Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen. Ich beobachte drei Frauen. Synchron schmeißen sie erst ihr eines, dann ihr anderes Bein in die Höhe. Dazu reißen sie jeweils einen Arm in die Luft. Ein wenig erinnert das an Gardetanz. Ich befinde mich aber auf keiner Karnevalsveranstaltung, sondern auf einem Konzert. Genauer gesagt auf einem Konzert der US-amerikanischen Rapperin und Pop-Musikerin Ashnikko. Sie ist die mittlere der drei Frauen, die mit dem blauen Haar. Der zugehörige Song heißt „Tantrum“, ein pompöser Trap-House-Querschlag. Er ist einer von 19 performten. Von einer Performance muss hier tatsächlich gesprochen werden, denn nahezu jeder Song hat eine eigene Choreografie.
Dabei fängt alles verhältnismäßig gewöhnlich an. Hemlocke Springs darf aufwärmen. Die 25-Jährige spielt mit ihrer Schlagzeugerin Indie-Pop mit 80s- und Punk-Abbiegungen. Die exzentrischen Gesten sitzen bereits, die Begeisterung in der Menge stimmt auch. Das Songmaterial aber ist hier und da noch ausbaufähig. So wirklich zünden jedenfalls möchte nur “girlfriend”, das Springs zu allerletzt spielt.
Doch zurück zu Ashnikko. Nach kurzem Umbau mit Hyperpop- und Dance-Begleitung und einigen “Ashnikko”-Chören betritt die Hauptprotagonistin zu Paukenschlag und deftigem Rauschen mit ihren Tänzerinnen die Bühne. Es geht energisch los: “You Make Me Sick!” und “Stupid” bilden das Einstiegsduo und werden gleich begleitet von koordinierten Arm- und Beinverrenkungen. Hände gleiten zwischen Beine, Oberkörper werden vorüber gelehnt, fiktive Tiktok-Läufe getanzt. Jede Bewegung sitzt. Jeder Move ist eingeplant. Auch wenn Ashnikko “Stupid” nach wenigen Zeilen abbricht und fragt: “Cologne, do you even know this song? Prove it!” Ein kalkulierter Stimmungsmacher. Und auch, wenn sie Dinge sagt wie: “Okay, that was cute!” Oder: “Thank you for stepping into my fairycore phantasy world.”
Eine Phantasiewelt jedenfalls versucht Ashnikko zu konstruieren. In ihrer Kunst: Das jüngst erschienene Debütalbum “Weedkiller” entführt Zuhörende in eine von feindseligen Wesen beherrschte Dystopie. Gleich fünf Halloween-Songs hat sie außerdem bislang geschrieben. Aber auch zwischen den Liedern: Etwa wenn sie sich über das aufblasbare Etwas – eine baumartige Pflanze? – beugt, das prominent die Rechte Bühnenseite ziert, und minutenlang kleine Geschichtchen erzählt. Diese durchziehen typische Märchenmotive. Der reich gedeckte Tisch, Baumwandler, generell der Wald, gänzlich weiß verfärbte Augen.
Nur eine Handvoll Songs ist Ashnikko alleine auf der Bühne. In ruhigeren Momenten wie der Gitarrenballade “Dying Star” zum Beispiel. Ansonsten gleicht das Erlebnis eher einer durch-choreographierten Tanzshow als einem Konzert. An erster Stelle steht die Performance. So scheint es zumindest. Dass viele der Gesangsspuren vom Band laufen und man nur selten wirklich Ashnikkos Stimme hört, verstärkt diesen Eindruck. Überwiegend wird diese von einem meterdicken Backingtrack überlagert. Mich stört das ein wenig. Damit werde ich jedoch in der Minderheit sein. Die meisten nämlich scheinen überglücklich als sie nach 80 Minuten Ashnikko zum Hannah Montana-Titelsong aus der Halle strömen.
Mehr Ashnikko gibt es hier.
Und so hört sich das an:
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