Es ist ein warmer, verregneter Augusttag. Dunkelgraue Wolken, durch die gelegentlich einzelne Sonnenstrahlen brechen, ansonsten aber nur wenig Licht dringt, stehen am Himmel. Immer wieder erbarmt sich die Wolkendecke und es fallen innerhalb von Sekundenbruchteilen große Regentropfen gen Boden. Der ergraute Kölner Dom geht vor der monotonen Wand fast unter, so sehr ähneln sich das farblose Gebäude und der Himmel. Könnte es einen besseren Tag dieses sonst schon zu perfekt sonnigen und warmen Sommer geben, um für ein Konzert der amerikanischen Noise-Formation Daughters auf die Schäl Sick zu fahren? Nein.
Der Soundtrack zum Untergang
Das Quartett hat heute sein aktuelles Album „You Won’t Get What You Want“ im Gepäck und lädt in den geräumigen Club Volta, der trotz der Verlegung vom deutlich schnuckeligeren MTC gut gefüllt ist. Schon die ersten Töne, die die für das Konzert auf sechs Personen angeschwollene Band von Bühne gen Zuschauerraum tönen lässt, machen klar, dass man nicht die Absicht verfolgt der vor der Tür herrschenden bedrohlichen Atmosphäre etwas entgegenzusetzen. „The Reason They Hate Me“ – was ein passender erster Titel – schallt einem mit seiner donnernden Synthie-Bass-Line und seinen dissonanten Gitarren entgegen und zerrt am eigenen Wohlbefinden wie ein Depressionsschub im tiefsten Winter. Unangenehm – und trotzdem: die Musik zieht einen in einen Bann, aus dem man erst eine gute Stunde später wieder entlassen wird. Und tanzen kann man dazu auch noch.
Die ersten Reihen tun dies auch ausgelassen. Sogar so ausgelassen, dass man zwischenzeitlich gar meinen könnte, man befände sich auf einer Hardcore-Show und lausche gerade nicht dem Inbegriff der Disharmonie. Die Mathcore-Vergangenheit der US-Amerikaner lässt grüßen! Es gibt Pogo, Stagedives und Singalongs. Das alles (leider) mit der Hardcore-typischen Männer-Dominanz und -Rüpelhaftigkeit. Trotzdem: Die Fans sind textsicher und schwitzen binnen kürzester Zeit mindestens genauso viel wie die sechs Musiker*innen auf der Bühne.
Frontmann und Sänger Alexis S.F. Marshall lebt die Unbehaglichkeit der Musik in seiner Bühnenpersönlichkeit voll und ganz aus und lässt alle Anwesenden an seiner inneren Eiseskälte teilhaben. Theatralisch hebt er die Arme über den Kopf, greift nach einer Hand aus dem Publikum und legt sie sich auf das Gesicht, als hoffe er so von seinen Dämonen gereinigt zu werden. Er deutet an sich mit dem Mikrofon die Pulsadern aufzuschneiden und reißt so doll an seinem braunen Haar, dass man meint er müsse längst ein Haarbüschel in seinen Händen halten.
Ansonsten scheint der Frontmann eine zweite orale Phase zu durchleben. So bleiben sowohl Mikrofonkopf als auch -Kabel nicht von seinem Speichel verschont und landen gleich mehrfach zwischen seinen Zähnen. Auch seine geballte Faust verschwindet in seinem Mund – so tief, dass er das Aufgestoßene wenig später auf den Bühnenboden rotzt. Zum Schluss lässt er seinen Speichel von den Lippen durch sein bis zum Bauchnabel aufgeknöpftes Hemd hinab auf die volltätowierte Brust tropfen.
Ein Schauspiel zwischen Faszination und Ekel, das in den Bann reißt
Das 60-minütige Schauspiel schwankt immer wieder zwischen den Extremen Faszination und Ekel, schafft aber, was vielen anderen Konzerten nicht gelingt: es lässt einen für eine längere Zeitspanne die Realität vergessen. Es lässt einen mitfiebern. Es lässt einen mit den Musikern zu einer Einheit verschwimmen. So sehr sogar, dass man sich später, wenn man wieder aus dem heißen Saal in die angenehm kühle Nacht stolpert, wundert, dass es doch noch immer so düster ist und die Straßen vom vielen Regen durchnässt sind. Den perfekten Soundtrack für diese Szenerie haben Daughters vorher ja bereits geboten.
Tickets für die weiteren Tourdaten gibt es hier.*
Und so hört sich das an:
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Daughters live 2019:
12.08. – Wiesbaden, Schlachthof
22.10. – Berlin, Bi Nuu
28.10. – Bremen, Tower
29.10. – Münster, Gleis 22
Foto von Jonas Horn.
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