals. Mit dabei: Sister Act.

Schon seit knapp zwei Jahrzehnten setzt das Team rund um die Burgruine im Kreis Steinfurt, also im Münsterland, auf eine Kombination aus Kinderprogramm und anspruchsvoller Erwachsenenunterhaltung. Zwei Musicals für die Großen, eins für die Kleinen. Dabei kann sich generell schon seit 1924 in Tecklenburg das Schönste aus dem Genre Musiktheater angeschaut werden. Der Ruf ist seit jeher makellos, sodass sich viele sehr namhafte Musicaldarsteller*innen nach einem Engagement die Finger lecken. Hier war jede*r schon dabei, der*die Rang und Namen hat. Das bedeutet im Umkehrschluss immer wieder erste Plätze bei Auszeichnungen für Musicalproduktionen.

Ein Glück, dass nach zwei komplett ausgefallenen Spielzeiten nicht die rote Flagge gehisst werden musste. Bei dem Trio Der Zauberer von Oz als Inszenierung für Kinder, Sister Act und Der Besuch der alten Dame und somit einer Mischung aus „Lange nicht mehr gesehen“ und „Noch nie in Deutschland gesehen“ machten Fans große Augen – schauten letztendlich aber zweimal traurig in die Röhre. Doch nun ist das lange Warten, Bangen und Hoffen vorbei. Seit Ende Mai springt Dorothy im Lande Oz umher, ab dem 22.7. gibt es die Adaption zum Dürrenmatt-Klassiker zu sehen und seit dem 24.6., einem Freitag, nach rund fünf Jahren Pause auch das Musical zu dem Film, in dem Whoopi Goldberg wohl die Rolle ihres Lebens ablieferte.

Gute Laune liegt bereits auf dem Weg hoch zur Ruine in der Luft. Das Tecklenburger Publikum ist ausgehungert, hat bequeme Sitzkissen dabei und stiefelt voller Erwartung zu den Plätzen. Es bleibt trocken, obwohl zwischenzeitlich Unwetter angesagt ist. Aber Kultur hatte es lang genug schwer – jetzt wird genossen und jedem Wetter getrotzt. Die erste von insgesamt 25 geplanten Vorstellungen ist fast ausverkauft. Geschätzte 90 Prozent der Plätze sind belegt und das sind nicht wenige, haben nämlich knapp 2300 Personen die Möglichkeit, sich auf die Holzbänke zu setzen. Fast auf die Minute genau pünktlich startet die zweimal 75 Minuten lange Show, die von 25 Minuten Pause unterbrochen wird und somit erst um 23 Uhr weit nach Sonnenuntergang endet.

Ganz ehrlich: Sister Act ist ein Selbstläufer. Diejenigen, die den 1992 erschienenen Film nicht gesehen haben, sind mit absoluter Sicherheit in der eindeutigen Unterzahl. Auch drei Dekaden später hat die mitreißende Komödie mit der kreativen Geschichte, der sensationellen Besetzung und den noch viel, viel sensationelleren Songs nichts an Hitpotenzial verloren. Umso wichtiger ist es, eins vorab zu wissen: Die Musik aus dem Film, gibt es im Musical nicht. Keinen einzigen Titel.

Das schmerzt, besonders, wenn man es eben vor dem Ticketkauf nicht weiß. Geht man stattdessen mit der richtigen Erwartungshaltung in die Vorstellung und wartet nicht jede Minute auf ein „I Will Follow Him“ oder „Hail Holy Queen“, sollte man in den kurzweiligen zweieinhalb Stunden ziemlich gut unterhalten werden. Denn das Stärkste an der Musicaladaption von Sister Act ist die Leichtigkeit. Das Feeling, das einfach auch den schlechtgelauntesten Grumpy irgendwann ansteckt.

2006 ging das Stück erstmalig in Kalifornien an den Start, kam 2009 dann nach Europa und 2010 schließlich in die Bundesrepublik. Liebhaber*innen des „himmlischen Musicalvergnügens“, wie es sich so schön selbst nennt, mussten fünf Jahre auf ein Comeback warten. Ok, eigentlich wären es nur drei gewesen, aber unfreiwillig wurden es eben fünf. In Tecklenburg ist das Bühnenbild selbstverständlich etwas spärlicher als in einem Indoor-Theater, in dem alle paar Minuten ganze Settings ausgetauscht werden können. Dennoch können die Kulissen gut genutzt und mit ein wenig Fantasie ausgefüllt werden.

