Mehr Spaß, weniger Moralpredigt. Mit ihrem dritten Album “Baby” wollen die Petrol Girls im Prinzip die größten Pfeiler des Vorgängers “Cut & Stitch” komplett umpflanzen. Wer bislang noch keine Berührungspunkte mit der Musik der Band hatte, wird vermutlich erstmal mit der Stirn runzeln. Denn “Baby” ist im Vergleich zu anderen Bands weiterhin ein sehr herausforderndes, un-eingängiges Album und dazu noch voll mit Gesellschaftskritik. Fans des Kollektivs werden aber die kleinen Nuancen erkennen, die die Musik der Petrol Girls behutsam in eine andere Richtung bugsieren.
Profis im Hakenschlagen
Wer viel Kritik an anderen äußert, gerät schnell in die unangenehme Position der Selbsterhöhung. Mit dieser Rolle der meckernden Hohepriesterin konnte sich Ren Aldridge, ihres Zeichens Sängerin und Songwriterin der Petrol Girls aber überhaupt nicht identifizieren, wo sie doch gerade ihre eigenen Makel permanent hinterfragt und reflektiert. So trat das Quartett nach dem Release des Meisterwerks “Cut & Stitch” einen Schritt zurück und nahm etwas Ballast aus dem Konstrukt. Zurück zu einem roheren Sound-Entwurf, der zwar immer noch beißend und gefährlich klingt, aber auch etwas mehr Zeit für Eskalation und Spielfreude lässt. Deswegen klingt die Abfuhr an Regierungschefs der übelsten Sorte “Clowns” nämlich auch, als wären At The Drive-In sehr wütend geworden. Beim Opener “Preachers” schieben sich hingegen Polyrhythmen in schönster Mathrock-Tradition ineinander und bei “Feed My Fire” werden die Cowbells in die Arena geführt. Zu entdecken gibt es auf dieser Platte also schonmal genug.
Protest im Herzen
Aber natürlich sind die Petrol Girls gerade 2022 noch genau so eine feministische Band wie zuvor. Der Hit der Platte “Baby I Had An Abortion” ist aktuell noch wichtiger denn je, führt er der Pro-Life-Bewegung die Unsinnigkeit ihrer Argumente vor und zelebriert die eigene Abtreibung im Gegensatz als genau die richtige Entscheidung. Musikalisch klingen die Petrol Girls hier wie eine Post-Hardcore-Version von Bloc Party, die zudem noch die Breeders eingeladen haben. Das Herz der Platte besteht jedoch aus den beiden Songs, die in Kooperation mit Janey Starling entstanden sind. Diese kennt man vor allem als Ex-Sängerin der Dream Nails, aber eben auch als Aktivistin für einen bessere Berichterstattung über Femizide. Ein Match Made In Heaven, bei dem die Songs “Fight For Our Lives” und “Violent By Design” entstanden. Sätze wie “Our murders are systemic” und “ACAB / They can’t protect me” sind teils beinahe parolenhaft die Wut gegen das System, Gefängnisse und Polizeigewalt aber auch teils in indirektere Sounds verpackt. Dennoch – das Hymnenhafte, das Wütende, das dennoch Komplexe steckt auch auf “Baby” noch in den Petrol Girls. Und mit ihnen auf die Straße zu ziehen treibt hier noch genau so an wie zuvor. Nur im Wesentlichen mit etwas mehr Charme und weniger abstrakt als zuvor.
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