Bon Iver – i,i

Längst sind Bon Iver in der absoluten Speerspitze des modernen Indie-Sounds angekommen. Dabei hatte alles ganz intim begonnen: Nach dem Debütalbum verzog es den Kreativkopf Justin Vernon in ein ruhiges Hüttchen, in dem er die Songs für “For Emma, Forever Ago” schrieb. Der bahnbrechende Hype und der schnelle Legendenstatus des Albums gehören zu den größten Erfolgsgeschichten, die das Indie-Genre im 21. Jahrhundert bereit hielt. Dabei entzog sich die Musik von Bon Iver mehr und mehr jeglichem Zugriff, klar erkennbare Strukturen werden vehement negiert, die üblichen Instrumentarien von technischen Spielereien bis ins Unkenntliche verfremdet. Gegipfelt hatte diese Entwicklung in “22, A Million” im Jahr 2016, einem Album, das man wahlweise als Geniestreich oder als undurchdringbaren Wirrwarr klassifizieren kann. Für “i,i”, das Nachfolgewerk hat sich das Bandprojekt ein weiteres Mal verändert, neben Vernon waren weitere sieben Musiker beständig am Songwriting beteiligt, eine von prominenten Musiker*innen wie James Blake, Aaron und Bryce Dessner von The National und Moses Sumney angeführte Gästeliste zeigt den Community-Fokus des neuen Albums auf. Herauskommt: Bon Iver, so undefinierbar wie eh und je und doch ganz eindeutig erkennbar.

Irgendwo zwischen der zärtlichen Intimität von “For Emma, Forever Ago” und der wabernden Unbestimmtheit von “22, A Million” wagt sich das umfassende Bandprojekt auf eine unbestimmte Reise. Schon ein Blick auf die Setlist mit merkwürdig inszenierten Titeln wie “Holyfields,” und “iMi” und Albumcover untermauern einmal mehr die Unfassbarkeit der Band. Dem kann man nun reines Hipstertum vorwerfen, denn natürlich sind neue Songs der Band schon lange gefundenes Fressen für alle Szenekids, doch damit wird man Vernon und seinen Mistreiter*innen wohl nicht ganz gerecht. Am Wegesrand lagern sich hier pompöse Bläserarrangements übereinander (“iMi”), andernorts schimmern elektrische Samples sanft wie ein Morgenschauer (“Holyfields,”), aber auch klassische Klavier-Elemente finden in dem wirren Soundkonstrukt Platz (“U (Man Like)”). Zwischen der erhabenen Schönheit von “Hey, Ma” und der zerfransten Eigensinnigkeit von “Sh’Diah” liegen ganze Universen von Soundmöglichkeiten, die mal elegisch, mal nur oberflächlich erforscht werden. Aus der Kollektivarbeit ergeben sich zudem unterschiedlichste Zusammenschlüsse, die Vernon am Mikrofon unterstützen, so dass sich auch stimmlich kaum eine Konstanz ausmachen lässt. Besonders “Naeem” oder “Salem” schrauben sich mit exotischen Gesängen in der dominanten Popkultur nur wenig bekannten Sphären vor.

Ein wenig verhält es sich mit dieser Musik wie mit wilden Tieren. Kaum entwickeln einzelne Bestandteile so eine große Anziehungskraft, dass man sie in seine Nähe bringen möchte, nehmen die Stücke reißaus und gehen ihres eigenen, unklaren Weges. Dennoch haben sich Bon Iver längst einen über alle Zweifel erhabenen Status erarbeitet und gelten als Innovateure. Ein Mysterium bleibt es weiterhin, wie so gigantische Massen einen Zugang zu dieser bewusst obskuren Musik finden können. Doch eins ist klar, auch mit “i,i” bleibt das Projekt eins der spannendsten, weil so ungreifbaren Phänomene der Musikwelt..

Das Album “i,i” kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

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Rechte am Albumcover liegen bei Jagjaguwar.

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