Beth Hart, RuhrCongress Bochum, 01.07.2019

Beth Hart Bochum

Starten wir doch mal direkt mit den Dingen, die schlecht am Beth Hart-Konzert in Bochum waren: der Sound war zu laut. Um Einiges sogar. Ansonsten gab es aber nichts zu beanstanden. Gar nichts.

Beth Hart ist völlig unerklärlich immer noch ein Geheimtipp in Deutschland. Dabei macht die 47-jährige bereits seit über zwei Jahrzehnten erfolgreich Musik – überwiegend jedoch in den Staaten. Die Frau aus Kalifornien erlangte durch die Castingshow „Star Search“ erste Aufmerksamkeit, brauchte aber bis zum dritten Album, um einen kleinen Hit zu landen. Wesentlich besser kamen dafür ihre Shows an, sodass sie statt durch Singleerfolge eher mit Liveauftritten ihre Alben promotete. Seit 2011 geht jedes ihrer Veröffentlichungen in den US-Blues-Charts mindestens Top 3. Aber auch hierzulande ist regelmäßig die Top 20 drin. Außerdem steht sie gehäuft an der Seite von Joe Bonamassa, einem der von Kritikern meistgefeierten Gitarristen.

Und trotzdem ist sie einfach nicht jedem ein Begriff. Dabei dürfte die Tatsache, dass sie im Musical „Love, Janis“ die für die Musikszene nicht ganz unbedeutende Künstlerin Janis Joplin spielen durfte, schon aufhorchen lassen. Wer möchte sich denn gesanglich bitte freiwillig mit Janis Joplin vergleichen lassen? Antwort darauf: jemand, der es kann.

Der RuhrCongress in Bochum ist am Montag, dem 1.7., zu gut 90% gefüllt. Knapp 2500 Leute suchen die Halle auf und nehmen auf dem komplett bestuhlten Konzert ihre Plätze ein. Das Publikum ist schon ein wenig älter und nur selten unter 40, teilweise dafür aber über 60. Bereits beim Einlass wird ungewöhnlich laut Classic-Rock gescheppert. Pünktlich um 20h fliegen einem dann nach wenigen Sekunden die Ohren weg: Kenny Wayne Shepherd betritt mit seiner Band die Bühne und versteht sich nicht als bloßer Support, sondern viel mehr als Special Guest. Eine volle Stunde darf er zocken, was er auch gut nutzt. Der Gitarrist spielt typischen Stadienrock und pfeffert gerne mal fünfminütige Soli in seiner mit neun Songs gefüllten Setlist. Währenddessen fällt dem einen oder anderen Zuschauer gerne die Kinnlade herunter – allein rein optisch überzeugt die Fingerarbeit gewaltig und lässt mehrere in der Crowd aufspringen bzw. zu Szenenapplaus verleiten. Ob man nun auf den doch eher eintönigen Sound steht, ist letztendlich Geschmacksache. Gut gemacht ist es trotzdem, auch auf Seiten seines Sängers Noah Hunt.

Doch das ist erst die halbe Miete. Halbe Stunde Verschnaufpause. Zeit, sich doch noch für Ohropax zu entscheiden und eine zu rauchen. Dann ist um 21:30 aber Schluss mit Vorgeplänkel und Beth Hart betritt… nicht die Bühne! Stattdessen sieht man nur die dreiköpfige Band, bestehend aus einem Gitarristen, Bassisten und Drummer. Jedoch erklingt Beth Hart, wo ist sie denn nur? Überraschend startet die Sängerin aus Los Angeles in den hintersten Reihen des Publikums und läuft während ihres Openers „Love Gangster“ durch die Masse bis ganz nach vorn zur Bühne, auf der sie am Ende des Songs landet und die sie für 90 Minuten nicht mehr verlässt.

Was Hart in den eineinhalb Stunden abliefert ist nicht weniger als Weltklasse. Gesanglich eine Reise durch Tiefen, Mittellagen und Höhen – interpretatorisch ein Mix aus Rock, Blues, Pop, Soul, Jazz und fast schon Funk. Sie haucht, sie schreit, sie singt, sie faucht, sie schluchzt. Mal druckvoll, mal sehr sentimental, mal laut, mal leise. In vielen Momenten hält sie das Mikrofon locker einen halben Meter von ihrem Mund entfernt und macht es damit jedem Tontechniker besonders einfach. Sie pegelt quasi selbst. Sie weiß genau, was zu tun ist und wann sie wie das Mikrofon einzusetzen hat. Dazu springt sie barfuß über die Bühne, tanzt, als ob keiner zuschaut, geht lasziv breitbeinig in die Hocke, schüttelt ihr Haar und sprudelt über vor Energie.

Die Show wird durchgehend in schönes Licht gehüllt. Wohlige Farben, Leuchtkegel, Spots. Kein großer Aufriss, aber wirkungsvoll und passend. Musikalisch bewegt sich das Programm zwischen sehr lauten, straighten Rocksongs, Rock’n’Roll im Old-Fashioned-Stil, viel bluesigem Feeling und einer Hand voll extrem intimen, leisen Akustikmomenten, die manchmal nur mit Klavier oder Gitarre funktionieren. Zu keiner Sekunde kommt Langeweile oder Monotonie auf. Jedes Lied braucht genau so lange wie nötig und wird nicht in die Länge gezogen. Alles kommt so auf den Punkt, wirkt hochgradig professionell und abgestimmt – hier patzt niemand. Wobei doch! Beth alleine vergreift sich einmal im Akkord am Klavier, was aber nur zeigt, wie makellos eben der Rest ist und dass hier wirklich live Musik entsteht.

Dazwischen erzählt die Künstlerin Geschichten, die so persönlich wie fragil sind. Sie berichtet von ihrer zum Glück überstandenen Drogenvergangenheit, dem Verlassen ihres Vaters in der Kindheit, dem Gefühl im Leben angekommen zu sein, der Liebe zu ihrem Mann. Verpackt in authentischen Ansprachen, die so von den wenigsten Musikern kommen. Nicht auswendig gelernt, nicht mit Plattitüden übersät und nicht nach Perfektionismus strebend. Viel mehr als ein millionenfach geheucheltes „Was wäre ich nur ohne meine Fans“. Eine Gänsehaut, die bei der Erzählung beginnt und mit den letzten Tönen des Songs aufhört. Gerade mit den zwei Pianotiteln „Tell Her You Belong To Me“ und „No Place Like Home” zaubert sie unvergessliche Magic Moments in den Raum. Wie überraschend gut sie dazu noch Gitarre spielt, wird an dem virtuosen „Isolation“ erkennbar. Außerdem eine bunte Wundertüte aus Coversongs von Billie Holiday, Ella Fitzgerald oder Melody Gardot. Das Schönste: jeder Zuschauer hält seinen Mund. Man hört zu, filmt nur vereinzelnd und konzentriert sich auf den Moment. Dafür ist allerdings auch der Applaus eher zurückhaltend-würdigend, statt frenetisch-erschlagend, was aber wohl dem Alter statt der Begeisterung zuschulden kommt.

Das Konzert in Bochum ist schlichtweg sensationell. Eine Qualität, die so hoch ist und viel zu selten von Künstlern erreicht wird. Augenblicke, die nachhallen. Präsentiert mit Leichtigkeit, als ob man noch nie etwas anderes getan hätte. Für Fans von Konzerten ein Highlight, für Fans von handgemachter Musik ein Muss, für jeden eine Empfehlung. Punkt.

Und so hört sich das an:

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https://www.youtube.com/watch?v=zYTZutFYLpc

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Foto von Christopher.

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