Rock of Ages, Capitol Theater Düsseldorf, 03.06.2023

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So viele gute Musicals, die auf dieser Welt existieren. So viele, von denen wir Deutschen oft so wenige zu Gesicht bekommen. Ok, Deutschland gehört schon zu den Musicalländern der Welt, aber im Vergleich zu der Anzahl an Shows, die man am New Yorker Broadway oder am Londoner West End zu sehen bekommt, sind wir wirklich Planeten hinterher. Und dadurch gehen oft auch kultige Shows unter und finden erst gar nicht den Weg zu uns. Eines dieser Beispiele: Rock of Ages.

Die Beweggründe sind äußerst unterschiedlich. Die Musik entspricht nicht genug dem deutschen Geschmack, eine Übersetzung würde zu viel wegnehmen – und bekanntlich muss man ja in Deutschland alles übersetzen – oder die Story passt nicht hierher. Jüngstes Beispiel, das alle drei Aspekte umfasst: Hamilton. Da kann es das erfolgreichste Broadway-Stück des vergangenen Jahrzehnts sein, unzählige Rekorde gebrochen haben und von allen Kritiker*innen in den Himmel gelobt werden – ein Garant dafür, dass es in Deutschland funktioniert, ist das trotzdem nicht. Ende vom Lied: Schon in wenigen Monaten läuft die erste nicht-englischsprachige Produktion im Hamburger Operettenhaus zum letzten Mal. Es hat einfach schlichtweg nicht funktioniert.

Trotzdem muss Mut immer belohnt werden. Wir wollen kein 300stes Disney-Musical. Wir wollen mehr Facetten. Das wissen auch die Veranstalter*innen hinter ShowSlot und scheinen das Publikum gut zu kennen. So haben sie sich in den letzten Jahren damit einen Namen gemacht, zu gucken, welche Stücke immer wieder in aller Munde sind, aber nicht zu oft laufen. Stücke, die echte Musicalfans und nicht diejenigen, die zu Weihnachten mal Tickets verschenken, sehen wollen. Die Produktionen sind dann zwar etwas kleiner gehalten, mit den riesigen Tricks darf man hier also nicht rechnen, dafür ziehen die Shows aber durchs ganze Land und man braucht gar nicht weit fahren. Die jüngsten Positivbeispiele: Das Spongebob Musical, Fack Ju Göhte – Das Musical und Ghost – Nachricht von Sam: Das Musical. Aber natürlich landet nicht jeder Wurf im Bullseye. Damit wären wir bei Rock of Ages angekommen.

Der Großteil kennt Rock of Ages wahrscheinlich wenn überhaupt nur als Film. 2012 erschien mit Tom Cruise, Catherine Zeta-Jones, Alec Baldwin und weiteren namhaften Schauspieler*innen eine Adaption zum 2005 in Los Angeles uraufgeführten Musical. Schon bei der Verfilmung fällt das Feedback eher mittelmäßig aus. Um es in Deutschland auch mal live sehen zu können, musste man schon geschickt aufpassen. Die meisten Produktionen fanden wenn auf städtischen Theaterbühnen statt, die BB-Promotion-Tournee vor fünf Jahren war auch schneller vorbei, als man gucken konnte.

Umso schöner, dass ShowSlot das Material in die Hand nehmen, auch wenn dann das Ergebnis leider nicht zu glänzen weiß. Dabei sind viele Aspekte auf den ersten Blick echt positiv: Das Bühnenbild ist für eine Tourproduktion, die an manchen der insgesamt 17 Orten in Deutschland und Österreich nur einen, maximal aber 13 Tage verweilt, echt detailreich. Auch in der Requisite und im Kostüm wird nicht gespart. Man fühlt sich direkt in eine alte Rock-Bar zurückversetzt, in der es nach Rauch und Alkohol stinkt. Außerdem sehr erwähnenswert und für ShowSlot-Produktionen etwas Besonderes: Eine fünfköpfige Band spielt die Songs live. Sie werden sogar ins Bühnenbild integriert. Der Sound ist für Capitol-Verhältnisse am Anfang erneut etwas bescheiden, wird aber im Laufe der Show dann doch besser. Und ein weiterer großer Pluspunkt, aber da kann man sich bei ShowSlot eigentlich immer sicher sein: Die Cast ist stimmig. Dazu später noch etwas mehr.

