Als American Nightmare Anfang der 2000er als eine der ersten modernen Bands eine tiefe emotionale Ebene in den Hardcore, den bislang eher politische und gesellschaftskritische Inhalte dominiert hatten, einbrachten, gab es Defeater nicht einmal. Erst drei Jahre nach Release des American Nightmare-Debüts „Background Music“ bahnte sich langsam das an, was schlussendlich im Projekt Defeater münden und im Sommer 2009 auch erstmals das europäische Festland betouren sollte. Das, was seit jeher beide Bands eint und auch ein Kernelement im Wirken Defeaters darstellt, ist die rohe emotionale Grundhaltung. Die Wochen vor der Veröffentlichung ihres vierten Albums im Mai verbringt die Band aus Boston nun erneut auf der anderen Seite des Atlantiks und spielt neben ausgewählten Festivals auch einige Headline Shows, die den Inbegriff einer emotionalen Katharsis darstellen – eins dieser Konzerte fand im Oberhausener Kulttempel statt.
Das Aufwärmprogramm an dem Abend ist mehr als nur reines Warm-Up, gleicht auch einer Reinigung von allen Sorgen und Ängsten. Swain Sänger Noam Cohen tanzt Arme und Beine schwingend über die Bühne, fällt auf seine Knie herab und lässt immer wieder einen Drumstick auf eine leere Bierflasche hinabsausen, bis diese schließlich in ihre Einzelteile zerspringt. Neben vielen Songs ihres Quasi-Debüts „The Long Dark Blue“ haben die mittlerweile in Berlin ansässigen Niederländer auch einige Songs ihres noch in diesem Jahr erscheinenden neuen Albums dabei. Auch wenn kaum jemand die Musik der Band zu kennen scheint, ist der Applaus zwischen den Grunge-Hardcore-Nummern laut. Etwas textsicherer wird die Menge dann bei Dead Swans, die nach fünfjähriger Pause erst im letzten Jahr wieder als Gruppe zusammentrafen. Die Brightoner widmen dem verstorbenen Architects-Gitarristen Tom Searle einen Song, bedanken sich bei ihren Mitstreitern für die langjährige Freundschaft und lassen ansonsten ganz ihren flotten Hardcore-Punk sprechen, dessen tiefgründige Texte vor allem von den ersten Reihen zurückgeschmettert werden.
Zu Defeater nimmt der Singalong-Faktor dann noch einmal zu. Die Menschentraube vor der Bühne verliert sich mal im rücksichtsvollen Pogo, schnellt ansonsten in Richtung Sänger Derek Archambault, der sein Mikrofon immer wieder gen geöffneter Münder und aufgerissener Augen hält als wolle er ein unbändiges Tier füttern. Die Band hat die Hardcore- und Rockstarposen auch ansonsten voll und ganz drauf: Gitarrist Jake Woodruff schmeißt sein langes Haar immer wieder schwungvoll zurück, Archambault stampft zwischen seinen Kollegen umher als habe er in seinem Leben nie etwas anderes getan als Two-Step getanzt und Schlagzeuger Joe Longobardi trommelt sich die Seele aus dem Leib. Trotz der energetischen Performance ist die Stimmung eher betrübt, was primär am bedrückenden Vortrags Archambaults liegt, der die düsteren Geschichten seiner Songs mit wutverzerrter Mine erzählt – Zeile für Zeile, Wort für Wort. „Empty Glass“ kündigt der Sänger dann mit den Worten „Everything dies baby, that’s a fact“ an. Dieses sich in dreizehn Akten vollziehende Schauspiel aus über die Musik funktionierender Publikumsinteraktion und tiefer Emotionalität in der Performance dauert etwa 45 Minuten an. Zwischenzeitlich bietet diese bedrückende Aufführung jedoch auch kleine Lichtblicke – seien das das Lächeln, das dem Frontmann über die Lippen rutscht, wenn er zwischenzeitlich kurz Blickkontakt mit seinen vier Kollegen hält oder ein absichtlich zerstörtes T-Shirt des übereifrigen Schlagzeugers, das die Band mit der Aufforderung, alle sollen nun ausrasten, verknüpft.
Am Schluss bedankt sich das Quintett vor dem Zugabensong ausführlich bei seinen Fans und erinnert sich an einen gemeinsamen Auftritt mit den Kollegen Dead Swans, deren Sänger während des Konzertes in der ersten Reihe steht und inbrünstig jedes Wort mitsingt, in der Bochumer Matrix vor knapp zehn Jahren. In dieser langen Zeitspanne entstanden nicht nur tiefe Freundschaften zwischen den Musikern, sondern die Fans boten der Band ebenfalls stets einen Wirkungsraum, in dem diese sich in Gänze entfalten konnte. Für den letzten Song des Abends wird sich das auch nicht mehr ändern. Was ein emotionaler Ritt!
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Twitter / Instagram
Foto von Jonas Horn.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.