Der Fokus liegt nämlich auf dem Ensemble – und das ist wirklich großartig. Die Energie von 37 (!) Darsteller*innen, die hier in einigen Momenten gemeinsam auf der Bühne stehen, ist durchweg spürbar. Alle haben sich so lange in Geduld üben müssen, nun wird zelebriert. Die Niederländerin Peti van der Velde ist längst keine Unbekannte mehr und war auch hierzulande schon in einigen Produktionen zu sehen. Als Hauptdarstellerin in der Rolle der Deloris van Cartier macht sie stimmlich alles richtig, passt optisch super, spielt solide und patzt nur an sehr wenigen Stellen aufgrund der Sprachbarriere. Schmerzlich vermisst man Pia Douwes als Mutter Oberin, die sogar in beiden großen Musicals in Tecklenburg dabei sein sollte, dafür aber so gut wie möglich ersetzt wird. Masha Karell übernimmt und hat ein paar wundervolle Soliparts, ist als Leiterin des Ordens zynisch-ironisch und in sich ruhend. Bei ihrem ersten Solo „Hier an diesem Ort“ hat sie einen Texthänger, der aber mal wieder unterstreicht, dass Live einfach Live ist. Für mehr Menschlichkeit und weniger Perfektionismus!

Zu den weiteren Highlights auf Darsteller*innen-Seite zählt der gut aufgelegte Fabio Diso als trotteliger, aber dennoch liebenswerter Polizist Eddie Fritzinger und Katia Bischoff als aufblühende Schwester Mary Robert. Wobei… eigentlich ist der gesamte Orden ein Highlight. Die vielschichtigen und diversen Charaktere sind so kurios und entertaining, hier hat wohl jede*r eine ganz persönliche Favoritin. Das schicke Kostüm hilft ungemein.

Musikalisch liefert das 17-köpfige Orchester unter der Leitung von Giorgio Radoja makellos ab. Der Big-Band-Sound, der zwischen Rock’n’Roll, Gospel und Swing hin- und herspringt, erklingt wundervoll. Zwar hat die Tontechnik bei der Premiere an einigen Stellen noch Einsatzprobleme, aber das regelt sich schon in den kommenden Tagen. Ensemblenummern wie „Zeig mir den Himmel“, „Lasst die Liebe rein“ und „Singt hinauf zum Himmel“ sind kraftvoll und motivieren das Publikum mehrfach zum Zwischenapplaus. So klingt Begeisterung.

Doch als perfekte Musicalinszenierung geht Sister Act in Tecklenburg dann doch nicht durch. Der Humor besitzt ein hohes Tempo, ist an einigen Stellen aber doch etwas zu stark aus der Klischeebüchse entliehen. Gleich mehrfach gibt es Gags auf Kosten der Hautfarbe der schwarzen Hauptfigur – ein No-Go in 2022. Einmal gibt’s Fäkalhumor, mehrfach wird es etwas albern. Dafür gibt es auf der anderen Seite aber genauso viel Situationskomik, die richtig gut klappt. Anspruchsvoll und klug wird’s allerdings nicht.

Sister Act ist seichte, aber auch echt gute, für die Freilichtbühne Tecklenburg vielleicht sogar perfekt ausgewählte Unterhaltung. Das Publikum setzt sich aus mehreren Generationen zusammen. Hier treffen sich eher weniger Hardcore-Musicalfans und dafür einfach Familien aus der Region. Der anherrschende Katholizismus im Münsterland wird aufs Korn genommen, einige Zuschauer*innen können also bei den Gags mit Augenzwinkern auch über sich selbst lachen. Und am Ende nimmt man trotz fehlender Musik aus dem 90s-Film dennoch den einen oder anderen Ohrwurm mit nach Haus.

Und so hört sich das an (Aufnahme von der Hamburger-Inszenierung):

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Foto von Christopher.

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