Rock of Ages lebt so wie eigentlich alle Jukebox-Musicals von seinen legendären Songs. Und hey, die 80er hatten verdammt viele legendäre Songs. Ohne Diskussion. Besonders im Heavy Metal, Glam und Classic Rock können hier Namen gedroppt werden, dass einem schwindelig wird. Genau diese Bretter versammeln sich in dem Musical. Eine Auswahl: „We Built This City“ (Starship), „We’re Not Gonna Take It“ (Twisted Sister), „More Than Words“ (Extreme), „To Be With You“ (Mr. Big), „Wanted Dead or Alive“ (Bon Jovi), „I Want To Know What Love Is“ (Foreigner), „Here I Go Again“ (Whitesnake), „The Final Countdown“ (Europe), „Can’t Fight This Feeling“ (REO Speedwagon), „Every Rose Has Its Thorn“ (Poison), „Don’t Stop Believin'“ (Journey). Hit, Hit, Hit und nochmal Hit. Alle im englischen Original, thanks Jesus!

Im Publikum versammeln sich auch unverkennbar viele Fans dieser Klassiker. Viele sind ein wenig Old-School-rockig angezogen, einige zelebrieren die Vorstellung eher als Konzert und reißen auch mal die Arme nach oben oder springen auf, während einer der ganz großen Nummern läuft. Allerdings machen es sich Jukebox-Musicals natürlich immer recht einfach, indem sie Songs kombinieren, die sowieso jeder schon liebt. Da kann man aus einem riesigen Teich fischen und nur die ganz dicken Karpfen rausziehen und auf den Teller legen. Deswegen ist die tolle Musikauswahl bei Rock of Ages zwar ein Daumen hoch, aber darf eben nicht allein zählen.

Denn das Problematische sind weder die Personen auf der Bühne, noch die Musik oder die Technik. Das Problematische an dem erst 70, dann 60 Minuten langen Stück ist vor allen Dingen das Buch. Die Autor*innen finden wohl, dass 80s-Rock per se etwas lächerlich wirkt und Musicalstorys sich ja eh immer um irgendein Liebespaar und deren Zusammenführung drehen. Deswegen entscheiden sie sich dazu, einfach nichts davon ernst zu nehmen und alles albern darzustellen. Joa, kann man machen, wirkt nur dann eben genau so: Schrecklich albern. Kennt ihr das „We Will Rock You“-Musical? Ganz so schlimm ist’s zwar nicht, aber auch nur wenig besser. Man muss sich schon auf MarioBarth-Niveau einpendeln, um wirklich zu lachen statt fremdschämig auf die Bühne zu gucken. Sämtliche Rollen in Rock of Ages sind durch und durch Klischee und entwickeln sich nicht weiter. Natürlich kann man sowas auch parodisieren, aber selbst Parodien gibt es 2023 mehr als genug. Zusätzlich gibt es viel sexistischen Humor, eine willkürlich eingestreute schwule Beziehung, die eindeutig „Rainbow Washing!“ brüllt und viel rund ums Thema Machtmissbrauch von weißen hetero Cis-Männern inklusive einer angedeuteten halben Vergewaltigung. Dass das bei einer aktuellen Debatte rund um die größte deutsche Rockband nochmal besonders aufstößt, ist naheliegend.

Man merkt auch den Darsteller*innen an, dass sie sich eigentlich in ihren Engagements in anderen Kreisen bewegen. Bekanntlich sind viele in der Branche queer, sodass bei einigen männlichen Personen auf der Bühne das prollige, frauenverachtende Verhalten unglaublich unauthentisch wirkt. Zum Glück. Ein weiterer „Clou“: Ein Charakter agiert nicht nur in der Geschichte, sondern erzählt dem Publikum die Geschichte. Regelmäßig bricht er aus seiner Rolle und redet das Publikum mit „Düsseldorf“ an. In einer Szene empfiehlt er sogar einer anderen Figur, die sagt, sie wisse nicht mehr weiter, einfach ins Programmheft des Stücks zu schauen, da stehe doch, wie es weitergeht. Alles wahnsinnig konstruiert.

Der Gesangsstil ist im Musical tendenziell eher anders als bei Classic Rock, wird aber von vielen gut adaptiert. So machen besonders Julia Taschler als Sherrie, Amanda Whitford als Justice und Marina Petkov als Regina echt gute Arbeit und sorgen mit ihren Soli für echt schöne Momente. Auch Felix Freund, der Drew Boley verkörpert, klingt in manchen Spitzen schön derb. Man hört, dass nicht alle sich im gewohnten Metier bewegen, aber sich definitiv anstrengen.

Wenn man sich dazu entscheidet, Rock of Ages zu zeigen, zeigt man logischerweise auch Rock of Ages. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, einige Gags anzupassen, in die aktuelle Zeit zu holen und sich eben nicht nur mit flachem Humor zufrieden zu geben. Wer es schafft, sämtliche Dialoge auszublenden, hat in Düsseldorf bestimmt einen richtig guten Abend. Uns ist das leider nicht gelungen. Und trotzdem möchten wir nochmal betonen, dass es viel mehr Musicals in Deutschland braucht, die nicht auf Nummer sicher gehen. Denn bei fünf Chancen ist eine Niete doch final gar nicht so tragisch.

Und so sieht das aus:

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Bild von Christopher

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